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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Zweyter Abschnitt.
su, welche von ihrer Schwester, der Marla, des Kleophas
Frau, und von ihrer Freundin, der Maria Magdalena,
an diesen traurigen Ort begleitet wurde. Auch Johan-
nes, den Jesus einer vorzüglichen Liebe bisher gewürdiget
hatte, hatte sich gewagt, der Hinrichtung seines Meisters
beyzuwohnen. Alle diese gottseligen Personen standen beym
Kreuze Jesu, und betrachteten ihren Freund mit innigster
Wehmuth. Aber den tödlichsten Schmerz empfand seine
Mutter, da sie ihren göttlichen Sohn so unsägliche Mar-
tern und so grausame Beschimpfungen erdulden sahe. Viel-
leicht quälte sie besonders der Gedanke, daß sie nunmehr,
nach dem Tode ihres Sohnes, verlassen und verachtet le-
ben müßte. Jesus sahe den Kummer ihres Herzens, und
voll sanfter Wehmuth neigte er sein Haupt ihr zu, und
sprach zu ihr: Weib, siehe, dieser Jüngling wird
dein Sohn, deine Stütze und dein Versorger seyn.

Demnach wandte er sich zu seinem Jünger und sprach zu
ihm: Siehe, diese sey deine Mutter: ich übergebe
sie deiner Fürsorge.
Johannes war überaus willig,
dem letzten Befehle seines sterbenden Meisters nachzukom-
men, und nahm die Mutter Jesu von dieser Stunde an
in sein Haus auf.

Praktische Anmerkungen.

1. Unter so vielen Personen, die Jesus mit Wohlthaten über-
häuft hatte, fanden sich nur vier Personen, die sich seines Kreu-
zes nicht schämten. Wie klein ist die Anzahl der wahrhaftigen
Liebhaber Jesu!

2. Auch dann, wenn die Nachfolge Jesu mit Gefahr und Be-
schwerden verbunden seyn sollte, müssen wir Jesu nicht untreu
werden.

3. Der Tod geliebter Personen muß uns nicht zur Uebermaß
in der Betrübniß hinreissen.

4. Als Jesus am eifrigsten mit der Genugthuung für die
Sünden der Welt beschäftiget war, so dachte er doch dabey an

seine

Zweyter Abſchnitt.
ſu, welche von ihrer Schweſter, der Marla, des Kleophas
Frau, und von ihrer Freundin, der Maria Magdalena,
an dieſen traurigen Ort begleitet wurde. Auch Johan-
nes, den Jeſus einer vorzüglichen Liebe bisher gewürdiget
hatte, hatte ſich gewagt, der Hinrichtung ſeines Meiſters
beyzuwohnen. Alle dieſe gottſeligen Perſonen ſtanden beym
Kreuze Jeſu, und betrachteten ihren Freund mit innigſter
Wehmuth. Aber den tödlichſten Schmerz empfand ſeine
Mutter, da ſie ihren göttlichen Sohn ſo unſägliche Mar-
tern und ſo grauſame Beſchimpfungen erdulden ſahe. Viel-
leicht quälte ſie beſonders der Gedanke, daß ſie nunmehr,
nach dem Tode ihres Sohnes, verlaſſen und verachtet le-
ben müßte. Jeſus ſahe den Kummer ihres Herzens, und
voll ſanfter Wehmuth neigte er ſein Haupt ihr zu, und
ſprach zu ihr: Weib, ſiehe, dieſer Jüngling wird
dein Sohn, deine Stütze und dein Verſorger ſeyn.

Demnach wandte er ſich zu ſeinem Jünger und ſprach zu
ihm: Siehe, dieſe ſey deine Mutter: ich übergebe
ſie deiner Fürſorge.
Johannes war überaus willig,
dem letzten Befehle ſeines ſterbenden Meiſters nachzukom-
men, und nahm die Mutter Jeſu von dieſer Stunde an
in ſein Haus auf.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Unter ſo vielen Perſonen, die Jeſus mit Wohlthaten über-
häuft hatte, fanden ſich nur vier Perſonen, die ſich ſeines Kreu-
zes nicht ſchämten. Wie klein iſt die Anzahl der wahrhaftigen
Liebhaber Jeſu!

2. Auch dann, wenn die Nachfolge Jeſu mit Gefahr und Be-
ſchwerden verbunden ſeyn ſollte, müſſen wir Jeſu nicht untreu
werden.

3. Der Tod geliebter Perſonen muß uns nicht zur Uebermaß
in der Betrübniß hinreiſſen.

4. Als Jeſus am eifrigſten mit der Genugthuung für die
Sünden der Welt beſchäftiget war, ſo dachte er doch dabey an

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[280/0302] Zweyter Abſchnitt. ſu, welche von ihrer Schweſter, der Marla, des Kleophas Frau, und von ihrer Freundin, der Maria Magdalena, an dieſen traurigen Ort begleitet wurde. Auch Johan- nes, den Jeſus einer vorzüglichen Liebe bisher gewürdiget hatte, hatte ſich gewagt, der Hinrichtung ſeines Meiſters beyzuwohnen. Alle dieſe gottſeligen Perſonen ſtanden beym Kreuze Jeſu, und betrachteten ihren Freund mit innigſter Wehmuth. Aber den tödlichſten Schmerz empfand ſeine Mutter, da ſie ihren göttlichen Sohn ſo unſägliche Mar- tern und ſo grauſame Beſchimpfungen erdulden ſahe. Viel- leicht quälte ſie beſonders der Gedanke, daß ſie nunmehr, nach dem Tode ihres Sohnes, verlaſſen und verachtet le- ben müßte. Jeſus ſahe den Kummer ihres Herzens, und voll ſanfter Wehmuth neigte er ſein Haupt ihr zu, und ſprach zu ihr: Weib, ſiehe, dieſer Jüngling wird dein Sohn, deine Stütze und dein Verſorger ſeyn. Demnach wandte er ſich zu ſeinem Jünger und ſprach zu ihm: Siehe, dieſe ſey deine Mutter: ich übergebe ſie deiner Fürſorge. Johannes war überaus willig, dem letzten Befehle ſeines ſterbenden Meiſters nachzukom- men, und nahm die Mutter Jeſu von dieſer Stunde an in ſein Haus auf. Praktiſche Anmerkungen. 1. Unter ſo vielen Perſonen, die Jeſus mit Wohlthaten über- häuft hatte, fanden ſich nur vier Perſonen, die ſich ſeines Kreu- zes nicht ſchämten. Wie klein iſt die Anzahl der wahrhaftigen Liebhaber Jeſu! 2. Auch dann, wenn die Nachfolge Jeſu mit Gefahr und Be- ſchwerden verbunden ſeyn ſollte, müſſen wir Jeſu nicht untreu werden. 3. Der Tod geliebter Perſonen muß uns nicht zur Uebermaß in der Betrübniß hinreiſſen. 4. Als Jeſus am eifrigſten mit der Genugthuung für die Sünden der Welt beſchäftiget war, ſo dachte er doch dabey an ſeine

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/302>, abgerufen am 22.11.2024.