Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Abschnitt.
vor sich führen, um über ihn das Endurtheil zu sprechen.
Die Beschleunigung desselben war um so viel nöthiger, da
schon der Vorbereitungstag auf das Osterfest da war, und
die Untersuchung der Sache Jesu schon in die sechste Stun-
de gedauert hatte. Als nun Jesus vor den Pilatum ge-
bracht war, so sagte er zu den Juden: Sehet da euren
König!
Sie schryen aber: Hinweg, hinweg mit ihm!
Laß ihn kreuzigen!
Da versetzte Pilatus spottweise!
Wie? euren König soll ich kreuzigen? Die Hohen-
priester gaben im Namen des Volks zur Antwort: Wir
erkennen sonst schlechterdings keinen für unsern Kö-
nig, als den Kaiser.
Hierauf ertheilte Pilatus Be-
fehl, daß alle Anstalten zu der Kreuzigung gemacht werden
sollten.

Praktische Anmerkungen.

1. Wie wandelbar sind die besten Gesinnungen der Menschen,
wenn sie nicht durch die Gnade Gottes bevestiget werden!

2. Wie viele lassen sich durch die Gunst und Freundschft der
Grossen verleiten, Religion, Gewissen und Redlichkeit hintan zu
setzen.

3. Die angebohrnen Begriffe und das natürliche Gefühl vom
Guten und Bösen sind viel zu schwach, den Menschen vom Bö-
sen abzuhalten, und zur Ausübung des Guten zu vermögen.

4. Der heuchlerische und boshafte Charakter der Feinde Jesu
zeigt sich unter allen Umständen in seiner Abscheulichkeit, und in
desto hellerm Lichte erscheint überall die Unschuld Jesu.

5. Die unrechtmäßige Verurtheilung Jesu können wir als eine
Aufhebung unsrer Verurtheilung ansehen.

37. Hinführung Jesu zur Kreuzigung.

Nunmehr befand sich Jesus unter den Händen der
Soldaten, die noch auf mannigfaltige Art ihren Muth-
willen an ihm ausübten. Ehe sie ihn aber an den Ort
führten, wo er gekreuziget werden sollte, so rissen sie ihm

den

Zweyter Abſchnitt.
vor ſich führen, um über ihn das Endurtheil zu ſprechen.
Die Beſchleunigung deſſelben war um ſo viel nöthiger, da
ſchon der Vorbereitungstag auf das Oſterfeſt da war, und
die Unterſuchung der Sache Jeſu ſchon in die ſechſte Stun-
de gedauert hatte. Als nun Jeſus vor den Pilatum ge-
bracht war, ſo ſagte er zu den Juden: Sehet da euren
König!
Sie ſchryen aber: Hinweg, hinweg mit ihm!
Laß ihn kreuzigen!
Da verſetzte Pilatus ſpottweiſe!
Wie? euren König ſoll ich kreuzigen? Die Hohen-
prieſter gaben im Namen des Volks zur Antwort: Wir
erkennen ſonſt ſchlechterdings keinen für unſern Kö-
nig, als den Kaiſer.
Hierauf ertheilte Pilatus Be-
fehl, daß alle Anſtalten zu der Kreuzigung gemacht werden
ſollten.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Wie wandelbar ſind die beſten Geſinnungen der Menſchen,
wenn ſie nicht durch die Gnade Gottes beveſtiget werden!

2. Wie viele laſſen ſich durch die Gunſt und Freundſchft der
Groſſen verleiten, Religion, Gewiſſen und Redlichkeit hintan zu
ſetzen.

3. Die angebohrnen Begriffe und das natürliche Gefühl vom
Guten und Böſen ſind viel zu ſchwach, den Menſchen vom Bö-
ſen abzuhalten, und zur Ausübung des Guten zu vermögen.

4. Der heuchleriſche und boshafte Charakter der Feinde Jeſu
zeigt ſich unter allen Umſtänden in ſeiner Abſcheulichkeit, und in
deſto hellerm Lichte erſcheint überall die Unſchuld Jeſu.

5. Die unrechtmäßige Verurtheilung Jeſu können wir als eine
Aufhebung unſrer Verurtheilung anſehen.

37. Hinführung Jeſu zur Kreuzigung.

Nunmehr befand ſich Jeſus unter den Händen der
Soldaten, die noch auf mannigfaltige Art ihren Muth-
willen an ihm ausübten. Ehe ſie ihn aber an den Ort
führten, wo er gekreuziget werden ſollte, ſo riſſen ſie ihm

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0290" n="268"/><fw place="top" type="header">Zweyter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
vor &#x017F;ich führen, um über ihn das Endurtheil zu &#x017F;prechen.<lb/>
Die Be&#x017F;chleunigung de&#x017F;&#x017F;elben war um &#x017F;o viel nöthiger, da<lb/>
&#x017F;chon der Vorbereitungstag auf das O&#x017F;terfe&#x017F;t da war, und<lb/>
die Unter&#x017F;uchung der Sache Je&#x017F;u &#x017F;chon in die &#x017F;ech&#x017F;te Stun-<lb/>
de gedauert hatte. Als nun Je&#x017F;us vor den Pilatum ge-<lb/>
bracht war, &#x017F;o &#x017F;agte er zu den Juden: <hi rendition="#fr">Sehet da euren<lb/>
König!</hi> Sie &#x017F;chryen aber: <hi rendition="#fr">Hinweg, hinweg mit ihm!<lb/>
Laß ihn kreuzigen!</hi> Da ver&#x017F;etzte Pilatus &#x017F;pottwei&#x017F;e!<lb/><hi rendition="#fr">Wie? euren König &#x017F;oll ich kreuzigen?</hi> Die Hohen-<lb/>
prie&#x017F;ter gaben im Namen des Volks zur Antwort: <hi rendition="#fr">Wir<lb/>
erkennen &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chlechterdings keinen für un&#x017F;ern Kö-<lb/>
nig, als den Kai&#x017F;er.</hi> Hierauf ertheilte Pilatus Be-<lb/>
fehl, daß alle An&#x017F;talten zu der Kreuzigung gemacht werden<lb/>
&#x017F;ollten.</p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#fr">Prakti&#x017F;che Anmerkungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Wie wandelbar &#x017F;ind die be&#x017F;ten Ge&#x017F;innungen der Men&#x017F;chen,<lb/>
wenn &#x017F;ie nicht durch die Gnade Gottes beve&#x017F;tiget werden!</p><lb/>
              <p>2. Wie viele la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich durch die Gun&#x017F;t und Freund&#x017F;chft der<lb/>
Gro&#x017F;&#x017F;en verleiten, Religion, Gewi&#x017F;&#x017F;en und Redlichkeit hintan zu<lb/>
&#x017F;etzen.</p><lb/>
              <p>3. Die angebohrnen Begriffe und das natürliche Gefühl vom<lb/>
Guten und Bö&#x017F;en &#x017F;ind viel zu &#x017F;chwach, den Men&#x017F;chen vom Bö-<lb/>
&#x017F;en abzuhalten, und zur Ausübung des Guten zu vermögen.</p><lb/>
              <p>4. Der heuchleri&#x017F;che und boshafte Charakter der Feinde Je&#x017F;u<lb/>
zeigt &#x017F;ich unter allen Um&#x017F;tänden in &#x017F;einer Ab&#x017F;cheulichkeit, und in<lb/>
de&#x017F;to hellerm Lichte er&#x017F;cheint überall die Un&#x017F;chuld Je&#x017F;u.</p><lb/>
              <p>5. Die unrechtmäßige Verurtheilung Je&#x017F;u können wir als eine<lb/>
Aufhebung un&#x017F;rer Verurtheilung an&#x017F;ehen.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>37. Hinführung Je&#x017F;u zur Kreuzigung.</head><lb/>
            <p>Nunmehr befand &#x017F;ich Je&#x017F;us unter den Händen der<lb/>
Soldaten, die noch auf mannigfaltige Art ihren Muth-<lb/>
willen an ihm ausübten. Ehe &#x017F;ie ihn aber an den Ort<lb/>
führten, wo er gekreuziget werden &#x017F;ollte, &#x017F;o ri&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie ihm<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0290] Zweyter Abſchnitt. vor ſich führen, um über ihn das Endurtheil zu ſprechen. Die Beſchleunigung deſſelben war um ſo viel nöthiger, da ſchon der Vorbereitungstag auf das Oſterfeſt da war, und die Unterſuchung der Sache Jeſu ſchon in die ſechſte Stun- de gedauert hatte. Als nun Jeſus vor den Pilatum ge- bracht war, ſo ſagte er zu den Juden: Sehet da euren König! Sie ſchryen aber: Hinweg, hinweg mit ihm! Laß ihn kreuzigen! Da verſetzte Pilatus ſpottweiſe! Wie? euren König ſoll ich kreuzigen? Die Hohen- prieſter gaben im Namen des Volks zur Antwort: Wir erkennen ſonſt ſchlechterdings keinen für unſern Kö- nig, als den Kaiſer. Hierauf ertheilte Pilatus Be- fehl, daß alle Anſtalten zu der Kreuzigung gemacht werden ſollten. Praktiſche Anmerkungen. 1. Wie wandelbar ſind die beſten Geſinnungen der Menſchen, wenn ſie nicht durch die Gnade Gottes beveſtiget werden! 2. Wie viele laſſen ſich durch die Gunſt und Freundſchft der Groſſen verleiten, Religion, Gewiſſen und Redlichkeit hintan zu ſetzen. 3. Die angebohrnen Begriffe und das natürliche Gefühl vom Guten und Böſen ſind viel zu ſchwach, den Menſchen vom Bö- ſen abzuhalten, und zur Ausübung des Guten zu vermögen. 4. Der heuchleriſche und boshafte Charakter der Feinde Jeſu zeigt ſich unter allen Umſtänden in ſeiner Abſcheulichkeit, und in deſto hellerm Lichte erſcheint überall die Unſchuld Jeſu. 5. Die unrechtmäßige Verurtheilung Jeſu können wir als eine Aufhebung unſrer Verurtheilung anſehen. 37. Hinführung Jeſu zur Kreuzigung. Nunmehr befand ſich Jeſus unter den Händen der Soldaten, die noch auf mannigfaltige Art ihren Muth- willen an ihm ausübten. Ehe ſie ihn aber an den Ort führten, wo er gekreuziget werden ſollte, ſo riſſen ſie ihm den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/290
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/290>, abgerufen am 22.11.2024.