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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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von dem Leiden Jesu selbst.
ten, welche dem Erlöser bis in den königlichen Pallast ge-
folgt waren, unterliessen nicht, auch vor dem Herodes
ihre Klagen mit vieler Heftigkeit anzubringen. Allein aus
Staatsabsichten wollte er sich nicht in die wider Jesum
vorgebrachte Klagen einlassen. Statt dessen begegnete
ihm Herodes mit seiner Leibwache mit der äussersten Ver-
achtung, und tribe den unanständigsten Spott mit ihm.
Unter andern Mißhandlungen ließ er ihm, zur Verspot-
tung seiner königlichen Würde, ein weisses Kleid anlagen,
und ihn in dieser Tracht zum Pilatus zurückführen. Bey
dieser Gelegenheit wurden Herodes und Pilatus wieder
ausgesöhnt, da sie zuvor, ohnstreitig aus politischen Ur-
sachen, in der heftigsten Feindschaft gelebt hatten.

Praktische Anmerkungen.

1. Welchen unbilligen und verhaßten Urtheilen ist vornehmlich
ein Lehrer der Wahrheit und Gerechtigkeit unterworfen!

2. Ein irdisch gesinnter Mensch kann keinen wahren Geschmack
an der Religion finden.

3. Ein leichtsinniges Gemüth wird sehr leicht verführt, mit
den würdigsten Gegenständen seinen Spott zu treiben.

4. Viele Menschen werden gleichgültig gegen die Religion Jesu,
ja verspotten sie, wenn sie bemerken, daß dieselbe ihre verkehr-
ten Neigungen nicht begünstiget.

5. Die Grossen der Erde sind vor allen andern der Gefahr
ausgesetzt, sich an dem Evangelio zu ärgern, zum wenigsten
gleichgültig dagegen zu werden.

6. Ein ungläubiger Vorwitz, und ein leichtsinniger Spott-
geist, sind die gewöhnlichen Folgen einer ausschweiffenden Welt-
liebe.

7. Wie schlecht weiß die Welt den wahren Werth eines Men-
schen zu schätzen! Kann ich daher wohl auf ihr günstiges oder
widriges Urtheil im geringsten achten?

8. Möchte ich doch unverschuldete Verachtung so gelassen, als
Jesus, ertragen!

9. Auch
Sturms Leidensgeschichte. R

von dem Leiden Jeſu ſelbſt.
ten, welche dem Erlöſer bis in den königlichen Pallaſt ge-
folgt waren, unterlieſſen nicht, auch vor dem Herodes
ihre Klagen mit vieler Heftigkeit anzubringen. Allein aus
Staatsabſichten wollte er ſich nicht in die wider Jeſum
vorgebrachte Klagen einlaſſen. Statt deſſen begegnete
ihm Herodes mit ſeiner Leibwache mit der äuſſerſten Ver-
achtung, und tribe den unanſtändigſten Spott mit ihm.
Unter andern Mißhandlungen ließ er ihm, zur Verſpot-
tung ſeiner königlichen Würde, ein weiſſes Kleid anlagen,
und ihn in dieſer Tracht zum Pilatus zurückführen. Bey
dieſer Gelegenheit wurden Herodes und Pilatus wieder
ausgeſöhnt, da ſie zuvor, ohnſtreitig aus politiſchen Ur-
ſachen, in der heftigſten Feindſchaft gelebt hatten.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Welchen unbilligen und verhaßten Urtheilen iſt vornehmlich
ein Lehrer der Wahrheit und Gerechtigkeit unterworfen!

2. Ein irdiſch geſinnter Menſch kann keinen wahren Geſchmack
an der Religion finden.

3. Ein leichtſinniges Gemüth wird ſehr leicht verführt, mit
den würdigſten Gegenſtänden ſeinen Spott zu treiben.

4. Viele Menſchen werden gleichgültig gegen die Religion Jeſu,
ja verſpotten ſie, wenn ſie bemerken, daß dieſelbe ihre verkehr-
ten Neigungen nicht begünſtiget.

5. Die Groſſen der Erde ſind vor allen andern der Gefahr
ausgeſetzt, ſich an dem Evangelio zu ärgern, zum wenigſten
gleichgültig dagegen zu werden.

6. Ein ungläubiger Vorwitz, und ein leichtſinniger Spott-
geiſt, ſind die gewöhnlichen Folgen einer ausſchweiffenden Welt-
liebe.

7. Wie ſchlecht weiß die Welt den wahren Werth eines Men-
ſchen zu ſchätzen! Kann ich daher wohl auf ihr günſtiges oder
widriges Urtheil im geringſten achten?

8. Möchte ich doch unverſchuldete Verachtung ſo gelaſſen, als
Jeſus, ertragen!

9. Auch
Sturms Leidensgeſchichte. R
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[257/0279] von dem Leiden Jeſu ſelbſt. ten, welche dem Erlöſer bis in den königlichen Pallaſt ge- folgt waren, unterlieſſen nicht, auch vor dem Herodes ihre Klagen mit vieler Heftigkeit anzubringen. Allein aus Staatsabſichten wollte er ſich nicht in die wider Jeſum vorgebrachte Klagen einlaſſen. Statt deſſen begegnete ihm Herodes mit ſeiner Leibwache mit der äuſſerſten Ver- achtung, und tribe den unanſtändigſten Spott mit ihm. Unter andern Mißhandlungen ließ er ihm, zur Verſpot- tung ſeiner königlichen Würde, ein weiſſes Kleid anlagen, und ihn in dieſer Tracht zum Pilatus zurückführen. Bey dieſer Gelegenheit wurden Herodes und Pilatus wieder ausgeſöhnt, da ſie zuvor, ohnſtreitig aus politiſchen Ur- ſachen, in der heftigſten Feindſchaft gelebt hatten. Praktiſche Anmerkungen. 1. Welchen unbilligen und verhaßten Urtheilen iſt vornehmlich ein Lehrer der Wahrheit und Gerechtigkeit unterworfen! 2. Ein irdiſch geſinnter Menſch kann keinen wahren Geſchmack an der Religion finden. 3. Ein leichtſinniges Gemüth wird ſehr leicht verführt, mit den würdigſten Gegenſtänden ſeinen Spott zu treiben. 4. Viele Menſchen werden gleichgültig gegen die Religion Jeſu, ja verſpotten ſie, wenn ſie bemerken, daß dieſelbe ihre verkehr- ten Neigungen nicht begünſtiget. 5. Die Groſſen der Erde ſind vor allen andern der Gefahr ausgeſetzt, ſich an dem Evangelio zu ärgern, zum wenigſten gleichgültig dagegen zu werden. 6. Ein ungläubiger Vorwitz, und ein leichtſinniger Spott- geiſt, ſind die gewöhnlichen Folgen einer ausſchweiffenden Welt- liebe. 7. Wie ſchlecht weiß die Welt den wahren Werth eines Men- ſchen zu ſchätzen! Kann ich daher wohl auf ihr günſtiges oder widriges Urtheil im geringſten achten? 8. Möchte ich doch unverſchuldete Verachtung ſo gelaſſen, als Jeſus, ertragen! 9. Auch Sturms Leidensgeſchichte. R

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/279>, abgerufen am 22.11.2024.