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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 91.
einigen Schein des Augenlichts gehabt haben, um selbst
den Weg dahin finden zu können. Noch mehr Hülfe sehen
die rationalistischen Ausleger in dem Heilverfahren Jesu.
Gleich Anfangs (V. 4.) sage er, er müsse wirken eos
emera esin, in der Nacht lasse sich nichts mehr anfangen:
Beweis genug, dass er den Blinden nicht mit einem blo-
sen Machtwort zu heilen im Sinne gehabt habe, was er
auch bei Nacht hätte aussprechen können, dass er viel-
mehr eine künstliche Operation habe vornehmen wollen,
zu welcher er freilich das Tageslicht bedurfte. Der pelos
ferner, welchen Jesus mittelst seines Speichels macht und
dem Blinden auf die Augen streicht, ist ja der natürlichen
Auslegung noch günstiger als das blosse ptusas bei'm vo-
rigen Fall, wesswegen denn aus demselben die Fragen
und Vermuthungen wie Pilze in üppiger Fülle aufschies-
sen. Woher wusste Johannes, fragt man, dass Jesus nichts
weiter als Speichel und Staub zu der Augensalbe nahm?
war er selbst dabei, oder hatte er es blos aus der Erzäh-
lung des geheilten Blinden? Dieser konnte aber bei dem
schwachen Schimmer, den er nur hatte, nicht genau se-
hen, was Jesus vornahm, er konnte vielleicht, wenn Je-
sus, während er aus andern Ingredienzien eine Salbe
mischte, zufällig auch ausspuckte, auf den Wahn verfal-
len, aus dem Ausgespuckten sei die Salbe entstanden.
Noch mehr: hat Jesus, während oder ehe er etwas auf
die Augen strich, nicht auch etwas aus denselben wegge-
nommen, weggestrichen, oder sonst etwas daran verän-
dert, was der Blinde selbst und die Umstehenden leicht
für Nebensache ansehen konnten? Endlich das dem Blin-
den gebotene Waschen im Teiche dauerte vielleicht mehrere
Tage, war eine längere Badekur, und das elthe blepon
sagt nicht, dass er nach dem ersten Bade, sondern dass
er zu seiner Zeit, nach Vollendung der Kur, sehend wie-
derkam 25).

25) Paulus, Comm. 4, S. 472 ff.

Neuntes Kapitel. §. 91.
einigen Schein des Augenlichts gehabt haben, um selbst
den Weg dahin finden zu können. Noch mehr Hülfe sehen
die rationalistischen Ausleger in dem Heilverfahren Jesu.
Gleich Anfangs (V. 4.) sage er, er müsse wirken ἕως
ἡμέρα ἐςὶν, in der Nacht lasse sich nichts mehr anfangen:
Beweis genug, daſs er den Blinden nicht mit einem blo-
sen Machtwort zu heilen im Sinne gehabt habe, was er
auch bei Nacht hätte aussprechen können, daſs er viel-
mehr eine künstliche Operation habe vornehmen wollen,
zu welcher er freilich das Tageslicht bedurfte. Der πηλὸς
ferner, welchen Jesus mittelst seines Speichels macht und
dem Blinden auf die Augen streicht, ist ja der natürlichen
Auslegung noch günstiger als das bloſse πτύσας bei'm vo-
rigen Fall, weſswegen denn aus demselben die Fragen
und Vermuthungen wie Pilze in üppiger Fülle aufschies-
sen. Woher wuſste Johannes, fragt man, daſs Jesus nichts
weiter als Speichel und Staub zu der Augensalbe nahm?
war er selbst dabei, oder hatte er es blos aus der Erzäh-
lung des geheilten Blinden? Dieser konnte aber bei dem
schwachen Schimmer, den er nur hatte, nicht genau se-
hen, was Jesus vornahm, er konnte vielleicht, wenn Je-
sus, während er aus andern Ingredienzien eine Salbe
mischte, zufällig auch ausspuckte, auf den Wahn verfal-
len, aus dem Ausgespuckten sei die Salbe entstanden.
Noch mehr: hat Jesus, während oder ehe er etwas auf
die Augen strich, nicht auch etwas aus denselben wegge-
nommen, weggestrichen, oder sonst etwas daran verän-
dert, was der Blinde selbst und die Umstehenden leicht
für Nebensache ansehen konnten? Endlich das dem Blin-
den gebotene Waschen im Teiche dauerte vielleicht mehrere
Tage, war eine längere Badekur, und das ἦλϑε βλέπων
sagt nicht, daſs er nach dem ersten Bade, sondern daſs
er zu seiner Zeit, nach Vollendung der Kur, sehend wie-
derkam 25).

25) Paulus, Comm. 4, S. 472 ff.
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[77/0096] Neuntes Kapitel. §. 91. einigen Schein des Augenlichts gehabt haben, um selbst den Weg dahin finden zu können. Noch mehr Hülfe sehen die rationalistischen Ausleger in dem Heilverfahren Jesu. Gleich Anfangs (V. 4.) sage er, er müsse wirken ἕως ἡμέρα ἐςὶν, in der Nacht lasse sich nichts mehr anfangen: Beweis genug, daſs er den Blinden nicht mit einem blo- sen Machtwort zu heilen im Sinne gehabt habe, was er auch bei Nacht hätte aussprechen können, daſs er viel- mehr eine künstliche Operation habe vornehmen wollen, zu welcher er freilich das Tageslicht bedurfte. Der πηλὸς ferner, welchen Jesus mittelst seines Speichels macht und dem Blinden auf die Augen streicht, ist ja der natürlichen Auslegung noch günstiger als das bloſse πτύσας bei'm vo- rigen Fall, weſswegen denn aus demselben die Fragen und Vermuthungen wie Pilze in üppiger Fülle aufschies- sen. Woher wuſste Johannes, fragt man, daſs Jesus nichts weiter als Speichel und Staub zu der Augensalbe nahm? war er selbst dabei, oder hatte er es blos aus der Erzäh- lung des geheilten Blinden? Dieser konnte aber bei dem schwachen Schimmer, den er nur hatte, nicht genau se- hen, was Jesus vornahm, er konnte vielleicht, wenn Je- sus, während er aus andern Ingredienzien eine Salbe mischte, zufällig auch ausspuckte, auf den Wahn verfal- len, aus dem Ausgespuckten sei die Salbe entstanden. Noch mehr: hat Jesus, während oder ehe er etwas auf die Augen strich, nicht auch etwas aus denselben wegge- nommen, weggestrichen, oder sonst etwas daran verän- dert, was der Blinde selbst und die Umstehenden leicht für Nebensache ansehen konnten? Endlich das dem Blin- den gebotene Waschen im Teiche dauerte vielleicht mehrere Tage, war eine längere Badekur, und das ἦλϑε βλέπων sagt nicht, daſs er nach dem ersten Bade, sondern daſs er zu seiner Zeit, nach Vollendung der Kur, sehend wie- derkam 25). 25) Paulus, Comm. 4, S. 472 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/96>, abgerufen am 22.11.2024.