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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Viertes Kapitel. §. 135.

Sind nun die beiden Hauptvorstellungen, die man von
dem Leben Jesu nach seiner Auferstehung haben kann,
die, dass man dasselbe entweder als ein natürliches, voll-
kommen menschliches, demgemäss auch seinen Leib fort-
während den physischen und organischen Gesetzen unter-
worfen, sich denkt, oder dass man sein Leben bereits als
ein höheres, übermenschliches, und seinen Leib als einen
übernatürlichen, verklärten, sich vorstellt: so sind die zu-
sammengestellten Berichte von der Art, dass zunächst jede
der beiden Vorstellungsweisen sich auf gewisse Züge in
denselben berufen kann. Die menschliche Gestalt mit ihren
natürlichen Gliedmassen, die Möglichkeit, an derselben
wieder erkannt zu werden, die Fortdauer der Wundenma-
le, das menschliche Reden, Gehen, Brotbrechen: das Alles
scheint für ein völlig natürliches Leben Jesu auch nach
der Auferstehung zu sprechen. Könnte man doch noch
Zweifel hegen, und vermuthen, es möge wohl auch eine
höhere, himmlische Leiblichkeit ein solches Aussehen sich
geben und solche Funktionen verrichten können: so wer-
den doch alle Bedenklichkeiten durch die zwei weiteren
Züge niedergeschlagen, dass Jesus nach der Auferstehung
irdische Nahrung genossen und sich hat betasten lassen.
Wenn dergleichen wohl in alten Mythen auch höhe-
ren Wesen zugeschrieben sein mag, wie das Essen
den drei himmlischen Gestalten, von welchen Abraham
einen Besuch erhält (1. Mos. 18, 8.), die Tastbarkeit
dem mit Jakob ringenden Gott (1. Mos. 32, 24 ff.): so
muss doch darauf beharrt werden, dass in der Wirklich-
keit Beides nur bei Wesen mit materiellem, organischem
Leibe vorkommen kann. Daher finden denn nicht allein
die rationalistischen, sondern auch orthodoxe Ausleger in

sonst, bekannt waren, glaubte sie in der Weise des vierten
Evangeliums als verdeckte Weissagung auf den Kreuzestod
des Petrus verwenden zu können.
Viertes Kapitel. §. 135.

Sind nun die beiden Hauptvorstellungen, die man von
dem Leben Jesu nach seiner Auferstehung haben kann,
die, daſs man dasselbe entweder als ein natürliches, voll-
kommen menschliches, demgemäſs auch seinen Leib fort-
während den physischen und organischen Gesetzen unter-
worfen, sich denkt, oder daſs man sein Leben bereits als
ein höheres, übermenschliches, und seinen Leib als einen
übernatürlichen, verklärten, sich vorstellt: so sind die zu-
sammengestellten Berichte von der Art, daſs zunächst jede
der beiden Vorstellungsweisen sich auf gewisse Züge in
denselben berufen kann. Die menschliche Gestalt mit ihren
natürlichen Gliedmaſsen, die Möglichkeit, an derselben
wieder erkannt zu werden, die Fortdauer der Wundenma-
le, das menschliche Reden, Gehen, Brotbrechen: das Alles
scheint für ein völlig natürliches Leben Jesu auch nach
der Auferstehung zu sprechen. Könnte man doch noch
Zweifel hegen, und vermuthen, es möge wohl auch eine
höhere, himmlische Leiblichkeit ein solches Aussehen sich
geben und solche Funktionen verrichten können: so wer-
den doch alle Bedenklichkeiten durch die zwei weiteren
Züge niedergeschlagen, daſs Jesus nach der Auferstehung
irdische Nahrung genossen und sich hat betasten lassen.
Wenn dergleichen wohl in alten Mythen auch höhe-
ren Wesen zugeschrieben sein mag, wie das Essen
den drei himmlischen Gestalten, von welchen Abraham
einen Besuch erhält (1. Mos. 18, 8.), die Tastbarkeit
dem mit Jakob ringenden Gott (1. Mos. 32, 24 ff.): so
muſs doch darauf beharrt werden, daſs in der Wirklich-
keit Beides nur bei Wesen mit materiellem, organischem
Leibe vorkommen kann. Daher finden denn nicht allein
die rationalistischen, sondern auch orthodoxe Ausleger in

sonst, bekannt waren, glaubte sie in der Weise des vierten
Evangeliums als verdeckte Weissagung auf den Kreuzestod
des Petrus verwenden zu können.
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[633/0652] Viertes Kapitel. §. 135. Sind nun die beiden Hauptvorstellungen, die man von dem Leben Jesu nach seiner Auferstehung haben kann, die, daſs man dasselbe entweder als ein natürliches, voll- kommen menschliches, demgemäſs auch seinen Leib fort- während den physischen und organischen Gesetzen unter- worfen, sich denkt, oder daſs man sein Leben bereits als ein höheres, übermenschliches, und seinen Leib als einen übernatürlichen, verklärten, sich vorstellt: so sind die zu- sammengestellten Berichte von der Art, daſs zunächst jede der beiden Vorstellungsweisen sich auf gewisse Züge in denselben berufen kann. Die menschliche Gestalt mit ihren natürlichen Gliedmaſsen, die Möglichkeit, an derselben wieder erkannt zu werden, die Fortdauer der Wundenma- le, das menschliche Reden, Gehen, Brotbrechen: das Alles scheint für ein völlig natürliches Leben Jesu auch nach der Auferstehung zu sprechen. Könnte man doch noch Zweifel hegen, und vermuthen, es möge wohl auch eine höhere, himmlische Leiblichkeit ein solches Aussehen sich geben und solche Funktionen verrichten können: so wer- den doch alle Bedenklichkeiten durch die zwei weiteren Züge niedergeschlagen, daſs Jesus nach der Auferstehung irdische Nahrung genossen und sich hat betasten lassen. Wenn dergleichen wohl in alten Mythen auch höhe- ren Wesen zugeschrieben sein mag, wie das Essen den drei himmlischen Gestalten, von welchen Abraham einen Besuch erhält (1. Mos. 18, 8.), die Tastbarkeit dem mit Jakob ringenden Gott (1. Mos. 32, 24 ff.): so muſs doch darauf beharrt werden, daſs in der Wirklich- keit Beides nur bei Wesen mit materiellem, organischem Leibe vorkommen kann. Daher finden denn nicht allein die rationalistischen, sondern auch orthodoxe Ausleger in 2) 2) sonst, bekannt waren, glaubte sie in der Weise des vierten Evangeliums als verdeckte Weissagung auf den Kreuzestod des Petrus verwenden zu können.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/652>, abgerufen am 23.11.2024.