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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
Sabbat weitere Specereien bereit gelegt hätten, dann aber
wäre auch diess als zu wenig befunden worden, und sie
hätten am Morgen nach dem Sabbat noch etwas Weiteres
dazugekauft.

So nämlich müsste man doch consequenterweise auch den
zweiten Widerspruch lösen, welcher zwischen den zwei
mittleren Evangelisten zusammen und dem vierten statt-
findet, dass nämlich nach diesem Jesus bei seiner Grable-
gung mit 100 Pfund Salben einbalsamirt worden, nach je-
nen dagegen die Einbalsamirung bis nach dem Sabbat vor-
behalten war. Nun waren aber der Materie nach die 100
Pfund Myrrhen und Aloe mehr als genug: was fehlte, und
nach dem Sabbat nachgeholt werden sollte, könnte nur
etwa die Form gewesen sein, d. h. dass die Specereien noch
nicht auf die rechte Weise an dem Leichnam angebracht
waren, weil hierin der Anbruch des Sabbats unterbro-
chen hatte 10). Allein, wenn wir den Johannes hören, so
war die Beisetzung Jesu am Abend seines Todes kathos
ethos esi tois Ioudaiois entaphiazein, d. h. rite, in aller
Form, vorgenommen worden, indem der Leichnam meta
ton aromaton in othonia gebunden wurde (V. 40.), was
eben das Ganze der jüdischen Einbalsamirung war, wel-
cher somit nach Johannes auch in Betreff der Form nichts
mehr fehlte 11); abgesehen davon, dass, wenn doch die
Weiber nach Markus und Lukas neue Specereien kaufen
und in Bereitschaft stellen, die Einbalsamirung des Niko-
demus auch materiell unvollständig gewesen sein müsste.
Da somit an der Bestattung Jesu, wie sie Johannes er-
zählt, objektiv nichts gefehlt haben kann: so soll sie doch
subjektiv für die Weiber eine nicht vorgenommene gewe-
sen sein, d. h. sie sollen nicht gewusst haben, dass Jesus

10) So Tholuck, z. d. St.
11) s. den Fragmentisten, a. a. O., S. 469 ff.

Dritter Abschnitt.
Sabbat weitere Specereien bereit gelegt hätten, dann aber
wäre auch dieſs als zu wenig befunden worden, und sie
hätten am Morgen nach dem Sabbat noch etwas Weiteres
dazugekauft.

So nämlich müſste man doch consequenterweise auch den
zweiten Widerspruch lösen, welcher zwischen den zwei
mittleren Evangelisten zusammen und dem vierten statt-
findet, daſs nämlich nach diesem Jesus bei seiner Grable-
gung mit 100 Pfund Salben einbalsamirt worden, nach je-
nen dagegen die Einbalsamirung bis nach dem Sabbat vor-
behalten war. Nun waren aber der Materie nach die 100
Pfund Myrrhen und Aloë mehr als genug: was fehlte, und
nach dem Sabbat nachgeholt werden sollte, könnte nur
etwa die Form gewesen sein, d. h. daſs die Specereien noch
nicht auf die rechte Weise an dem Leichnam angebracht
waren, weil hierin der Anbruch des Sabbats unterbro-
chen hatte 10). Allein, wenn wir den Johannes hören, so
war die Beisetzung Jesu am Abend seines Todes καϑως
ἔϑος ἐςὶ τοῖς Ἰουδαίοις ἐνταφιάζειν, d. h. rite, in aller
Form, vorgenommen worden, indem der Leichnam μετὰ
τῶν ἀρωμάτων in ὀϑόνια gebunden wurde (V. 40.), was
eben das Ganze der jüdischen Einbalsamirung war, wel-
cher somit nach Johannes auch in Betreff der Form nichts
mehr fehlte 11); abgesehen davon, daſs, wenn doch die
Weiber nach Markus und Lukas neue Specereien kaufen
und in Bereitschaft stellen, die Einbalsamirung des Niko-
demus auch materiell unvollständig gewesen sein müſste.
Da somit an der Bestattung Jesu, wie sie Johannes er-
zählt, objektiv nichts gefehlt haben kann: so soll sie doch
subjektiv für die Weiber eine nicht vorgenommene gewe-
sen sein, d. h. sie sollen nicht gewuſst haben, daſs Jesus

10) So Tholuck, z. d. St.
11) s. den Fragmentisten, a. a. O., S. 469 ff.
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[578/0597] Dritter Abschnitt. Sabbat weitere Specereien bereit gelegt hätten, dann aber wäre auch dieſs als zu wenig befunden worden, und sie hätten am Morgen nach dem Sabbat noch etwas Weiteres dazugekauft. So nämlich müſste man doch consequenterweise auch den zweiten Widerspruch lösen, welcher zwischen den zwei mittleren Evangelisten zusammen und dem vierten statt- findet, daſs nämlich nach diesem Jesus bei seiner Grable- gung mit 100 Pfund Salben einbalsamirt worden, nach je- nen dagegen die Einbalsamirung bis nach dem Sabbat vor- behalten war. Nun waren aber der Materie nach die 100 Pfund Myrrhen und Aloë mehr als genug: was fehlte, und nach dem Sabbat nachgeholt werden sollte, könnte nur etwa die Form gewesen sein, d. h. daſs die Specereien noch nicht auf die rechte Weise an dem Leichnam angebracht waren, weil hierin der Anbruch des Sabbats unterbro- chen hatte 10). Allein, wenn wir den Johannes hören, so war die Beisetzung Jesu am Abend seines Todes καϑως ἔϑος ἐςὶ τοῖς Ἰουδαίοις ἐνταφιάζειν, d. h. rite, in aller Form, vorgenommen worden, indem der Leichnam μετὰ τῶν ἀρωμάτων in ὀϑόνια gebunden wurde (V. 40.), was eben das Ganze der jüdischen Einbalsamirung war, wel- cher somit nach Johannes auch in Betreff der Form nichts mehr fehlte 11); abgesehen davon, daſs, wenn doch die Weiber nach Markus und Lukas neue Specereien kaufen und in Bereitschaft stellen, die Einbalsamirung des Niko- demus auch materiell unvollständig gewesen sein müſste. Da somit an der Bestattung Jesu, wie sie Johannes er- zählt, objektiv nichts gefehlt haben kann: so soll sie doch subjektiv für die Weiber eine nicht vorgenommene gewe- sen sein, d. h. sie sollen nicht gewuſst haben, daſs Jesus 10) So Tholuck, z. d. St. 11) s. den Fragmentisten, a. a. O., S. 469 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/597>, abgerufen am 23.05.2024.