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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Viertes Kapitel. §. 131.
bereits durch Nikodemus und Joseph einbalsamirt war 12).
Man erstaunt über eine solche Behauptung, da man doch
bei den Synoptikern ausdrücklich liest, dass die Frauen
bei der Bestattung Jesu zugegen gewesen seien, und nicht
bloss den Ort (pou tithetai, Markus), sondern auch die Art,
wie er beigesezt wurde (os etethe, Lukas) mit angesehen
haben.

Die dritte diesen Punkt betreffende Abweichung, wel-
che zwischen Matthäus und den übrigen insofern stattfin-
det, als jener überhaupt von keiner Einbalsamirung, we-
der vor noch nach dem Sabbat, weiss, hat man, weil sie
bloss im Schweigen eines Referenten besteht, bisher wenig
berücksichtigt, und selbst der Wolfenbüttler gab zu, dass in
der von Matthäus gemeldeten Einwickelung in reine Lein-
wand die jüdische Einbalsamirung bereits mitenthalten
sei. Allein diessmal möchte doch wohl ex silentio ein Ar-
gument sich ziehen lassen. Wenn man in der Erzählung
von der Bethanischen Salbung das Wort Jesu liest, durch
ihre That habe die Frau die Salbung seines Leibes zum
Begräbniss anticipirt (Matth. 26, 12. parell.): so hat diess
zwar allerdings in allen Relationen seinen Sinn, einen
ganz besonders treffenden aber doch bei Matthäus, nach
dessen weiterer Erzählung bei'm Begräbniss Jesu keine
Salbung stattfand, und nur hieraus scheint sich auch das
besondere Gewicht, welches die evangelische Tradition
auf jene Handlung der Frau legte, genügend zu erklären.
War dem als Messias Verehrten bei seinem Begräbniss im
Drang der ungünstigen Umstände die gebührende Ehre der
Einbalsamirung nicht geworden: so musste freilich der
Blick seiner Anhänger mit besonderem Wohlgefallen auf
einer Begebenheit aus dem lezten Abschnitt seines Lebens
ruhen, wo eine demuthsvolle Verehrerin, wie wenn sie

12) Michaelis, a. a. O., S. 99 f., Kuinöl und Lücke lassen zwi-
schen dieser Auskunft und der vorigen die Wahl.
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Viertes Kapitel. §. 131.
bereits durch Nikodemus und Joseph einbalsamirt war 12).
Man erstaunt über eine solche Behauptung, da man doch
bei den Synoptikern ausdrücklich liest, daſs die Frauen
bei der Bestattung Jesu zugegen gewesen seien, und nicht
bloſs den Ort (ποῦ τίϑεται, Markus), sondern auch die Art,
wie er beigesezt wurde (ὡς ἐτέϑη, Lukas) mit angesehen
haben.

Die dritte diesen Punkt betreffende Abweichung, wel-
che zwischen Matthäus und den übrigen insofern stattfin-
det, als jener überhaupt von keiner Einbalsamirung, we-
der vor noch nach dem Sabbat, weiſs, hat man, weil sie
bloſs im Schweigen eines Referenten besteht, bisher wenig
berücksichtigt, und selbst der Wolfenbüttler gab zu, daſs in
der von Matthäus gemeldeten Einwickelung in reine Lein-
wand die jüdische Einbalsamirung bereits mitenthalten
sei. Allein dieſsmal möchte doch wohl ex silentio ein Ar-
gument sich ziehen lassen. Wenn man in der Erzählung
von der Bethanischen Salbung das Wort Jesu liest, durch
ihre That habe die Frau die Salbung seines Leibes zum
Begräbniſs anticipirt (Matth. 26, 12. parell.): so hat dieſs
zwar allerdings in allen Relationen seinen Sinn, einen
ganz besonders treffenden aber doch bei Matthäus, nach
dessen weiterer Erzählung bei'm Begräbniſs Jesu keine
Salbung stattfand, und nur hieraus scheint sich auch das
besondere Gewicht, welches die evangelische Tradition
auf jene Handlung der Frau legte, genügend zu erklären.
War dem als Messias Verehrten bei seinem Begräbniſs im
Drang der ungünstigen Umstände die gebührende Ehre der
Einbalsamirung nicht geworden: so muſste freilich der
Blick seiner Anhänger mit besonderem Wohlgefallen auf
einer Begebenheit aus dem lezten Abschnitt seines Lebens
ruhen, wo eine demuthsvolle Verehrerin, wie wenn sie

12) Michaelis, a. a. O., S. 99 f., Kuinöl und Lücke lassen zwi-
schen dieser Auskunft und der vorigen die Wahl.
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[579/0598] Viertes Kapitel. §. 131. bereits durch Nikodemus und Joseph einbalsamirt war 12). Man erstaunt über eine solche Behauptung, da man doch bei den Synoptikern ausdrücklich liest, daſs die Frauen bei der Bestattung Jesu zugegen gewesen seien, und nicht bloſs den Ort (ποῦ τίϑεται, Markus), sondern auch die Art, wie er beigesezt wurde (ὡς ἐτέϑη, Lukas) mit angesehen haben. Die dritte diesen Punkt betreffende Abweichung, wel- che zwischen Matthäus und den übrigen insofern stattfin- det, als jener überhaupt von keiner Einbalsamirung, we- der vor noch nach dem Sabbat, weiſs, hat man, weil sie bloſs im Schweigen eines Referenten besteht, bisher wenig berücksichtigt, und selbst der Wolfenbüttler gab zu, daſs in der von Matthäus gemeldeten Einwickelung in reine Lein- wand die jüdische Einbalsamirung bereits mitenthalten sei. Allein dieſsmal möchte doch wohl ex silentio ein Ar- gument sich ziehen lassen. Wenn man in der Erzählung von der Bethanischen Salbung das Wort Jesu liest, durch ihre That habe die Frau die Salbung seines Leibes zum Begräbniſs anticipirt (Matth. 26, 12. parell.): so hat dieſs zwar allerdings in allen Relationen seinen Sinn, einen ganz besonders treffenden aber doch bei Matthäus, nach dessen weiterer Erzählung bei'm Begräbniſs Jesu keine Salbung stattfand, und nur hieraus scheint sich auch das besondere Gewicht, welches die evangelische Tradition auf jene Handlung der Frau legte, genügend zu erklären. War dem als Messias Verehrten bei seinem Begräbniſs im Drang der ungünstigen Umstände die gebührende Ehre der Einbalsamirung nicht geworden: so muſste freilich der Blick seiner Anhänger mit besonderem Wohlgefallen auf einer Begebenheit aus dem lezten Abschnitt seines Lebens ruhen, wo eine demuthsvolle Verehrerin, wie wenn sie 12) Michaelis, a. a. O., S. 99 f., Kuinöl und Lücke lassen zwi- schen dieser Auskunft und der vorigen die Wahl. 37 *

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/598>, abgerufen am 22.11.2024.