daion bezeichnet war. Lukas und Johannes melden, dass diese Aufschrift in drei Sprachen zu lesen gewesen sei, und der leztere giebt noch die Notiz, dass die jüdischen Obern den Spott, der in dieser Fassung der Überschrift gegen ihre Nation lag, wohl gefühlt, und desshalb den Pilatus, jedoch vergeblich, um Abänderung derselben ge- beten haben (V. 21 f.).
Von den Soldaten, welche Jesum gekreuzigt hatten, deren Zahl Johannes auf vier angiebt, berichten die Evan- gelisten einstimmig, dass sie die Kleider Jesu mit Anwen- dung des Looses unter sich vertheilt haben. Nach dem römischen Gesez de bonis damnatorum29) fielen die Klei- dungsstücke der Hingerichteten als spolia den Vollstreckern des Urtheils zu, und insofern hat jene Angabe der Evan- gelisten einen historischen Anhaltspunkt. Doch, wie die meisten Züge dieser lezten Scene im Leben Jesu, hat sie auch einen prophetischen. Bei Matthäus zwar ist die An- führung der Stelle Ps. 22, 19. ohne Zweifel eingeschoben, sicher ächt dagegen dasselbe Citat bei Johannes (19, 24.): ina e graphe plerothe e legousa (wörtlich nach der LXX). diemerisanto ta imatia mou eautois, kai epi ton imatismon mouebalon kleron. Auch hier hat nach der Versicherung der orthodoxen Ausleger der Verfasser des Psalms, David, nach einer höheren Leitung, im Zustand der Begeisterung solche bildliche Ausdrücke gewählt, welche bei Christo in eigentlichem Sinne zugetroffen sind 30). Vielmehr aber gab David, oder wer sonst der Urheber des Psalms ist, als ein Mann von dichterischem Geist jene Ausdrücke nur bildlich, im Sinne von gänzlichem Unterliegen; aber die kleinlichte, prosaische Auslegungsweise der späteren Ju-
29) Angeführt bei Wetstein, p. 536, womit übrigens die Text- berichtigung von Paulus, ex. Handb. 3, b, S. 761, zu ver- gleichen ist.
30)Tholuck, S. 341.
Drittes Kapitel. §. 128.
δαίων bezeichnet war. Lukas und Johannes melden, daſs diese Aufschrift in drei Sprachen zu lesen gewesen sei, und der leztere giebt noch die Notiz, daſs die jüdischen Obern den Spott, der in dieser Fassung der Überschrift gegen ihre Nation lag, wohl gefühlt, und deſshalb den Pilatus, jedoch vergeblich, um Abänderung derselben ge- beten haben (V. 21 f.).
Von den Soldaten, welche Jesum gekreuzigt hatten, deren Zahl Johannes auf vier angiebt, berichten die Evan- gelisten einstimmig, daſs sie die Kleider Jesu mit Anwen- dung des Looses unter sich vertheilt haben. Nach dem römischen Gesez de bonis damnatorum29) fielen die Klei- dungsstücke der Hingerichteten als spolia den Vollstreckern des Urtheils zu, und insofern hat jene Angabe der Evan- gelisten einen historischen Anhaltspunkt. Doch, wie die meisten Züge dieser lezten Scene im Leben Jesu, hat sie auch einen prophetischen. Bei Matthäus zwar ist die An- führung der Stelle Ps. 22, 19. ohne Zweifel eingeschoben, sicher ächt dagegen dasselbe Citat bei Johannes (19, 24.): ἵνα ἡ γραφὴ πληρωϑῇ ἡ λέγουσα (wörtlich nach der LXX). διεμερίσαντο τὰ ἱμάτιά μου ἑαυτοῖς, καὶ ἐπὶ τὸν ἱματισμόν μουἔβαλον κλῆρον. Auch hier hat nach der Versicherung der orthodoxen Ausleger der Verfasser des Psalms, David, nach einer höheren Leitung, im Zustand der Begeisterung solche bildliche Ausdrücke gewählt, welche bei Christo in eigentlichem Sinne zugetroffen sind 30). Vielmehr aber gab David, oder wer sonst der Urheber des Psalms ist, als ein Mann von dichterischem Geist jene Ausdrücke nur bildlich, im Sinne von gänzlichem Unterliegen; aber die kleinlichte, prosaische Auslegungsweise der späteren Ju-
29) Angeführt bei Wetstein, p. 536, womit übrigens die Text- berichtigung von Paulus, ex. Handb. 3, b, S. 761, zu ver- gleichen ist.
30)Tholuck, S. 341.
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Drittes Kapitel. §. 128.
δαίων bezeichnet war. Lukas und Johannes melden, daſs
diese Aufschrift in drei Sprachen zu lesen gewesen sei,
und der leztere giebt noch die Notiz, daſs die jüdischen
Obern den Spott, der in dieser Fassung der Überschrift
gegen ihre Nation lag, wohl gefühlt, und deſshalb den
Pilatus, jedoch vergeblich, um Abänderung derselben ge-
beten haben (V. 21 f.).
Von den Soldaten, welche Jesum gekreuzigt hatten,
deren Zahl Johannes auf vier angiebt, berichten die Evan-
gelisten einstimmig, daſs sie die Kleider Jesu mit Anwen-
dung des Looses unter sich vertheilt haben. Nach dem
römischen Gesez de bonis damnatorum 29) fielen die Klei-
dungsstücke der Hingerichteten als spolia den Vollstreckern
des Urtheils zu, und insofern hat jene Angabe der Evan-
gelisten einen historischen Anhaltspunkt. Doch, wie die
meisten Züge dieser lezten Scene im Leben Jesu, hat sie
auch einen prophetischen. Bei Matthäus zwar ist die An-
führung der Stelle Ps. 22, 19. ohne Zweifel eingeschoben,
sicher ächt dagegen dasselbe Citat bei Johannes (19, 24.):
ἵνα ἡ γραφὴ πληρωϑῇ ἡ λέγουσα (wörtlich nach der LXX).
διεμερίσαντο τὰ ἱμάτιά μου ἑαυτοῖς, καὶ ἐπὶ τὸν ἱματισμόν
μουἔβαλον κλῆρον. Auch hier hat nach der Versicherung
der orthodoxen Ausleger der Verfasser des Psalms, David,
nach einer höheren Leitung, im Zustand der Begeisterung
solche bildliche Ausdrücke gewählt, welche bei Christo in
eigentlichem Sinne zugetroffen sind 30). Vielmehr aber
gab David, oder wer sonst der Urheber des Psalms ist,
als ein Mann von dichterischem Geist jene Ausdrücke nur
bildlich, im Sinne von gänzlichem Unterliegen; aber die
kleinlichte, prosaische Auslegungsweise der späteren Ju-
29) Angeführt bei Wetstein, p. 536, womit übrigens die Text-
berichtigung von Paulus, ex. Handb. 3, b, S. 761, zu ver-
gleichen ist.
30) Tholuck, S. 341.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/560>, abgerufen am 22.11.2024.
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