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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Drittes Kapitel. §. 123.
odegos tois sullabousi ton Iesoun gewesen (A. G. 1, 16.),
darin stimmen alle Evangelien zusammen. Nun aber, wäh-
rend nach der synoptischen Darstellung zum Geschäft des
Judas ausser der Ortsbezeichnung auch noch die Bezeich-
nung der Person gehört, welche durch den Kuss geschieht:
lässt Johannes die Thätigkeit des Verräthers mit der Be-
zeichnung des Orts ihr Ende erreichen, und ihn nach der
Ankunft an Ort und Stelle müssig bei den Übrigen stehen
(eisekei de kai Ioudas -- met auton. V. 5.). Warum die jo-
hanneische Darstellung dem Judas das Geschäft der per-
sönlichen Bezeichnung Jesu nicht ertheilt, ist leicht zu se-
hen: damit nämlich Jesus nicht als ein Überlieferter, son-
dern als ein sich selbst Überliefernder, somit sein Leiden
in höherem Grad als frei übernommenes erscheinen möchte.
Man darf sich nur erinnern, wie von jeher die Gegner des
Christenthums Jesu seinen Weggang aus der Stadt in den
abgelegenen Garten als schimpfliche Flucht vor seinen Fein-
den aufrechneten 5), um es begreiflich zu finden, dass früh-
zeitig unter den Christen eine Neigung entstand, die Art,
wie er sich bei seiner Verhaftung benahm, noch in höhe-
rem Grade, als diess in der gewöhnlichen Evangelientradi-
tion der Fall war, im Lichte einer freiwilligen Hingabe er-
scheinen zu lassen.

Reiht sich nun bei den Synoptikern an den Judaskuss
eine einschneidende Frage Jesu an den Verräther, so schliesst
sich bei Johannes an das von Jesu gesprochene: ego eimi
die Erwähnung, dass vor diesem Machtworte die zu seiner
Verhaftung gekommene Schaar zurückgewichen und zu Bo-
den gefallen sei, so dass Jesus seine Erklärung wiederho-
len, und die Leute gleichsam ermuthigen musste, ihn zu
greifen. Hierin will man neuerdings kein Wunder mehr

5) So sagt der Jude des Celsus bei Orig. c. Cels. 2, 9: epeide
emeis elegxantes auton kai katagnontes exioumen kolazesthai,
kruptomenos men kai diadidraskon eponeidisotata ealo.

Drittes Kapitel. §. 123.
ὁδηγὸς τοῖς συλλαβοῦσι τὸν Ἰησοῦν gewesen (A. G. 1, 16.),
darin stimmen alle Evangelien zusammen. Nun aber, wäh-
rend nach der synoptischen Darstellung zum Geschäft des
Judas ausser der Ortsbezeichnung auch noch die Bezeich-
nung der Person gehört, welche durch den Kuſs geschieht:
läſst Johannes die Thätigkeit des Verräthers mit der Be-
zeichnung des Orts ihr Ende erreichen, und ihn nach der
Ankunft an Ort und Stelle müſsig bei den Übrigen stehen
(εἱςήκει δὲ καὶ Ἰουδας — μετ̕ αὐτῶν. V. 5.). Warum die jo-
hanneische Darstellung dem Judas das Geschäft der per-
sönlichen Bezeichnung Jesu nicht ertheilt, ist leicht zu se-
hen: damit nämlich Jesus nicht als ein Überlieferter, son-
dern als ein sich selbst Überliefernder, somit sein Leiden
in höherem Grad als frei übernommenes erscheinen möchte.
Man darf sich nur erinnern, wie von jeher die Gegner des
Christenthums Jesu seinen Weggang aus der Stadt in den
abgelegenen Garten als schimpfliche Flucht vor seinen Fein-
den aufrechneten 5), um es begreiflich zu finden, daſs früh-
zeitig unter den Christen eine Neigung entstand, die Art,
wie er sich bei seiner Verhaftung benahm, noch in höhe-
rem Grade, als dieſs in der gewöhnlichen Evangelientradi-
tion der Fall war, im Lichte einer freiwilligen Hingabe er-
scheinen zu lassen.

Reiht sich nun bei den Synoptikern an den Judaskuſs
eine einschneidende Frage Jesu an den Verräther, so schlieſst
sich bei Johannes an das von Jesu gesprochene: ἐγώ εἰμι
die Erwähnung, daſs vor diesem Machtworte die zu seiner
Verhaftung gekommene Schaar zurückgewichen und zu Bo-
den gefallen sei, so daſs Jesus seine Erklärung wiederho-
len, und die Leute gleichsam ermuthigen muſste, ihn zu
greifen. Hierin will man neuerdings kein Wunder mehr

5) So sagt der Jude des Celsus bei Orig. c. Cels. 2, 9: ἐπειδὴ
ἡμεῖς ἐλέγξαντες αὐτὸν καὶ καταγνόντες ἠξιοῦμεν κολάζεσϑαι,
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[475/0494] Drittes Kapitel. §. 123. ὁδηγὸς τοῖς συλλαβοῦσι τὸν Ἰησοῦν gewesen (A. G. 1, 16.), darin stimmen alle Evangelien zusammen. Nun aber, wäh- rend nach der synoptischen Darstellung zum Geschäft des Judas ausser der Ortsbezeichnung auch noch die Bezeich- nung der Person gehört, welche durch den Kuſs geschieht: läſst Johannes die Thätigkeit des Verräthers mit der Be- zeichnung des Orts ihr Ende erreichen, und ihn nach der Ankunft an Ort und Stelle müſsig bei den Übrigen stehen (εἱςήκει δὲ καὶ Ἰουδας — μετ̕ αὐτῶν. V. 5.). Warum die jo- hanneische Darstellung dem Judas das Geschäft der per- sönlichen Bezeichnung Jesu nicht ertheilt, ist leicht zu se- hen: damit nämlich Jesus nicht als ein Überlieferter, son- dern als ein sich selbst Überliefernder, somit sein Leiden in höherem Grad als frei übernommenes erscheinen möchte. Man darf sich nur erinnern, wie von jeher die Gegner des Christenthums Jesu seinen Weggang aus der Stadt in den abgelegenen Garten als schimpfliche Flucht vor seinen Fein- den aufrechneten 5), um es begreiflich zu finden, daſs früh- zeitig unter den Christen eine Neigung entstand, die Art, wie er sich bei seiner Verhaftung benahm, noch in höhe- rem Grade, als dieſs in der gewöhnlichen Evangelientradi- tion der Fall war, im Lichte einer freiwilligen Hingabe er- scheinen zu lassen. Reiht sich nun bei den Synoptikern an den Judaskuſs eine einschneidende Frage Jesu an den Verräther, so schlieſst sich bei Johannes an das von Jesu gesprochene: ἐγώ εἰμι die Erwähnung, daſs vor diesem Machtworte die zu seiner Verhaftung gekommene Schaar zurückgewichen und zu Bo- den gefallen sei, so daſs Jesus seine Erklärung wiederho- len, und die Leute gleichsam ermuthigen muſste, ihn zu greifen. Hierin will man neuerdings kein Wunder mehr 5) So sagt der Jude des Celsus bei Orig. c. Cels. 2, 9: ἐπειδὴ ἡμεῖς ἐλέγξαντες αὐτὸν καὶ καταγνόντες ἠξιοῦμεν κολάζεσϑαι, κρυπτόμενος μὲν καὶ διαδιδράσκων ἐπονειδιςότατα ἑάλω.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/494>, abgerufen am 22.11.2024.