Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. geben worden, jenem Abgrund zu entgehen 4): aber Jesushatte ja vorausgesehen, dass sich diese Möglichkeit nicht verwirklichen würde; man sagt weiter, auch in andern Kreisen würde das in Judas gelegene Böse sich, nur in andrer Form, entwickelt haben, was schon stark determi- nistisch klingt; so wie vollends die Behauptung, es sei kei- ne wahre Hülfe für den Menschen, wenn das Böse, wozu der Keim in ihm liegt, nicht zur Ausbildung komme, auf Consequenzen zu führen scheint, wie sie Röm. 3, 8. 6, 1 f. verworfen sind. Und auch nur von der gemüthlichen Sei- te angesehen, -- wie konnte Jesus es ertragen, einen Men- schen, von welchem er wusste, dass er sein Verräther werden, und alle Unterweisung an ihm fruchtlos bleiben würde, die ganze Zeit seines öffentlichen Lebens hin- durch um sich zu haben? musste ihm durch denselben nicht jede Stunde traulichen Zusammenseins mit den Zwöl- fen verkümmert werden? Gewiss triftige Gründe müssten es gewesen sein, um deren willen Jesus sich dieses Widri- ge und Harte aufgelegt hätte. Solche Grunde und Zwecke konnten sich entweder auf den Judas beziehen, und hier also in der Absicht bestehen, ihn zu bessern, welche aber durch die bestimmte Voraussicht seines Verbrechens zum Voraus abgeschnitten war; oder sie bezogen sich auf Je- sum selbst und sein Werk, so dass er die Überzeugung gehabt hätte, wenn die Erlösung durch seinen Tod zu Stan- de kommen solle, müsse auch einer sein, der ihn verra- the 5). Allein zu jenem Zwecke war nach christlicher Vor- aussetzung nur der Tod Jesu ein unentbehrliches Mittel: ob dieser aber mittelst eines Verraths, oder wie sonst, her- beigeführt wurde, hatte für den Erlösungszweck kein Mo- ment, und dass es den Feinden Jesu auch ohne den Judas 4) Diesen und die folgenden Gründe s. bei Olshausen, 2, S. 458 ff. 5) Olshausen, a. a. O.
Dritter Abschnitt. geben worden, jenem Abgrund zu entgehen 4): aber Jesushatte ja vorausgesehen, daſs sich diese Möglichkeit nicht verwirklichen würde; man sagt weiter, auch in andern Kreisen würde das in Judas gelegene Böse sich, nur in andrer Form, entwickelt haben, was schon stark determi- nistisch klingt; so wie vollends die Behauptung, es sei kei- ne wahre Hülfe für den Menschen, wenn das Böse, wozu der Keim in ihm liegt, nicht zur Ausbildung komme, auf Consequenzen zu führen scheint, wie sie Röm. 3, 8. 6, 1 f. verworfen sind. Und auch nur von der gemüthlichen Sei- te angesehen, — wie konnte Jesus es ertragen, einen Men- schen, von welchem er wuſste, daſs er sein Verräther werden, und alle Unterweisung an ihm fruchtlos bleiben würde, die ganze Zeit seines öffentlichen Lebens hin- durch um sich zu haben? muſste ihm durch denselben nicht jede Stunde traulichen Zusammenseins mit den Zwöl- fen verkümmert werden? Gewiſs triftige Gründe müſsten es gewesen sein, um deren willen Jesus sich dieses Widri- ge und Harte aufgelegt hätte. Solche Grunde und Zwecke konnten sich entweder auf den Judas beziehen, und hier also in der Absicht bestehen, ihn zu bessern, welche aber durch die bestimmte Voraussicht seines Verbrechens zum Voraus abgeschnitten war; oder sie bezogen sich auf Je- sum selbst und sein Werk, so daſs er die Überzeugung gehabt hätte, wenn die Erlösung durch seinen Tod zu Stan- de kommen solle, müsse auch einer sein, der ihn verra- the 5). Allein zu jenem Zwecke war nach christlicher Vor- aussetzung nur der Tod Jesu ein unentbehrliches Mittel: ob dieser aber mittelst eines Verraths, oder wie sonst, her- beigeführt wurde, hatte für den Erlösungszweck kein Mo- ment, und daſs es den Feinden Jesu auch ohne den Judas 4) Diesen und die folgenden Gründe s. bei Olshausen, 2, S. 458 ff. 5) Olshausen, a. a. O.
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Dritter Abschnitt.
geben worden, jenem Abgrund zu entgehen 4): aber Jesus
hatte ja vorausgesehen, daſs sich diese Möglichkeit nicht
verwirklichen würde; man sagt weiter, auch in andern
Kreisen würde das in Judas gelegene Böse sich, nur in
andrer Form, entwickelt haben, was schon stark determi-
nistisch klingt; so wie vollends die Behauptung, es sei kei-
ne wahre Hülfe für den Menschen, wenn das Böse, wozu
der Keim in ihm liegt, nicht zur Ausbildung komme, auf
Consequenzen zu führen scheint, wie sie Röm. 3, 8. 6, 1 f.
verworfen sind. Und auch nur von der gemüthlichen Sei-
te angesehen, — wie konnte Jesus es ertragen, einen Men-
schen, von welchem er wuſste, daſs er sein Verräther
werden, und alle Unterweisung an ihm fruchtlos bleiben
würde, die ganze Zeit seines öffentlichen Lebens hin-
durch um sich zu haben? muſste ihm durch denselben
nicht jede Stunde traulichen Zusammenseins mit den Zwöl-
fen verkümmert werden? Gewiſs triftige Gründe müſsten
es gewesen sein, um deren willen Jesus sich dieses Widri-
ge und Harte aufgelegt hätte. Solche Grunde und Zwecke
konnten sich entweder auf den Judas beziehen, und hier
also in der Absicht bestehen, ihn zu bessern, welche aber
durch die bestimmte Voraussicht seines Verbrechens zum
Voraus abgeschnitten war; oder sie bezogen sich auf Je-
sum selbst und sein Werk, so daſs er die Überzeugung
gehabt hätte, wenn die Erlösung durch seinen Tod zu Stan-
de kommen solle, müsse auch einer sein, der ihn verra-
the 5). Allein zu jenem Zwecke war nach christlicher Vor-
aussetzung nur der Tod Jesu ein unentbehrliches Mittel:
ob dieser aber mittelst eines Verraths, oder wie sonst, her-
beigeführt wurde, hatte für den Erlösungszweck kein Mo-
ment, und daſs es den Feinden Jesu auch ohne den Judas
4) Diesen und die folgenden Gründe s. bei Olshausen, 2, S.
458 ff.
5) Olshausen, a. a. O.
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