rend nun aber die Synoptiker innerhalb der Grenzen des mit Jesu reisenden Festzugs bleiben, lässt Johannes, wie schon oben erwähnt, die ganze Feierlichkeit von solchen ausgehen, die von Jerusalem aus Jesu entgegenzogen (V. 13.), wogegen dann die mit Jesu kommende Menge den Einho- lenden die von ihm vollbrachte Auferweckung des Laza- rus bezeugt, um deren willen nach Johannes die feierliche Einholung von Jerusalem aus veranstaltet war (V. 17 f.). Diesen Beweggrund können wir, da wir die Wiederbele- bung des Lazarus oben kritisch bezweifelt haben, nicht gelten lassen; mit seinem angeblichen Grunde aber wird auch das Faktum der Einholung selbst erschüttert, zumal wenn wir bedenken, wie die Würde Jesu es zu erfordern scheinen konnte, dass ihn die Davidsstadt feierlich einge- holt habe, und wie es auch sonst zu den Eigenthümlich- keiten der Darstellung des vierten Evangeliums gehört, vor der Ankunft Jesu zu den Festen die erwartungsvollen Re- den des Volks über ihn zu referiren (7, 11 ff. 11, 56.).
Der lezte Zug in dem vor uns liegenden Gemälde ist der Unwille der Feinde Jesu über die starke Anhänglich- keit des Volks an ihn, welche sich bei dieser Gelegenheit zeigte. Nach Johannes (V. 19.) sprachen die Pharisäer zu einander: da sehen wir, dass unser bisheriges (scho- nendes) Verfahren nichts nüzt; alle Welt hängt ihm ja an (wir werden anders einschreiten müssen). Nach Lukas (V. 39 f.) wandten sich einige Pharisäer an Jesum selbst mit dem Ansinnen, seinen Schülern Stillschweigen aufzu- legen, worauf er ihnen zur Antwort giebt, wenn diese nicht rufen, würden die Steine schreien. Während Lukas und Johannes diess noch auf dem Zuge vor sich gehen las- sen, ist es bei Matthäus erst nachher, als Jesus mit dem Festzug im Tempel angekommen war, und die Kinder auch hier fortfuhren, Hosianna dem Sohne Davids zu rufen, dass die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesum auf den
Zehntes Kapitel. §. 106.
rend nun aber die Synoptiker innerhalb der Grenzen des mit Jesu reisenden Festzugs bleiben, läſst Johannes, wie schon oben erwähnt, die ganze Feierlichkeit von solchen ausgehen, die von Jerusalem aus Jesu entgegenzogen (V. 13.), wogegen dann die mit Jesu kommende Menge den Einho- lenden die von ihm vollbrachte Auferweckung des Laza- rus bezeugt, um deren willen nach Johannes die feierliche Einholung von Jerusalem aus veranstaltet war (V. 17 f.). Diesen Beweggrund können wir, da wir die Wiederbele- bung des Lazarus oben kritisch bezweifelt haben, nicht gelten lassen; mit seinem angeblichen Grunde aber wird auch das Faktum der Einholung selbst erschüttert, zumal wenn wir bedenken, wie die Würde Jesu es zu erfordern scheinen konnte, daſs ihn die Davidsstadt feierlich einge- holt habe, und wie es auch sonst zu den Eigenthümlich- keiten der Darstellung des vierten Evangeliums gehört, vor der Ankunft Jesu zu den Festen die erwartungsvollen Re- den des Volks über ihn zu referiren (7, 11 ff. 11, 56.).
Der lezte Zug in dem vor uns liegenden Gemälde ist der Unwille der Feinde Jesu über die starke Anhänglich- keit des Volks an ihn, welche sich bei dieser Gelegenheit zeigte. Nach Johannes (V. 19.) sprachen die Pharisäer zu einander: da sehen wir, daſs unser bisheriges (scho- nendes) Verfahren nichts nüzt; alle Welt hängt ihm ja an (wir werden anders einschreiten müssen). Nach Lukas (V. 39 f.) wandten sich einige Pharisäer an Jesum selbst mit dem Ansinnen, seinen Schülern Stillschweigen aufzu- legen, worauf er ihnen zur Antwort giebt, wenn diese nicht rufen, würden die Steine schreien. Während Lukas und Johannes dieſs noch auf dem Zuge vor sich gehen las- sen, ist es bei Matthäus erst nachher, als Jesus mit dem Festzug im Tempel angekommen war, und die Kinder auch hier fortfuhren, Hosianna dem Sohne Davids zu rufen, daſs die Hohenpriester und Schriftgelehrten Jesum auf den
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Zehntes Kapitel. §. 106.
rend nun aber die Synoptiker innerhalb der Grenzen des
mit Jesu reisenden Festzugs bleiben, läſst Johannes, wie
schon oben erwähnt, die ganze Feierlichkeit von solchen
ausgehen, die von Jerusalem aus Jesu entgegenzogen (V. 13.),
wogegen dann die mit Jesu kommende Menge den Einho-
lenden die von ihm vollbrachte Auferweckung des Laza-
rus bezeugt, um deren willen nach Johannes die feierliche
Einholung von Jerusalem aus veranstaltet war (V. 17 f.).
Diesen Beweggrund können wir, da wir die Wiederbele-
bung des Lazarus oben kritisch bezweifelt haben, nicht
gelten lassen; mit seinem angeblichen Grunde aber wird
auch das Faktum der Einholung selbst erschüttert, zumal
wenn wir bedenken, wie die Würde Jesu es zu erfordern
scheinen konnte, daſs ihn die Davidsstadt feierlich einge-
holt habe, und wie es auch sonst zu den Eigenthümlich-
keiten der Darstellung des vierten Evangeliums gehört, vor
der Ankunft Jesu zu den Festen die erwartungsvollen Re-
den des Volks über ihn zu referiren (7, 11 ff. 11, 56.).
Der lezte Zug in dem vor uns liegenden Gemälde ist
der Unwille der Feinde Jesu über die starke Anhänglich-
keit des Volks an ihn, welche sich bei dieser Gelegenheit
zeigte. Nach Johannes (V. 19.) sprachen die Pharisäer
zu einander: da sehen wir, daſs unser bisheriges (scho-
nendes) Verfahren nichts nüzt; alle Welt hängt ihm ja an
(wir werden anders einschreiten müssen). Nach Lukas
(V. 39 f.) wandten sich einige Pharisäer an Jesum selbst
mit dem Ansinnen, seinen Schülern Stillschweigen aufzu-
legen, worauf er ihnen zur Antwort giebt, wenn diese
nicht rufen, würden die Steine schreien. Während Lukas
und Johannes dieſs noch auf dem Zuge vor sich gehen las-
sen, ist es bei Matthäus erst nachher, als Jesus mit dem
Festzug im Tempel angekommen war, und die Kinder auch
hier fortfuhren, Hosianna dem Sohne Davids zu rufen,
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/316>, abgerufen am 28.11.2024.
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