Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zehntes Kapitel. §. 106. soll nur beiläufig aufmerksam gemacht werden, was darinliegt, dass, nachdem bei allen drei Synoptikern Jesus den zwei abgeschickten Jüngern genau vorherb zeichnet hatte, wie sie den Esel finden, und womit sie den Eigenthümer desselben zufrieden stellen sollten, nun Markus und Lu- kas sich und dem Leser die Mühe nicht sparen, ausführ- lich und genau das Alles als eingetroffen zu wiederholen (Marc. V. 4 ff. Luc. V. 32 ff.), während Matthäus (V. 6.) geschickt durch ein poiesantes kathos prosetaxen autois o I. sich abfindet -- diess, als bloss die Form betreffend, soll hier nicht weiter geltend gemacht werden. Das aber be- trifft den Inhalt der Sache, dass nach Markus und Lukas Jesus ein Thier verlangte, eph o oudeis popote anthropon ekathise, ein Zug, von welchem Matthäus nichts weiss. Man begreift hier nicht, wie sich Jesus das Vorwärtskom- men durch die Wahl eines noch nicht zugerittenen Thiers absichtlich erschweren mochte, welches, wenn er es nicht durch göttliche Allmacht in Ordnung hielt (denn bei dem ersten Ritt auf einem solchen Thier reicht auch die gröss- te menschliche Reitkunst nicht aus), gewiss manche Stö- rung des festlichen Zugs herbeigeführt haben wird, zumal ihm kein Vorangehen des Mutterthiers zu Statten kam, welches nur im Kopfe des ersten Evangelisten mitgelaufen ist. Dieser Unannehmlichkeit hat Jesus gewiss nicht ohne triftigen Grund sich ausgesezt, und ein solcher scheint na- he genug zu liegen in der Ansicht des Alterthums, wel- cher zufolge, nach Wetstein's Ausdruck, animalia, usibus humanis nondum mancipata, sacra habebantur: so dass also Jesus für seine geheiligte Person und zu dem hohen Zwecke seines messianischen Einzugs auch nur ein heili- ges Thier hätte gebrauchen mögen. Näher erwogen jedoch wird man diess eitel finden, und wunderlich dazu; denn dem Esel konnte man es nicht ansehen, dass er noch nicht geritten war, ausser an der Ungebärdigkeit, mit welcher er den ruhigen Fortschritt des feierlichen Zuges gestört 19 *
Zehntes Kapitel. §. 106. soll nur beiläufig aufmerksam gemacht werden, was darinliegt, daſs, nachdem bei allen drei Synoptikern Jesus den zwei abgeschickten Jüngern genau vorherb zeichnet hatte, wie sie den Esel finden, und womit sie den Eigenthümer desselben zufrieden stellen sollten, nun Markus und Lu- kas sich und dem Leser die Mühe nicht sparen, ausführ- lich und genau das Alles als eingetroffen zu wiederholen (Marc. V. 4 ff. Luc. V. 32 ff.), während Matthäus (V. 6.) geschickt durch ein ποιήσαντες καϑὼς προσέταξεν αὐτοῖς ὁ Ἰ. sich abfindet — dieſs, als bloſs die Form betreffend, soll hier nicht weiter geltend gemacht werden. Das aber be- trifft den Inhalt der Sache, daſs nach Markus und Lukas Jesus ein Thier verlangte, ἐφ̕ ὅ ουδεὶς πώποτε ἀνϑρώπων ἐκάϑισε, ein Zug, von welchem Matthäus nichts weiſs. Man begreift hier nicht, wie sich Jesus das Vorwärtskom- men durch die Wahl eines noch nicht zugerittenen Thiers absichtlich erschweren mochte, welches, wenn er es nicht durch göttliche Allmacht in Ordnung hielt (denn bei dem ersten Ritt auf einem solchen Thier reicht auch die gröſs- te menschliche Reitkunst nicht aus), gewiſs manche Stö- rung des festlichen Zugs herbeigeführt haben wird, zumal ihm kein Vorangehen des Mutterthiers zu Statten kam, welches nur im Kopfe des ersten Evangelisten mitgelaufen ist. Dieser Unannehmlichkeit hat Jesus gewiſs nicht ohne triftigen Grund sich ausgesezt, und ein solcher scheint na- he genug zu liegen in der Ansicht des Alterthums, wel- cher zufolge, nach Wetstein's Ausdruck, animalia, usibus humanis nondum mancipata, sacra habebantur: so daſs also Jesus für seine geheiligte Person und zu dem hohen Zwecke seines messianischen Einzugs auch nur ein heili- ges Thier hätte gebrauchen mögen. Näher erwogen jedoch wird man dieſs eitel finden, und wunderlich dazu; denn dem Esel konnte man es nicht ansehen, daſs er noch nicht geritten war, ausser an der Ungebärdigkeit, mit welcher er den ruhigen Fortschritt des feierlichen Zuges gestört 19 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0310" n="291"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Kapitel</hi>. §. 106.</fw><lb/> soll nur beiläufig aufmerksam gemacht werden, was darin<lb/> liegt, daſs, nachdem bei allen drei Synoptikern Jesus den<lb/> zwei abgeschickten Jüngern genau vorherb zeichnet hatte,<lb/> wie sie den Esel finden, und womit sie den Eigenthümer<lb/> desselben zufrieden stellen sollten, nun Markus und Lu-<lb/> kas sich und dem Leser die Mühe nicht sparen, ausführ-<lb/> lich und genau das Alles als eingetroffen zu wiederholen<lb/> (Marc. V. 4 ff. Luc. V. 32 ff.), während Matthäus (V. 6.)<lb/> geschickt durch ein <foreign xml:lang="ell">ποιήσαντες καϑὼς προσέταξεν αὐτοῖς ὁ Ἰ.</foreign><lb/> sich abfindet — dieſs, als bloſs die Form betreffend, soll<lb/> hier nicht weiter geltend gemacht werden. Das aber be-<lb/> trifft den Inhalt der Sache, daſs nach Markus und Lukas<lb/> Jesus ein Thier verlangte, <foreign xml:lang="ell">ἐφ̕ ὅ ουδεὶς πώποτε ἀνϑρώπων<lb/> ἐκάϑισε</foreign>, ein Zug, von welchem Matthäus nichts weiſs.<lb/> Man begreift hier nicht, wie sich Jesus das Vorwärtskom-<lb/> men durch die Wahl eines noch nicht zugerittenen Thiers<lb/> absichtlich erschweren mochte, welches, wenn er es nicht<lb/> durch göttliche Allmacht in Ordnung hielt (denn bei dem<lb/> ersten Ritt auf einem solchen Thier reicht auch die gröſs-<lb/> te menschliche Reitkunst nicht aus), gewiſs manche Stö-<lb/> rung des festlichen Zugs herbeigeführt haben wird, zumal<lb/> ihm kein Vorangehen des Mutterthiers zu Statten kam,<lb/> welches nur im Kopfe des ersten Evangelisten mitgelaufen<lb/> ist. Dieser Unannehmlichkeit hat Jesus gewiſs nicht ohne<lb/> triftigen Grund sich ausgesezt, und ein solcher scheint na-<lb/> he genug zu liegen in der Ansicht des Alterthums, wel-<lb/> cher zufolge, nach <hi rendition="#k">Wetstein</hi>'s Ausdruck, <hi rendition="#i">animalia, usibus<lb/> humanis nondum mancipata, sacra habebantur</hi>: so daſs<lb/> also Jesus für seine geheiligte Person und zu dem hohen<lb/> Zwecke seines messianischen Einzugs auch nur ein heili-<lb/> ges Thier hätte gebrauchen mögen. Näher erwogen jedoch<lb/> wird man dieſs eitel finden, und wunderlich dazu; denn<lb/> dem Esel konnte man es nicht ansehen, daſs er noch nicht<lb/> geritten war, ausser an der Ungebärdigkeit, mit welcher<lb/> er den ruhigen Fortschritt des feierlichen Zuges gestört<lb/> <fw place="bottom" type="sig">19 *</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [291/0310]
Zehntes Kapitel. §. 106.
soll nur beiläufig aufmerksam gemacht werden, was darin
liegt, daſs, nachdem bei allen drei Synoptikern Jesus den
zwei abgeschickten Jüngern genau vorherb zeichnet hatte,
wie sie den Esel finden, und womit sie den Eigenthümer
desselben zufrieden stellen sollten, nun Markus und Lu-
kas sich und dem Leser die Mühe nicht sparen, ausführ-
lich und genau das Alles als eingetroffen zu wiederholen
(Marc. V. 4 ff. Luc. V. 32 ff.), während Matthäus (V. 6.)
geschickt durch ein ποιήσαντες καϑὼς προσέταξεν αὐτοῖς ὁ Ἰ.
sich abfindet — dieſs, als bloſs die Form betreffend, soll
hier nicht weiter geltend gemacht werden. Das aber be-
trifft den Inhalt der Sache, daſs nach Markus und Lukas
Jesus ein Thier verlangte, ἐφ̕ ὅ ουδεὶς πώποτε ἀνϑρώπων
ἐκάϑισε, ein Zug, von welchem Matthäus nichts weiſs.
Man begreift hier nicht, wie sich Jesus das Vorwärtskom-
men durch die Wahl eines noch nicht zugerittenen Thiers
absichtlich erschweren mochte, welches, wenn er es nicht
durch göttliche Allmacht in Ordnung hielt (denn bei dem
ersten Ritt auf einem solchen Thier reicht auch die gröſs-
te menschliche Reitkunst nicht aus), gewiſs manche Stö-
rung des festlichen Zugs herbeigeführt haben wird, zumal
ihm kein Vorangehen des Mutterthiers zu Statten kam,
welches nur im Kopfe des ersten Evangelisten mitgelaufen
ist. Dieser Unannehmlichkeit hat Jesus gewiſs nicht ohne
triftigen Grund sich ausgesezt, und ein solcher scheint na-
he genug zu liegen in der Ansicht des Alterthums, wel-
cher zufolge, nach Wetstein's Ausdruck, animalia, usibus
humanis nondum mancipata, sacra habebantur: so daſs
also Jesus für seine geheiligte Person und zu dem hohen
Zwecke seines messianischen Einzugs auch nur ein heili-
ges Thier hätte gebrauchen mögen. Näher erwogen jedoch
wird man dieſs eitel finden, und wunderlich dazu; denn
dem Esel konnte man es nicht ansehen, daſs er noch nicht
geritten war, ausser an der Ungebärdigkeit, mit welcher
er den ruhigen Fortschritt des feierlichen Zuges gestört
19 *
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |