haben würde 10). So wenig wir auf diese Weise begrei- fen, wie Jesus in dem Besteigen eines nicht zugerittenen Thiers eine Ehre gesucht haben kann, so begreiflich wer- den wir es finden, dass schon frühe die christliche Gemein- de es seiner Ehre schuldig zu sein glaubte, ihn nur auf einem solchen Thiere reiten, wie später ihn nur in einem ungebrauchten Grabe liegen zu lassen, was in ihre Denk- würdigkeiten aufzunehmen, die Verfasser der mittleren Evangelien kein Bedenken trugen, weil ihnen freilich bei'm Schreiben der nichtzugerittene Esel nicht die Unbequem- lichkeit verursachte, welche er Jesu bei'm Reiten verur- sacht haben müsste.
Wenn in die bisher erwogenen beiden Schwierigkei- ten die Synoptiker sich theilen, so ist eine andre ihnen allen gemeinschaftlich, die nämlich, welche in dem Um- stand liegt, dass Jesus so zuversichtlich zwei Jünger nach einem Esel sendet, den sie im nächsten Dorf in der und der Situation finden würden, und dass der Erfolg seiner Voraussage so genau entspricht. Das Natürlichste könnte scheinen, hier an eine vorangegangene Verabredung zu denken, welcher zufolge zur bestimmten Stunde am be- zeichneten Orte ein Reitthier für Jesum bereit gehalten
10) Dass jener Grund für die Maassregel Jesu nicht genüge, hat auch Paulus gefühlt; denn nur aus dem verzweifelnden Su- chen nach einem reelleren und mehr specifischen Grunde ist es zu erklären, dass er hier das einzige Mal mystisch wird, und an die Erklärung Justins des Märtyrers (die als upozugion bezeichnete Eselin bedeute die Juden, der noch nicht gerit- tene Esel die Heiden, dial. c. Tryph. 53.), den er sonst im- mer als Urheber der verkehrten kirchlichen Bibeldeutungen bekämpft, sich anschliessend, wahrscheinlich zu machen sucht, Jesus habe durch Besteigung eines noch nicht gerittenen Thiers sich als Stifter und Regenten einer neuen Religions- gesellschaft ankündigen wollen. Exeg. Handb. 3, a, S. 116 ff.
Zweiter Abschnitt.
haben würde 10). So wenig wir auf diese Weise begrei- fen, wie Jesus in dem Besteigen eines nicht zugerittenen Thiers eine Ehre gesucht haben kann, so begreiflich wer- den wir es finden, daſs schon frühe die christliche Gemein- de es seiner Ehre schuldig zu sein glaubte, ihn nur auf einem solchen Thiere reiten, wie später ihn nur in einem ungebrauchten Grabe liegen zu lassen, was in ihre Denk- würdigkeiten aufzunehmen, die Verfasser der mittleren Evangelien kein Bedenken trugen, weil ihnen freilich bei'm Schreiben der nichtzugerittene Esel nicht die Unbequem- lichkeit verursachte, welche er Jesu bei'm Reiten verur- sacht haben müſste.
Wenn in die bisher erwogenen beiden Schwierigkei- ten die Synoptiker sich theilen, so ist eine andre ihnen allen gemeinschaftlich, die nämlich, welche in dem Um- stand liegt, daſs Jesus so zuversichtlich zwei Jünger nach einem Esel sendet, den sie im nächsten Dorf in der und der Situation finden würden, und daſs der Erfolg seiner Voraussage so genau entspricht. Das Natürlichste könnte scheinen, hier an eine vorangegangene Verabredung zu denken, welcher zufolge zur bestimmten Stunde am be- zeichneten Orte ein Reitthier für Jesum bereit gehalten
10) Dass jener Grund für die Maassregel Jesu nicht genüge, hat auch Paulus gefühlt; denn nur aus dem verzweifelnden Su- chen nach einem reelleren und mehr specifischen Grunde ist es zu erklären, dass er hier das einzige Mal mystisch wird, und an die Erklärung Justins des Märtyrers (die als ὑποζύγιον bezeichnete Eselin bedeute die Juden, der noch nicht gerit- tene Esel die Heiden, dial. c. Tryph. 53.), den er sonst im- mer als Urheber der verkehrten kirchlichen Bibeldeutungen bekämpft, sich anschliessend, wahrscheinlich zu machen sucht, Jesus habe durch Besteigung eines noch nicht gerittenen Thiers sich als Stifter und Regenten einer neuen Religions- gesellschaft ankündigen wollen. Exeg. Handb. 3, a, S. 116 ff.
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Zweiter Abschnitt.
haben würde 10). So wenig wir auf diese Weise begrei-
fen, wie Jesus in dem Besteigen eines nicht zugerittenen
Thiers eine Ehre gesucht haben kann, so begreiflich wer-
den wir es finden, daſs schon frühe die christliche Gemein-
de es seiner Ehre schuldig zu sein glaubte, ihn nur auf
einem solchen Thiere reiten, wie später ihn nur in einem
ungebrauchten Grabe liegen zu lassen, was in ihre Denk-
würdigkeiten aufzunehmen, die Verfasser der mittleren
Evangelien kein Bedenken trugen, weil ihnen freilich bei'm
Schreiben der nichtzugerittene Esel nicht die Unbequem-
lichkeit verursachte, welche er Jesu bei'm Reiten verur-
sacht haben müſste.
Wenn in die bisher erwogenen beiden Schwierigkei-
ten die Synoptiker sich theilen, so ist eine andre ihnen
allen gemeinschaftlich, die nämlich, welche in dem Um-
stand liegt, daſs Jesus so zuversichtlich zwei Jünger nach
einem Esel sendet, den sie im nächsten Dorf in der und
der Situation finden würden, und daſs der Erfolg seiner
Voraussage so genau entspricht. Das Natürlichste könnte
scheinen, hier an eine vorangegangene Verabredung zu
denken, welcher zufolge zur bestimmten Stunde am be-
zeichneten Orte ein Reitthier für Jesum bereit gehalten
10) Dass jener Grund für die Maassregel Jesu nicht genüge, hat
auch Paulus gefühlt; denn nur aus dem verzweifelnden Su-
chen nach einem reelleren und mehr specifischen Grunde ist
es zu erklären, dass er hier das einzige Mal mystisch wird,
und an die Erklärung Justins des Märtyrers (die als ὑποζύγιον
bezeichnete Eselin bedeute die Juden, der noch nicht gerit-
tene Esel die Heiden, dial. c. Tryph. 53.), den er sonst im-
mer als Urheber der verkehrten kirchlichen Bibeldeutungen
bekämpft, sich anschliessend, wahrscheinlich zu machen sucht,
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/311>, abgerufen am 22.07.2024.
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