einer, auch in einem unfruchtbaren Jahrgang, zu der Zeit, in welcher sonst die Früchte zu reifen pflegen, solche sucht, doch nicht gesagt werden, dass es zur Unzeit sei, viel- mehr könnte ein Missjahr gerade dadurch bezeichnet wer- den, dass, ote elthen o kairos ton karpon, man nirgends welche gefunden habe. Jedenfalls, wenn der ganze Jahr- gang die Feigen, eine in Palästina so häufige Frucht, nicht begünstigte, musste Jesus diess fast ebensogut wissen, als wenn die unrechte Jahrszeit war: so dass das Räthsel bleibt, wie Jesus über eine Beschaffenheit des Baums, wel- che in Folge ihm bekannter Umstände nicht anders sein konnte, so ungehalten sein mochte.
Allein erinnern wir uns doch nur, wer es ist, dem wir jenen Zusaz verdanken. Es ist Markus, welcher in seinem erläuternden, veranschaulichenden Bestreben so Man- ches aus seinem Eignen zusezt, und dabei, wie längst an- erkannt ist, und auch wir auf unsrem Wege schon zur Genüge gefunden haben, nicht immer auf die überlegteste Weise zu Werke geht. So hier nimmt er gleich das erste Auffallende, was ihm begegnet, dass der Baum keine Früchte hatte, und ist eilig mit der Erklärung bei der Hand, es werde die Zeit nicht gewesen sein; merkt aber nicht, dass er, indem er physikalisch die Leerheit des Baums erklärt, dadurch das Verfahren Jesu moralisch unerklär- lich macht. Auch die oben erwähnte Abweichung von Mat- thäus in Betreff der Zeit, innerhalb welcher der Baum verdorrte, ist, weit entfernt, eine grössere Urkundlichkeit des Markus in dieser Erzählung 12), oder eine Neigung zu natürlicher Erklärung des Wunderbaren zu beweisen, wieder nur aus demselben veranschaulichenden Bestreben, wie der zulezt betrachtete Zusaz, hervorgegangen. Das
12) Wie Sieffert meint, über den Ursprung u. s. f. S. 113 ff. Vergl. dagegen meine Recens, in den Jahrh. f. wiss. Kritik, Nov. 1834.
Zweiter Abschnitt.
einer, auch in einem unfruchtbaren Jahrgang, zu der Zeit, in welcher sonst die Früchte zu reifen pflegen, solche sucht, doch nicht gesagt werden, daſs es zur Unzeit sei, viel- mehr könnte ein Miſsjahr gerade dadurch bezeichnet wer- den, daſs, ὅτε ἦλϑεν ὁ καιρὸς τῶν καρπῶν, man nirgends welche gefunden habe. Jedenfalls, wenn der ganze Jahr- gang die Feigen, eine in Palästina so häufige Frucht, nicht begünstigte, muſste Jesus dieſs fast ebensogut wissen, als wenn die unrechte Jahrszeit war: so daſs das Räthsel bleibt, wie Jesus über eine Beschaffenheit des Baums, wel- che in Folge ihm bekannter Umstände nicht anders sein konnte, so ungehalten sein mochte.
Allein erinnern wir uns doch nur, wer es ist, dem wir jenen Zusaz verdanken. Es ist Markus, welcher in seinem erläuternden, veranschaulichenden Bestreben so Man- ches aus seinem Eignen zusezt, und dabei, wie längst an- erkannt ist, und auch wir auf unsrem Wege schon zur Genüge gefunden haben, nicht immer auf die überlegteste Weise zu Werke geht. So hier nimmt er gleich das erste Auffallende, was ihm begegnet, daſs der Baum keine Früchte hatte, und ist eilig mit der Erklärung bei der Hand, es werde die Zeit nicht gewesen sein; merkt aber nicht, daſs er, indem er physikalisch die Leerheit des Baums erklärt, dadurch das Verfahren Jesu moralisch unerklär- lich macht. Auch die oben erwähnte Abweichung von Mat- thäus in Betreff der Zeit, innerhalb welcher der Baum verdorrte, ist, weit entfernt, eine gröſsere Urkundlichkeit des Markus in dieser Erzählung 12), oder eine Neigung zu natürlicher Erklärung des Wunderbaren zu beweisen, wieder nur aus demselben veranschaulichenden Bestreben, wie der zulezt betrachtete Zusaz, hervorgegangen. Das
12) Wie Sieffert meint, über den Ursprung u. s. f. S. 113 ff. Vergl. dagegen meine Recens, in den Jahrh. f. wiss. Kritik, Nov. 1834.
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Zweiter Abschnitt.
einer, auch in einem unfruchtbaren Jahrgang, zu der Zeit,
in welcher sonst die Früchte zu reifen pflegen, solche sucht,
doch nicht gesagt werden, daſs es zur Unzeit sei, viel-
mehr könnte ein Miſsjahr gerade dadurch bezeichnet wer-
den, daſs, ὅτε ἦλϑεν ὁ καιρὸς τῶν καρπῶν, man nirgends
welche gefunden habe. Jedenfalls, wenn der ganze Jahr-
gang die Feigen, eine in Palästina so häufige Frucht, nicht
begünstigte, muſste Jesus dieſs fast ebensogut wissen, als
wenn die unrechte Jahrszeit war: so daſs das Räthsel
bleibt, wie Jesus über eine Beschaffenheit des Baums, wel-
che in Folge ihm bekannter Umstände nicht anders sein
konnte, so ungehalten sein mochte.
Allein erinnern wir uns doch nur, wer es ist, dem
wir jenen Zusaz verdanken. Es ist Markus, welcher in
seinem erläuternden, veranschaulichenden Bestreben so Man-
ches aus seinem Eignen zusezt, und dabei, wie längst an-
erkannt ist, und auch wir auf unsrem Wege schon zur
Genüge gefunden haben, nicht immer auf die überlegteste
Weise zu Werke geht. So hier nimmt er gleich das erste
Auffallende, was ihm begegnet, daſs der Baum keine
Früchte hatte, und ist eilig mit der Erklärung bei der
Hand, es werde die Zeit nicht gewesen sein; merkt aber
nicht, daſs er, indem er physikalisch die Leerheit des Baums
erklärt, dadurch das Verfahren Jesu moralisch unerklär-
lich macht. Auch die oben erwähnte Abweichung von Mat-
thäus in Betreff der Zeit, innerhalb welcher der Baum
verdorrte, ist, weit entfernt, eine gröſsere Urkundlichkeit
des Markus in dieser Erzählung 12), oder eine Neigung
zu natürlicher Erklärung des Wunderbaren zu beweisen,
wieder nur aus demselben veranschaulichenden Bestreben,
wie der zulezt betrachtete Zusaz, hervorgegangen. Das
12) Wie Sieffert meint, über den Ursprung u. s. f. S. 113 ff.
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Nov. 1834.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/263>, abgerufen am 25.11.2024.
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