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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
auf die Zeit seines öffentlichen Lebens beziehen, für seine
Jugend aber die apokryphischen Wunder der Kindheits-
evangelien voraussetzen? oder wenn diess schon Chrysosto-
mus mit Recht zu unkritisch gefunden hat 15), sollen wir
lieber vermuthen, Maria habe, vermöge ihrer durch die
Zeichen bei Jesu Geburt bewirkten Überzeugung, dass er
der Messias sei, auch Wunder von ihm erwartet, und, wie
vielleicht schon bei einigen früheren, so nun auch bei die-
sem Anlass, wo die Verlegenheit gross war, eine Probe je-
ner Kraft von ihm verlangt 16)? Wenn nur jene frühe
Überzeugung der Angehörigen Jesu von seiner Messiani-
tät in etwas wahrscheinlicher, und namentlich die ausseror-
dentlichen Ereignisse der Kindheit, durch welche sie hervor-
gebracht worden sein soll, mehr beglaubigt wären! wozu
noch kommt, dass, auch den Glauben der Maria an die
Wunderkraft ihres Sohnes vorausgesezt, immer nicht er-
hellt, wie sie unerachtet seiner abweisenden Antwort doch
noch zuversichtlich erwarten konnte, er werde gerade bei
dieser Gelegenheit sein erstes Wunder thun, und bestimmt
zu wissen glauben, er werde es gerade so thun, dass er
die Diener dazu gebrauchen würde. Diess bestimmte Wis-
sen der Maria selbst um die Modalität des zu verrichtenden
Wunders scheint auf eine vorangegangene Eröffnung Je-
su gegen sie zu deuten, und so sezt Olshausen voraus,
Jesus habe seiner Mutter über das Wunder, das er vor-
hatte, einen Wink gegeben gehabt. Wann aber sollte die-
se Eröffnung geschehen sein? schon wie sie zu der Hoch-
zeit giengen? da müsste also Jesus vorausgesehen haben,
dass es an Wein gebrechen würde, in welchem Falle dann
aber Maria nicht wie von einer unerwarteten Verlegenheit
ihn von dem oinon ouk ekhousi in Kenntniss setzen konnte.
Oder erst nach dieser Anzeige, also in Verbindung mit den

15) Homil. in Joann. z. d. St.
16) Tholuck, z. d. St.

Zweiter Abschnitt.
auf die Zeit seines öffentlichen Lebens beziehen, für seine
Jugend aber die apokryphischen Wunder der Kindheits-
evangelien voraussetzen? oder wenn dieſs schon Chrysosto-
mus mit Recht zu unkritisch gefunden hat 15), sollen wir
lieber vermuthen, Maria habe, vermöge ihrer durch die
Zeichen bei Jesu Geburt bewirkten Überzeugung, daſs er
der Messias sei, auch Wunder von ihm erwartet, und, wie
vielleicht schon bei einigen früheren, so nun auch bei die-
sem Anlaſs, wo die Verlegenheit groſs war, eine Probe je-
ner Kraft von ihm verlangt 16)? Wenn nur jene frühe
Überzeugung der Angehörigen Jesu von seiner Messiani-
tät in etwas wahrscheinlicher, und namentlich die ausseror-
dentlichen Ereignisse der Kindheit, durch welche sie hervor-
gebracht worden sein soll, mehr beglaubigt wären! wozu
noch kommt, daſs, auch den Glauben der Maria an die
Wunderkraft ihres Sohnes vorausgesezt, immer nicht er-
hellt, wie sie unerachtet seiner abweisenden Antwort doch
noch zuversichtlich erwarten konnte, er werde gerade bei
dieser Gelegenheit sein erstes Wunder thun, und bestimmt
zu wissen glauben, er werde es gerade so thun, daſs er
die Diener dazu gebrauchen würde. Dieſs bestimmte Wis-
sen der Maria selbst um die Modalität des zu verrichtenden
Wunders scheint auf eine vorangegangene Eröffnung Je-
su gegen sie zu deuten, und so sezt Olshausen voraus,
Jesus habe seiner Mutter über das Wunder, das er vor-
hatte, einen Wink gegeben gehabt. Wann aber sollte die-
se Eröffnung geschehen sein? schon wie sie zu der Hoch-
zeit giengen? da müſste also Jesus vorausgesehen haben,
daſs es an Wein gebrechen würde, in welchem Falle dann
aber Maria nicht wie von einer unerwarteten Verlegenheit
ihn von dem οἶνον ουκ ἐχουσι in Kenntniſs setzen konnte.
Oder erst nach dieser Anzeige, also in Verbindung mit den

15) Homil. in Joann. z. d. St.
16) Tholuck, z. d. St.
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[228/0247] Zweiter Abschnitt. auf die Zeit seines öffentlichen Lebens beziehen, für seine Jugend aber die apokryphischen Wunder der Kindheits- evangelien voraussetzen? oder wenn dieſs schon Chrysosto- mus mit Recht zu unkritisch gefunden hat 15), sollen wir lieber vermuthen, Maria habe, vermöge ihrer durch die Zeichen bei Jesu Geburt bewirkten Überzeugung, daſs er der Messias sei, auch Wunder von ihm erwartet, und, wie vielleicht schon bei einigen früheren, so nun auch bei die- sem Anlaſs, wo die Verlegenheit groſs war, eine Probe je- ner Kraft von ihm verlangt 16)? Wenn nur jene frühe Überzeugung der Angehörigen Jesu von seiner Messiani- tät in etwas wahrscheinlicher, und namentlich die ausseror- dentlichen Ereignisse der Kindheit, durch welche sie hervor- gebracht worden sein soll, mehr beglaubigt wären! wozu noch kommt, daſs, auch den Glauben der Maria an die Wunderkraft ihres Sohnes vorausgesezt, immer nicht er- hellt, wie sie unerachtet seiner abweisenden Antwort doch noch zuversichtlich erwarten konnte, er werde gerade bei dieser Gelegenheit sein erstes Wunder thun, und bestimmt zu wissen glauben, er werde es gerade so thun, daſs er die Diener dazu gebrauchen würde. Dieſs bestimmte Wis- sen der Maria selbst um die Modalität des zu verrichtenden Wunders scheint auf eine vorangegangene Eröffnung Je- su gegen sie zu deuten, und so sezt Olshausen voraus, Jesus habe seiner Mutter über das Wunder, das er vor- hatte, einen Wink gegeben gehabt. Wann aber sollte die- se Eröffnung geschehen sein? schon wie sie zu der Hoch- zeit giengen? da müſste also Jesus vorausgesehen haben, daſs es an Wein gebrechen würde, in welchem Falle dann aber Maria nicht wie von einer unerwarteten Verlegenheit ihn von dem οἶνον ουκ ἐχουσι in Kenntniſs setzen konnte. Oder erst nach dieser Anzeige, also in Verbindung mit den 15) Homil. in Joann. z. d. St. 16) Tholuck, z. d. St.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/247>, abgerufen am 22.11.2024.