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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
dorben, indem sie jene gemeinsamen Verhältnisse eiligst
dahin bestimmte, dass durch die Unbekanntschaft mit einer
Geschichte, die einem Apostel habe bekannt sein müssen,
die Synoptiker sich sämmtlich als Nichtapostel beurkun-
den 49). Durch diese Verzichtleistung auf den aposto-
lischen Ursprung des ersten Evangeliums wird sein und
der andern Nichtwissen um den Vorgang mit Lazarus noch
keineswegs erklärlich. Denn bei der Merkwürdigkeit des
Faktums, da es ferner im Mittelpunkte des jüdischen Lan-
des vorgefallen war, grosses Aufsehen erregt hatte, und
die Apostel als Augenzeugen zugegen gewesen waren: ist
gar nicht einzusehen, wie es nicht in die allgemeine Über-
lieferung, und aus ihr in die synoptischen Evangelien hätte
kommen sollen. Man berief sich darauf, dass diesen Evan-
gelien galiläische Sagen, d. h. mündliche Erzählungen und
schriftliche Aufsätze der galiläischen Freunde und Beglei-
ter Jesu zum Grunde liegen; diese seien bei der Auferwe-
ckung des Lazarus nicht zugegen gewesen, und haben sie
also nicht in ihre Denkwürdigkeiten aufgenommen; die
Verfasser der ersten Evangelien aber, indem sie sich streng
an diese galiläischen Nachrichten hielten, haben die Bege-
benheit gleichfalls übergangen 50). Allein so streng lässt
sich die Scheidewand zwischen Galiläischem und Judäi-
schem nicht ziehen, dass der Ruf eines Ereignisses wie die
Auferweckung des Lazarus nicht auch nach Galiläa hätte
hinübertönen müssen; war es auch nicht in einer Festzeit
vorgefallen, wo (wie Joh. 4, 45.) viele Galiläer Augen-
zeugen sein konnten, so waren doch die Jünger, grössern-
theils Galiläer, dabei (V. 16.), und mussten, sobald sie
nach Jesu Auferstehung wieder nach Galiläa kamen, das
Faktum überall auch in dieser Provinz ausbreiten; oder
vielmehr mussten schon vorher, an dem lezten von Jesu

49) Schneckenburger, über den Urspr. S. 10.
50) Gabler, a. a. O. S. 240 f.

Zweiter Abschnitt.
dorben, indem sie jene gemeinsamen Verhältnisse eiligst
dahin bestimmte, daſs durch die Unbekanntschaft mit einer
Geschichte, die einem Apostel habe bekannt sein müssen,
die Synoptiker sich sämmtlich als Nichtapostel beurkun-
den 49). Durch diese Verzichtleistung auf den aposto-
lischen Ursprung des ersten Evangeliums wird sein und
der andern Nichtwissen um den Vorgang mit Lazarus noch
keineswegs erklärlich. Denn bei der Merkwürdigkeit des
Faktums, da es ferner im Mittelpunkte des jüdischen Lan-
des vorgefallen war, groſses Aufsehen erregt hatte, und
die Apostel als Augenzeugen zugegen gewesen waren: ist
gar nicht einzusehen, wie es nicht in die allgemeine Über-
lieferung, und aus ihr in die synoptischen Evangelien hätte
kommen sollen. Man berief sich darauf, daſs diesen Evan-
gelien galiläische Sagen, d. h. mündliche Erzählungen und
schriftliche Aufsätze der galiläischen Freunde und Beglei-
ter Jesu zum Grunde liegen; diese seien bei der Auferwe-
ckung des Lazarus nicht zugegen gewesen, und haben sie
also nicht in ihre Denkwürdigkeiten aufgenommen; die
Verfasser der ersten Evangelien aber, indem sie sich streng
an diese galiläischen Nachrichten hielten, haben die Bege-
benheit gleichfalls übergangen 50). Allein so streng läſst
sich die Scheidewand zwischen Galiläischem und Judäi-
schem nicht ziehen, daſs der Ruf eines Ereignisses wie die
Auferweckung des Lazarus nicht auch nach Galiläa hätte
hinübertönen müssen; war es auch nicht in einer Festzeit
vorgefallen, wo (wie Joh. 4, 45.) viele Galiläer Augen-
zeugen sein konnten, so waren doch die Jünger, gröſsern-
theils Galiläer, dabei (V. 16.), und muſsten, sobald sie
nach Jesu Auferstehung wieder nach Galiläa kamen, das
Faktum überall auch in dieser Provinz ausbreiten; oder
vielmehr muſsten schon vorher, an dem lezten von Jesu

49) Schneckenburger, über den Urspr. S. 10.
50) Gabler, a. a. O. S. 240 f.
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[168/0187] Zweiter Abschnitt. dorben, indem sie jene gemeinsamen Verhältnisse eiligst dahin bestimmte, daſs durch die Unbekanntschaft mit einer Geschichte, die einem Apostel habe bekannt sein müssen, die Synoptiker sich sämmtlich als Nichtapostel beurkun- den 49). Durch diese Verzichtleistung auf den aposto- lischen Ursprung des ersten Evangeliums wird sein und der andern Nichtwissen um den Vorgang mit Lazarus noch keineswegs erklärlich. Denn bei der Merkwürdigkeit des Faktums, da es ferner im Mittelpunkte des jüdischen Lan- des vorgefallen war, groſses Aufsehen erregt hatte, und die Apostel als Augenzeugen zugegen gewesen waren: ist gar nicht einzusehen, wie es nicht in die allgemeine Über- lieferung, und aus ihr in die synoptischen Evangelien hätte kommen sollen. Man berief sich darauf, daſs diesen Evan- gelien galiläische Sagen, d. h. mündliche Erzählungen und schriftliche Aufsätze der galiläischen Freunde und Beglei- ter Jesu zum Grunde liegen; diese seien bei der Auferwe- ckung des Lazarus nicht zugegen gewesen, und haben sie also nicht in ihre Denkwürdigkeiten aufgenommen; die Verfasser der ersten Evangelien aber, indem sie sich streng an diese galiläischen Nachrichten hielten, haben die Bege- benheit gleichfalls übergangen 50). Allein so streng läſst sich die Scheidewand zwischen Galiläischem und Judäi- schem nicht ziehen, daſs der Ruf eines Ereignisses wie die Auferweckung des Lazarus nicht auch nach Galiläa hätte hinübertönen müssen; war es auch nicht in einer Festzeit vorgefallen, wo (wie Joh. 4, 45.) viele Galiläer Augen- zeugen sein konnten, so waren doch die Jünger, gröſsern- theils Galiläer, dabei (V. 16.), und muſsten, sobald sie nach Jesu Auferstehung wieder nach Galiläa kamen, das Faktum überall auch in dieser Provinz ausbreiten; oder vielmehr muſsten schon vorher, an dem lezten von Jesu 49) Schneckenburger, über den Urspr. S. 10. 50) Gabler, a. a. O. S. 240 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/187>, abgerufen am 27.04.2024.