Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 96. besuchten Paschafest, die festbesuchenden Galiläer diestadtkundige Begebenheit erfahren haben. Daher findet auch Lücke diese Gabler'sche Erklärung ungenügend; wenn er aber seinerseits das Räthsel durch die Bemerkung lösen will, dass die ursprüngliche evangelische Überlieferung, welcher die Synoptiker gefolgt seien, die Leidensgeschichte wenig pragmatisch, also auch ohne Rücksicht auf diese Begebenheit, als das geheime Motiv des Mordbefehls ge- gen Jesum, dargestellt habe, und erst der in die innere Geschichte des Synedriums eingeweihte Johannes im Stande gewesen sei, diese Ergänzung zu geben 51): so könnte zwar hiemit der eine Grund entkräftet zu sein scheinen, der die Synoptiker nöthigen musste, jene Begebenheit auf- zunehmen, der nämlich, welcher von ihrer pragmatischen Wichtigkeit hergenommen ist; wenn aber hinzugesezt wird, als Wunder an sich und ohne jene näheren Umstände be- trachtet, habe sie sich leicht unter den übrigen Wunderer- zählungen verlieren können, von welchen wir in den drei ersten Evangelien eine zum Theil zufällige Auswahl ha- ben: so erscheint die synoptische Wunderauswahl eben nur dann als eine zufällige, wenn man, was hier erst bewie- sen werden soll, schon voraussezt, dass die johanneischen Wunder historisch seien, und ist sie nicht bis zum Ver- standlosen zufällig, so kann sie ein solches Wunder nicht verloren haben 52). 51) Comm. z. Joh. 2, S. 402. 52) Darf ich mich auch auf eine erst zu druckende Schrift bezie-
hen, so werden wir in den Schleiermacher'schen Vorlesun- gen über das Leben Jesu zur Erklärung des fraglichen Still- schweigens darauf verwiesen werden, dass die synoptischen Evangelien überhaupt das Verhältniss Jesu zur Bethanischen Familie ignoriren, weil vielleicht die Apostel eine vertraute persönliche Verbindung dieser Art nicht in die allgemeine Tradition haben übergehen lassen wollen, aus welcher jene Evangelisten schöpften: mit dem Verhältniss Jesu zu dieser Neuntes Kapitel. §. 96. besuchten Paschafest, die festbesuchenden Galiläer diestadtkundige Begebenheit erfahren haben. Daher findet auch Lücke diese Gabler'sche Erklärung ungenügend; wenn er aber seinerseits das Räthsel durch die Bemerkung lösen will, daſs die ursprüngliche evangelische Überlieferung, welcher die Synoptiker gefolgt seien, die Leidensgeschichte wenig pragmatisch, also auch ohne Rücksicht auf diese Begebenheit, als das geheime Motiv des Mordbefehls ge- gen Jesum, dargestellt habe, und erst der in die innere Geschichte des Synedriums eingeweihte Johannes im Stande gewesen sei, diese Ergänzung zu geben 51): so könnte zwar hiemit der eine Grund entkräftet zu sein scheinen, der die Synoptiker nöthigen muſste, jene Begebenheit auf- zunehmen, der nämlich, welcher von ihrer pragmatischen Wichtigkeit hergenommen ist; wenn aber hinzugesezt wird, als Wunder an sich und ohne jene näheren Umstände be- trachtet, habe sie sich leicht unter den übrigen Wunderer- zählungen verlieren können, von welchen wir in den drei ersten Evangelien eine zum Theil zufällige Auswahl ha- ben: so erscheint die synoptische Wunderauswahl eben nur dann als eine zufällige, wenn man, was hier erst bewie- sen werden soll, schon voraussezt, daſs die johanneischen Wunder historisch seien, und ist sie nicht bis zum Ver- standlosen zufällig, so kann sie ein solches Wunder nicht verloren haben 52). 51) Comm. z. Joh. 2, S. 402. 52) Darf ich mich auch auf eine erst zu druckende Schrift bezie-
hen, so werden wir in den Schleiermacher'schen Vorlesun- gen über das Leben Jesu zur Erklärung des fraglichen Still- schweigens darauf verwiesen werden, dass die synoptischen Evangelien überhaupt das Verhältniss Jesu zur Bethanischen Familie ignoriren, weil vielleicht die Apostel eine vertraute persönliche Verbindung dieser Art nicht in die allgemeine Tradition haben übergehen lassen wollen, aus welcher jene Evangelisten schöpften: mit dem Verhältniss Jesu zu dieser <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0188" n="169"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 96.</fw><lb/> besuchten Paschafest, die festbesuchenden Galiläer die<lb/> stadtkundige Begebenheit erfahren haben. Daher findet<lb/> auch <hi rendition="#k">Lücke</hi> diese <hi rendition="#k">Gabler</hi>'sche Erklärung ungenügend; wenn<lb/> er aber seinerseits das Räthsel durch die Bemerkung lösen<lb/> will, daſs die ursprüngliche evangelische Überlieferung,<lb/> welcher die Synoptiker gefolgt seien, die Leidensgeschichte<lb/> wenig pragmatisch, also auch ohne Rücksicht auf diese<lb/> Begebenheit, als das geheime Motiv des Mordbefehls ge-<lb/> gen Jesum, dargestellt habe, und erst der in die innere<lb/> Geschichte des Synedriums eingeweihte Johannes im Stande<lb/> gewesen sei, diese Ergänzung zu geben <note place="foot" n="51)">Comm. z. Joh. 2, S. 402.</note>: so könnte<lb/> zwar hiemit der eine Grund entkräftet zu sein scheinen,<lb/> der die Synoptiker nöthigen muſste, jene Begebenheit auf-<lb/> zunehmen, der nämlich, welcher von ihrer pragmatischen<lb/> Wichtigkeit hergenommen ist; wenn aber hinzugesezt wird,<lb/> als Wunder an sich und ohne jene näheren Umstände be-<lb/> trachtet, habe sie sich leicht unter den übrigen Wunderer-<lb/> zählungen verlieren können, von welchen wir in den drei<lb/> ersten Evangelien eine zum Theil zufällige Auswahl ha-<lb/> ben: so erscheint die synoptische Wunderauswahl eben nur<lb/> dann als eine zufällige, wenn man, was hier erst bewie-<lb/> sen werden soll, schon voraussezt, daſs die johanneischen<lb/> Wunder historisch seien, und ist sie nicht bis zum Ver-<lb/> standlosen zufällig, so kann sie ein solches Wunder nicht<lb/> verloren haben <note xml:id="seg2pn_5_1" next="#seg2pn_5_2" place="foot" n="52)">Darf ich mich auch auf eine erst zu druckende Schrift bezie-<lb/> hen, so werden wir in den <hi rendition="#k">Schleiermacher</hi>'schen Vorlesun-<lb/> gen über das Leben Jesu zur Erklärung des fraglichen Still-<lb/> schweigens darauf verwiesen werden, dass die synoptischen<lb/> Evangelien überhaupt das Verhältniss Jesu zur Bethanischen<lb/> Familie ignoriren, weil vielleicht die Apostel eine vertraute<lb/> persönliche Verbindung dieser Art nicht in die allgemeine<lb/> Tradition haben übergehen lassen wollen, aus welcher jene<lb/> Evangelisten schöpften: mit dem Verhältniss Jesu zu dieser</note>.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0188]
Neuntes Kapitel. §. 96.
besuchten Paschafest, die festbesuchenden Galiläer die
stadtkundige Begebenheit erfahren haben. Daher findet
auch Lücke diese Gabler'sche Erklärung ungenügend; wenn
er aber seinerseits das Räthsel durch die Bemerkung lösen
will, daſs die ursprüngliche evangelische Überlieferung,
welcher die Synoptiker gefolgt seien, die Leidensgeschichte
wenig pragmatisch, also auch ohne Rücksicht auf diese
Begebenheit, als das geheime Motiv des Mordbefehls ge-
gen Jesum, dargestellt habe, und erst der in die innere
Geschichte des Synedriums eingeweihte Johannes im Stande
gewesen sei, diese Ergänzung zu geben 51): so könnte
zwar hiemit der eine Grund entkräftet zu sein scheinen,
der die Synoptiker nöthigen muſste, jene Begebenheit auf-
zunehmen, der nämlich, welcher von ihrer pragmatischen
Wichtigkeit hergenommen ist; wenn aber hinzugesezt wird,
als Wunder an sich und ohne jene näheren Umstände be-
trachtet, habe sie sich leicht unter den übrigen Wunderer-
zählungen verlieren können, von welchen wir in den drei
ersten Evangelien eine zum Theil zufällige Auswahl ha-
ben: so erscheint die synoptische Wunderauswahl eben nur
dann als eine zufällige, wenn man, was hier erst bewie-
sen werden soll, schon voraussezt, daſs die johanneischen
Wunder historisch seien, und ist sie nicht bis zum Ver-
standlosen zufällig, so kann sie ein solches Wunder nicht
verloren haben 52).
51) Comm. z. Joh. 2, S. 402.
52) Darf ich mich auch auf eine erst zu druckende Schrift bezie-
hen, so werden wir in den Schleiermacher'schen Vorlesun-
gen über das Leben Jesu zur Erklärung des fraglichen Still-
schweigens darauf verwiesen werden, dass die synoptischen
Evangelien überhaupt das Verhältniss Jesu zur Bethanischen
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