als seine Familie sich weigern durfte, um des Namens Christi willen zu leiden, ein Faktum verschwiegen haben, in welchem sich dessen Herrlichkeit so besonders geoffen- bart hatte. Die gefährlichste Zeit für Lazarus war nach Joh. 12, 10. die gleich nach seiner Wiederbelebung, und schwerlich konnte eine so spät kommende Erzählung diese Gefahr erhöhen oder erneuern; überhaupt musste in der Ge- gend von Bethanien und Jerusalem, von woher dem La- zarus die Gefahr drohte, der Vorgang so bekannt sein und im Andenken bleiben, dass durch Aufzeichnung desselben nichts zu verderben war 48).
Bleibt es also, dass die Synoptiker von der Auferwe- ckung des Lazarus, von welcher sie nichts erzählen, auch nichts gewusst haben können, so entsteht auch hier die zweite Frage, wie diess Nichtwissen möglich war? Die mysteriöse Antwort Hase's, der Grund dieser Auslassung sei in den gemeinsamen Verhältnissen verborgen, unter welchen die Synoptiker überhaupt von allen früheren Vor- fällen in Judäa schweigen, lässt wenigstens dem Aus- druck nach ungewiss, ob damit zu Ungunsten des vierten Evangeliums oder der übrigen entschieden sein soll. Ge- rade dieses Beste an der Hase'schen Antwort hat die neue- ste Kritik des Matthäusevangeliums etwas zufahrend ver-
48) s. diese Argumente zerstreut bei Paulus und Lücke z. d. ALsch.; bei Gabler in der angef. Abhandl. S. 238 ff. und Hase, L. J. §. 119. Einen neuen Grund, warum namentlich Matthäus von der Auferweckung des Lazarus schweige, hat Heydenreich (über die Unzulässigkeit der mythischen Auffas- sung, 2tes Stück, S. 42.) ausgedacht. Der Evangelist habe sie übergangen, weil sie mit einer Zartheit und Lebendig- keit des Gefühls dargestellt und behandelt sein wolle, zu welcher er sich nicht fähig gefühlt habe. Daher habe der bescheidene Mann sich lieber gar nicht an die Geschichte wagen wollen, als sie in seiner Erzählung an rührender Kraft und Erhabenheit verlieren lassen. -- Welche eitle Beschei- denheit diess gewesen wäre!
Neuntes Kapitel. §. 96.
als seine Familie sich weigern durfte, um des Namens Christi willen zu leiden, ein Faktum verschwiegen haben, in welchem sich dessen Herrlichkeit so besonders geoffen- bart hatte. Die gefährlichste Zeit für Lazarus war nach Joh. 12, 10. die gleich nach seiner Wiederbelebung, und schwerlich konnte eine so spät kommende Erzählung diese Gefahr erhöhen oder erneuern; überhaupt muſste in der Ge- gend von Bethanien und Jerusalem, von woher dem La- zarus die Gefahr drohte, der Vorgang so bekannt sein und im Andenken bleiben, daſs durch Aufzeichnung desselben nichts zu verderben war 48).
Bleibt es also, daſs die Synoptiker von der Auferwe- ckung des Lazarus, von welcher sie nichts erzählen, auch nichts gewuſst haben können, so entsteht auch hier die zweite Frage, wie dieſs Nichtwissen möglich war? Die mysteriöse Antwort Hase's, der Grund dieser Auslassung sei in den gemeinsamen Verhältnissen verborgen, unter welchen die Synoptiker überhaupt von allen früheren Vor- fällen in Judäa schweigen, läſst wenigstens dem Aus- druck nach ungewiſs, ob damit zu Ungunsten des vierten Evangeliums oder der übrigen entschieden sein soll. Ge- rade dieses Beste an der Hase'schen Antwort hat die neue- ste Kritik des Matthäusevangeliums etwas zufahrend ver-
48) s. diese Argumente zerstreut bei Paulus und Lücke z. d. ALsch.; bei Gabler in der angef. Abhandl. S. 238 ff. und Hase, L. J. §. 119. Einen neuen Grund, warum namentlich Matthäus von der Auferweckung des Lazarus schweige, hat Heydenreich (über die Unzulässigkeit der mythischen Auffas- sung, 2tes Stück, S. 42.) ausgedacht. Der Evangelist habe sie übergangen, weil sie mit einer Zartheit und Lebendig- keit des Gefühls dargestellt und behandelt sein wolle, zu welcher er sich nicht fähig gefühlt habe. Daher habe der bescheidene Mann sich lieber gar nicht an die Geschichte wagen wollen, als sie in seiner Erzählung an rührender Kraft und Erhabenheit verlieren lassen. — Welche eitle Beschei- denheit diess gewesen wäre!
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Neuntes Kapitel. §. 96.
als seine Familie sich weigern durfte, um des Namens
Christi willen zu leiden, ein Faktum verschwiegen haben,
in welchem sich dessen Herrlichkeit so besonders geoffen-
bart hatte. Die gefährlichste Zeit für Lazarus war nach
Joh. 12, 10. die gleich nach seiner Wiederbelebung, und
schwerlich konnte eine so spät kommende Erzählung diese
Gefahr erhöhen oder erneuern; überhaupt muſste in der Ge-
gend von Bethanien und Jerusalem, von woher dem La-
zarus die Gefahr drohte, der Vorgang so bekannt sein und
im Andenken bleiben, daſs durch Aufzeichnung desselben
nichts zu verderben war 48).
Bleibt es also, daſs die Synoptiker von der Auferwe-
ckung des Lazarus, von welcher sie nichts erzählen, auch
nichts gewuſst haben können, so entsteht auch hier die
zweite Frage, wie dieſs Nichtwissen möglich war? Die
mysteriöse Antwort Hase's, der Grund dieser Auslassung
sei in den gemeinsamen Verhältnissen verborgen, unter
welchen die Synoptiker überhaupt von allen früheren Vor-
fällen in Judäa schweigen, läſst wenigstens dem Aus-
druck nach ungewiſs, ob damit zu Ungunsten des vierten
Evangeliums oder der übrigen entschieden sein soll. Ge-
rade dieses Beste an der Hase'schen Antwort hat die neue-
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ALsch.; bei Gabler in der angef. Abhandl. S. 238 ff. und
Hase, L. J. §. 119. Einen neuen Grund, warum namentlich
Matthäus von der Auferweckung des Lazarus schweige, hat
Heydenreich (über die Unzulässigkeit der mythischen Auffas-
sung, 2tes Stück, S. 42.) ausgedacht. Der Evangelist habe
sie übergangen, weil sie mit einer Zartheit und Lebendig-
keit des Gefühls dargestellt und behandelt sein wolle, zu
welcher er sich nicht fähig gefühlt habe. Daher habe der
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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