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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
überflüssig gewesen 46); Andre vermutheten umgekehrt, man
habe das weitere Bekanntwerden derselben verhüten wollen,
um dem noch lebenden Lazarus, welcher nach Joh. 12, 10.
wegen des an ihm geschehenen Wunders von den jüdischen
Hierarchen verfolgt wurde, oder seiner Familie, keine Ge-
fahr zu bereiten, was in der späteren Zeit, als Johannes
sein Evangelium schrieb, nicht mehr zu befürchten gewe-
sen sei 47). Zwar heben sich nun diese beiden Gründe
auf's Schönste gegenseitig auf, und sind auch jeder für
sich kaum einer ernsthaften Widerlegung werth: doch sollen,
weil ähnliche Ausflüchte auch sonst noch öfter als man
glauben möchte, angewendet werden, einige Gegenbemer-
kungen nicht gespart sein. Die Behauptung, als in ihrem
Kreise allgemein bekannt sei die Wiederbelebung des La-
zarus von den Synoptikern nicht aufgezeichnet worden,
beweist zu viel, indem auf diese Weise gerade die Haupt-
punkte im Leben Jesu, seine Taufe im Jordan, sein Tod
und seine Auferstehung, hätten unbeschrieben bleiben müs-
sen. Es dient aber eine solche Schrift, die, wie unsre
Evangelien, in einer religiösen Gemeinde entsteht, keines-
wegs bloss dazu, Unbekanntes bekannt zu machen, son-
dern auch das bereits Bekannte festzuhalten. Gegen die
andre Erklärung ist schon von Andern bemerkt worden,
das Bekanntwerden dieser Geschichte unter Nichtpalästi-
nensern, für welche Markus und Lukas schrieben, habe
dem Lazarus nichts schaden können; aber auch der Ver-
fasser des ersten Evangeliums, falls er in und für Palästina
geschrieben, würde wohl schwerlich aus Rücksicht auf La-
zarus, welcher, ohne Zweifel Christ geworden, wenn er
auch im unwahrscheinlichen Fall zur Zeit der Abfassung
des ersten Evangeliums noch gelebt haben sollte, so wenig

46) Whitby, Annot. 2. d. St.
47) So Grotius, Herder; auch Olshausen bekennt sich vermu-
thungsweise zu dieser Ansicht, 2, S. 256 f. Anmerk.

Zweiter Abschnitt.
überflüssig gewesen 46); Andre vermutheten umgekehrt, man
habe das weitere Bekanntwerden derselben verhüten wollen,
um dem noch lebenden Lazarus, welcher nach Joh. 12, 10.
wegen des an ihm geschehenen Wunders von den jüdischen
Hierarchen verfolgt wurde, oder seiner Familie, keine Ge-
fahr zu bereiten, was in der späteren Zeit, als Johannes
sein Evangelium schrieb, nicht mehr zu befürchten gewe-
sen sei 47). Zwar heben sich nun diese beiden Gründe
auf's Schönste gegenseitig auf, und sind auch jeder für
sich kaum einer ernsthaften Widerlegung werth: doch sollen,
weil ähnliche Ausflüchte auch sonst noch öfter als man
glauben möchte, angewendet werden, einige Gegenbemer-
kungen nicht gespart sein. Die Behauptung, als in ihrem
Kreise allgemein bekannt sei die Wiederbelebung des La-
zarus von den Synoptikern nicht aufgezeichnet worden,
beweist zu viel, indem auf diese Weise gerade die Haupt-
punkte im Leben Jesu, seine Taufe im Jordan, sein Tod
und seine Auferstehung, hätten unbeschrieben bleiben müs-
sen. Es dient aber eine solche Schrift, die, wie unsre
Evangelien, in einer religiösen Gemeinde entsteht, keines-
wegs bloſs dazu, Unbekanntes bekannt zu machen, son-
dern auch das bereits Bekannte festzuhalten. Gegen die
andre Erklärung ist schon von Andern bemerkt worden,
das Bekanntwerden dieser Geschichte unter Nichtpalästi-
nensern, für welche Markus und Lukas schrieben, habe
dem Lazarus nichts schaden können; aber auch der Ver-
fasser des ersten Evangeliums, falls er in und für Palästina
geschrieben, würde wohl schwerlich aus Rücksicht auf La-
zarus, welcher, ohne Zweifel Christ geworden, wenn er
auch im unwahrscheinlichen Fall zur Zeit der Abfassung
des ersten Evangeliums noch gelebt haben sollte, so wenig

46) Whitby, Annot. 2. d. St.
47) So Grotius, Herder; auch Olshausen bekennt sich vermu-
thungsweise zu dieser Ansicht, 2, S. 256 f. Anmerk.
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[166/0185] Zweiter Abschnitt. überflüssig gewesen 46); Andre vermutheten umgekehrt, man habe das weitere Bekanntwerden derselben verhüten wollen, um dem noch lebenden Lazarus, welcher nach Joh. 12, 10. wegen des an ihm geschehenen Wunders von den jüdischen Hierarchen verfolgt wurde, oder seiner Familie, keine Ge- fahr zu bereiten, was in der späteren Zeit, als Johannes sein Evangelium schrieb, nicht mehr zu befürchten gewe- sen sei 47). Zwar heben sich nun diese beiden Gründe auf's Schönste gegenseitig auf, und sind auch jeder für sich kaum einer ernsthaften Widerlegung werth: doch sollen, weil ähnliche Ausflüchte auch sonst noch öfter als man glauben möchte, angewendet werden, einige Gegenbemer- kungen nicht gespart sein. Die Behauptung, als in ihrem Kreise allgemein bekannt sei die Wiederbelebung des La- zarus von den Synoptikern nicht aufgezeichnet worden, beweist zu viel, indem auf diese Weise gerade die Haupt- punkte im Leben Jesu, seine Taufe im Jordan, sein Tod und seine Auferstehung, hätten unbeschrieben bleiben müs- sen. Es dient aber eine solche Schrift, die, wie unsre Evangelien, in einer religiösen Gemeinde entsteht, keines- wegs bloſs dazu, Unbekanntes bekannt zu machen, son- dern auch das bereits Bekannte festzuhalten. Gegen die andre Erklärung ist schon von Andern bemerkt worden, das Bekanntwerden dieser Geschichte unter Nichtpalästi- nensern, für welche Markus und Lukas schrieben, habe dem Lazarus nichts schaden können; aber auch der Ver- fasser des ersten Evangeliums, falls er in und für Palästina geschrieben, würde wohl schwerlich aus Rücksicht auf La- zarus, welcher, ohne Zweifel Christ geworden, wenn er auch im unwahrscheinlichen Fall zur Zeit der Abfassung des ersten Evangeliums noch gelebt haben sollte, so wenig 46) Whitby, Annot. 2. d. St. 47) So Grotius, Herder; auch Olshausen bekennt sich vermu- thungsweise zu dieser Ansicht, 2, S. 256 f. Anmerk.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/185>, abgerufen am 27.04.2024.