Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Kapitel. §. 96.
gehöriger geschildert, so dass, wenn die Wirklichkeit des
Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, diess
bei'm zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie
unmöglich ist 31). In dieser Abstufung steigt dann auch
die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu
machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist,
zwischen verschiedenen Modificationen derselben eine Stei-
gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Wäre näm-
lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so müsste
sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede-
nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal-
teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum
bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen
bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der
Verwesung als eingetreten vorausgesezt, und dass sich
diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver-
neint wird.

Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von
den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in-
nerlich unwahrscheinlicher, theils äusserlich unverbürgter
als die vorhergehende. Was die innere Unwahrscheinlich-
keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an
sich zwar in allen, und somit auch in der ersten liegt,
doch bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war-
um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das
Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.). Damit
ist nach Olshausen eine Beziehung dieser Handlung auf
den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der
Mensch, bemerkt er, kann als bewusstes Wesen nie bloss
als Mittel behandelt werden, wie es hier der Fall wäre,
wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck
Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten woll-
te 32). Hiedurch hat Olshausen auf dankenswerthe Weise

31) Bretschneider, Probab. S. 61.
32) 1, S. 276.

Neuntes Kapitel. §. 96.
gehöriger geschildert, so daſs, wenn die Wirklichkeit des
Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, dieſs
bei'm zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie
unmöglich ist 31). In dieser Abstufung steigt dann auch
die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu
machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist,
zwischen verschiedenen Modificationen derselben eine Stei-
gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Wäre näm-
lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so müſste
sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede-
nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal-
teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum
bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen
bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der
Verwesung als eingetreten vorausgesezt, und daſs sich
diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver-
neint wird.

Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von
den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in-
nerlich unwahrscheinlicher, theils äusserlich unverbürgter
als die vorhergehende. Was die innere Unwahrscheinlich-
keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an
sich zwar in allen, und somit auch in der ersten liegt,
doch bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war-
um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das
Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.). Damit
ist nach Olshausen eine Beziehung dieser Handlung auf
den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der
Mensch, bemerkt er, kann als bewuſstes Wesen nie bloſs
als Mittel behandelt werden, wie es hier der Fall wäre,
wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck
Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten woll-
te 32). Hiedurch hat Olshausen auf dankenswerthe Weise

31) Bretschneider, Probab. S. 61.
32) 1, S. 276.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0174" n="155"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 96.</fw><lb/>
gehöriger geschildert, so da&#x017F;s, wenn die Wirklichkeit des<lb/>
Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, die&#x017F;s<lb/>
bei'm zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie<lb/>
unmöglich ist <note place="foot" n="31)"><hi rendition="#k">Bretschneider</hi>, Probab. S. 61.</note>. In dieser Abstufung steigt dann auch<lb/>
die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu<lb/>
machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist,<lb/>
zwischen verschiedenen Modificationen derselben eine Stei-<lb/>
gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Wäre näm-<lb/>
lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so mü&#x017F;ste<lb/>
sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede-<lb/>
nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal-<lb/>
teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum<lb/>
bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen<lb/>
bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der<lb/>
Verwesung als eingetreten vorausgesezt, und da&#x017F;s sich<lb/>
diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver-<lb/>
neint wird.</p><lb/>
          <p>Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von<lb/>
den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in-<lb/>
nerlich unwahrscheinlicher, theils äusserlich unverbürgter<lb/>
als die vorhergehende. Was die innere Unwahrscheinlich-<lb/>
keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an<lb/>
sich zwar in allen, und somit auch in der ersten liegt,<lb/>
doch bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war-<lb/>
um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das<lb/>
Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.). Damit<lb/>
ist nach <hi rendition="#k">Olshausen</hi> eine Beziehung dieser Handlung auf<lb/>
den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der<lb/>
Mensch, bemerkt er, kann als bewu&#x017F;stes Wesen nie blo&#x017F;s<lb/>
als Mittel behandelt werden, wie es hier der Fall wäre,<lb/>
wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck<lb/>
Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten woll-<lb/>
te <note place="foot" n="32)">1, S. 276.</note>. Hiedurch hat <hi rendition="#k">Olshausen</hi> auf dankenswerthe Weise<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0174] Neuntes Kapitel. §. 96. gehöriger geschildert, so daſs, wenn die Wirklichkeit des Todes im ersten Falle bezweifelt werden konnte, dieſs bei'm zweiten schon schwerer, bei'm dritten so viel wie unmöglich ist 31). In dieser Abstufung steigt dann auch die Schwierigkeit, die drei Begebenheiten sich denkbar zu machen: wenn anders, wo die Sache selbst undenkbar ist, zwischen verschiedenen Modificationen derselben eine Stei- gerung der Undenkbarkeit stattfinden kann. Wäre näm- lich eine Todtenerweckung überhaupt möglich, so müſste sie wohl eher möglich sein bei einem so eben verschiede- nen, noch lebenswarmen Individuum, als bei einem erkal- teten, das schon zu Grabe getragen wird, und wiederum bei diesem eher als bei einem solchen, an welchem wegen bereits viertägigen Aufenthalts im Grabe der Anfang der Verwesung als eingetreten vorausgesezt, und daſs sich diese Voraussetzung bestätigt habe, wenigstens nicht ver- neint wird. Doch auch abgesehen von dem Wunderbaren ist von den betrachteten Geschichten immer die folgende theils in- nerlich unwahrscheinlicher, theils äusserlich unverbürgter als die vorhergehende. Was die innere Unwahrscheinlich- keit betrifft, so tritt ein Moment derselben, welches an sich zwar in allen, und somit auch in der ersten liegt, doch bei der zweiten besonders hervor. Als Motiv, war- um Jesus den Jüngling zu Nain erweckte, wird hier das Mitleiden mit seiner Mutter bezeichnet (V. 13.). Damit ist nach Olshausen eine Beziehung dieser Handlung auf den Erweckten selbst nicht ausgeschlossen. Denn der Mensch, bemerkt er, kann als bewuſstes Wesen nie bloſs als Mittel behandelt werden, wie es hier der Fall wäre, wenn man die Freude der Mutter als alleinigen Zweck Jesu bei der Auferweckung des Jünglings betrachten woll- te 32). Hiedurch hat Olshausen auf dankenswerthe Weise 31) Bretschneider, Probab. S. 61. 32) 1, S. 276.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/174
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/174>, abgerufen am 22.11.2024.