die Schwierigkeit dieser und jeder Todtenerweckung nicht gehoben, sondern in's Licht gestellt. Denn der Schluss, dass, was an sich, oder nach geläuterten Begriffen, nicht erlaubt oder schicklich ist, von den Evangelisten Jesu nicht zugeschrieben werden könne, ist ein durchaus unerlaubter: vielmehr müsste, die Reinheit des Charakters Jesu voraus- gesezt, wenn ihm die Evangelien etwas Unerlaubtes zu- schreiben, auf die Unrichtigkeit ihrer Erzählungen ge- schlossen werden. Dass nun Jesus bei seinen Todtenerwe- ckungen darauf Rücksicht genommen hätte, ob sie den zu erweckenden Personen, vermöge des Seelenzustands, in welchem sie gestorben waren, zu Gute kommen oder nicht, davon finden wir keine Spur; dass, wie Olshausen an- nimmt, bei den leiblich Erweckten auch die geistige Erwe- ckung habe eintreten sollen und eingetreten sei, wird nir- gends gesagt; überhaupt treten diese Erweckten, auch den Lazarus nicht ausgenommen, nach ihrer Erweckung durch- aus zurück, wesswegen Woolston fragen konnte, warum doch Jesus gerade diese unbedeutenden Personen dem Tode entrissen habe, und nicht einen Täufer Johannes oder ei- nen andern allgemein nüzlichen Mann? Wollte man sagen, er habe es als den Willen der Vorsehung erkannt, dass diese Männer, einmal gestorben, im Tode blieben: so hätte er, scheint es, von allen einmal Gestorbenen so denken müssen, und es wird in lezter Beziehung keine andere Ant- wort übrig bleiben, als diese: weil man von berühmten Männern urkundlich wusste, dass die durch ihren Tod ent- standene Lücke durch kein Wiederaufleben ausgefüllt wor- den war, so konnte die Sage, was sie von Todtenerwe- ckungen zu erzählen Lust hatte, nicht an solche Namen knüpfen, sondern musste unbekannte Subjekte wählen, bei welchen jene Controle wegfiel.
Ist dieser Anstoss allen drei Erzählungen gemein, und tritt bei der zweiten nur eines zufälligen Ausdrucks we- gen sichtbarer hervor: so ist dagegen die dritte Erzählung
Zweiter Abschnitt.
die Schwierigkeit dieser und jeder Todtenerweckung nicht gehoben, sondern in's Licht gestellt. Denn der Schluſs, daſs, was an sich, oder nach geläuterten Begriffen, nicht erlaubt oder schicklich ist, von den Evangelisten Jesu nicht zugeschrieben werden könne, ist ein durchaus unerlaubter: vielmehr müſste, die Reinheit des Charakters Jesu voraus- gesezt, wenn ihm die Evangelien etwas Unerlaubtes zu- schreiben, auf die Unrichtigkeit ihrer Erzählungen ge- schlossen werden. Daſs nun Jesus bei seinen Todtenerwe- ckungen darauf Rücksicht genommen hätte, ob sie den zu erweckenden Personen, vermöge des Seelenzustands, in welchem sie gestorben waren, zu Gute kommen oder nicht, davon finden wir keine Spur; daſs, wie Olshausen an- nimmt, bei den leiblich Erweckten auch die geistige Erwe- ckung habe eintreten sollen und eingetreten sei, wird nir- gends gesagt; überhaupt treten diese Erweckten, auch den Lazarus nicht ausgenommen, nach ihrer Erweckung durch- aus zurück, weſswegen Woolston fragen konnte, warum doch Jesus gerade diese unbedeutenden Personen dem Tode entrissen habe, und nicht einen Täufer Johannes oder ei- nen andern allgemein nüzlichen Mann? Wollte man sagen, er habe es als den Willen der Vorsehung erkannt, daſs diese Männer, einmal gestorben, im Tode blieben: so hätte er, scheint es, von allen einmal Gestorbenen so denken müssen, und es wird in lezter Beziehung keine andere Ant- wort übrig bleiben, als diese: weil man von berühmten Männern urkundlich wuſste, daſs die durch ihren Tod ent- standene Lücke durch kein Wiederaufleben ausgefüllt wor- den war, so konnte die Sage, was sie von Todtenerwe- ckungen zu erzählen Lust hatte, nicht an solche Namen knüpfen, sondern muſste unbekannte Subjekte wählen, bei welchen jene Controle wegfiel.
Ist dieser Anstoſs allen drei Erzählungen gemein, und tritt bei der zweiten nur eines zufälligen Ausdrucks we- gen sichtbarer hervor: so ist dagegen die dritte Erzählung
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Zweiter Abschnitt.
die Schwierigkeit dieser und jeder Todtenerweckung nicht
gehoben, sondern in's Licht gestellt. Denn der Schluſs,
daſs, was an sich, oder nach geläuterten Begriffen, nicht
erlaubt oder schicklich ist, von den Evangelisten Jesu nicht
zugeschrieben werden könne, ist ein durchaus unerlaubter:
vielmehr müſste, die Reinheit des Charakters Jesu voraus-
gesezt, wenn ihm die Evangelien etwas Unerlaubtes zu-
schreiben, auf die Unrichtigkeit ihrer Erzählungen ge-
schlossen werden. Daſs nun Jesus bei seinen Todtenerwe-
ckungen darauf Rücksicht genommen hätte, ob sie den zu
erweckenden Personen, vermöge des Seelenzustands, in
welchem sie gestorben waren, zu Gute kommen oder nicht,
davon finden wir keine Spur; daſs, wie Olshausen an-
nimmt, bei den leiblich Erweckten auch die geistige Erwe-
ckung habe eintreten sollen und eingetreten sei, wird nir-
gends gesagt; überhaupt treten diese Erweckten, auch den
Lazarus nicht ausgenommen, nach ihrer Erweckung durch-
aus zurück, weſswegen Woolston fragen konnte, warum
doch Jesus gerade diese unbedeutenden Personen dem Tode
entrissen habe, und nicht einen Täufer Johannes oder ei-
nen andern allgemein nüzlichen Mann? Wollte man sagen,
er habe es als den Willen der Vorsehung erkannt, daſs
diese Männer, einmal gestorben, im Tode blieben: so hätte
er, scheint es, von allen einmal Gestorbenen so denken
müssen, und es wird in lezter Beziehung keine andere Ant-
wort übrig bleiben, als diese: weil man von berühmten
Männern urkundlich wuſste, daſs die durch ihren Tod ent-
standene Lücke durch kein Wiederaufleben ausgefüllt wor-
den war, so konnte die Sage, was sie von Todtenerwe-
ckungen zu erzählen Lust hatte, nicht an solche Namen
knüpfen, sondern muſste unbekannte Subjekte wählen, bei
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Ist dieser Anstoſs allen drei Erzählungen gemein, und
tritt bei der zweiten nur eines zufälligen Ausdrucks we-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/175>, abgerufen am 16.02.2025.
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