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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
ria aufbehalten, und durch den Ausspruch Jesu: Eins ist
Noth, Maria hat das beste Theil erwählt u. s. w. bekannt
ist (Luc. 10, 38 ff.). In der That haben wir hier wie dort
die Martha mit Aufwartung beschäftigt (Joh. 12, 2: kai e
Martha dieko[n]e[i]. Luc. 10, 40: e de Martha periespato peri
pollen diakonian); Maria zu den Füssen Jesu sitzend, wie
dort seine Füsse salbend; hier von der Schwester, wie
dort von Judas, ihres unnützen Treibens wegen getadelt,
und beidemale von Jesu in Schutz genommen. Wie könn-
ten wir uns enthalten, auch hier zu sagen: war einmal
neben der Erzählung von der salbenden Frau auch die von
Maria und Martha im Umlauf, so lag es bei den mancher-
lei Berührungspunkten, welche sich beide boten, sehr nahe,
dass sie in der Sage oder durch Combination eines Einzel-
nen verschmolzen wurden: die Jesu Füsse salbende, geta-
delte und von Jesu gerechtfertigte Unbekannte wurde in die
durch eine ähnliche Situation bekannte Maria verwandelt,
ihrer Schwester Martha auch bei dem mit der Salbung
zusammenhängenden Mahle die diakonia übertragen, und
endlich der Bruder Lazarus zum Theilnehmer der Mahl-
zeit gemacht, -- so dass sich hier die Erzählung des Lu-
kas auf der einen und die der zwei ersten Synoptiker auf
der andern Seite als reine Anekdoten zeigen, die des Jo-
hannes aber als eine gemischte.

In der Erzählung des Lukas übrigens von Jesu Be-
such bei den beiden Schwestern ist des Lazarus nicht ge-
dacht, mit welchem doch nach Joh. 11. und 12. Maria
und Martha zusammengewohnt zu haben scheinen, und Lu-
kas spricht gan[z] so, wie wenn er von der Existenz oder
Anwesenheit dieses Bruders, dessen auch sonst weder er
noch ein andrer Synoptiker gedenkt, gar nichts wüsste.
Denn wusste er etwas von ihm, und dachte er ihn damals
anwesend, so konnte er nicht sagen: gune onomati Martha
uped[e]xato ton I. eis ton oikon autes, sondern er musste
wenigstens neben ihr den Bruder nennen, zumal dieser nach

Zweiter Abschnitt.
ria aufbehalten, und durch den Ausspruch Jesu: Eins ist
Noth, Maria hat das beste Theil erwählt u. s. w. bekannt
ist (Luc. 10, 38 ff.). In der That haben wir hier wie dort
die Martha mit Aufwartung beschäftigt (Joh. 12, 2: καὶ ἡ
Μάρϑα διηκό[ν]ε[ι]. Luc. 10, 40: ἡ δὲ Μάρϑα περιεσπᾱτο περὶ
πολλὴν διακονίαν); Maria zu den Füſsen Jesu sitzend, wie
dort seine Füſse salbend; hier von der Schwester, wie
dort von Judas, ihres unnützen Treibens wegen getadelt,
und beidemale von Jesu in Schutz genommen. Wie könn-
ten wir uns enthalten, auch hier zu sagen: war einmal
neben der Erzählung von der salbenden Frau auch die von
Maria und Martha im Umlauf, so lag es bei den mancher-
lei Berührungspunkten, welche sich beide boten, sehr nahe,
daſs sie in der Sage oder durch Combination eines Einzel-
nen verschmolzen wurden: die Jesu Füſse salbende, geta-
delte und von Jesu gerechtfertigte Unbekannte wurde in die
durch eine ähnliche Situation bekannte Maria verwandelt,
ihrer Schwester Martha auch bei dem mit der Salbung
zusammenhängenden Mahle die διακονία übertragen, und
endlich der Bruder Lazarus zum Theilnehmer der Mahl-
zeit gemacht, — so daſs sich hier die Erzählung des Lu-
kas auf der einen und die der zwei ersten Synoptiker auf
der andern Seite als reine Anekdoten zeigen, die des Jo-
hannes aber als eine gemischte.

In der Erzählung des Lukas übrigens von Jesu Be-
such bei den beiden Schwestern ist des Lazarus nicht ge-
dacht, mit welchem doch nach Joh. 11. und 12. Maria
und Martha zusammengewohnt zu haben scheinen, und Lu-
kas spricht gan[z] so, wie wenn er von der Existenz oder
Anwesenheit dieses Bruders, dessen auch sonst weder er
noch ein andrer Synoptiker gedenkt, gar nichts wüſste.
Denn wuſste er etwas von ihm, und dachte er ihn damals
anwesend, so konnte er nicht sagen: γυνὴ ὀνόματι Μάρϑα
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[728/0752] Zweiter Abschnitt. ria aufbehalten, und durch den Ausspruch Jesu: Eins ist Noth, Maria hat das beste Theil erwählt u. s. w. bekannt ist (Luc. 10, 38 ff.). In der That haben wir hier wie dort die Martha mit Aufwartung beschäftigt (Joh. 12, 2: καὶ ἡ Μάρϑα διηκόνει. Luc. 10, 40: ἡ δὲ Μάρϑα περιεσπᾱτο περὶ πολλὴν διακονίαν); Maria zu den Füſsen Jesu sitzend, wie dort seine Füſse salbend; hier von der Schwester, wie dort von Judas, ihres unnützen Treibens wegen getadelt, und beidemale von Jesu in Schutz genommen. Wie könn- ten wir uns enthalten, auch hier zu sagen: war einmal neben der Erzählung von der salbenden Frau auch die von Maria und Martha im Umlauf, so lag es bei den mancher- lei Berührungspunkten, welche sich beide boten, sehr nahe, daſs sie in der Sage oder durch Combination eines Einzel- nen verschmolzen wurden: die Jesu Füſse salbende, geta- delte und von Jesu gerechtfertigte Unbekannte wurde in die durch eine ähnliche Situation bekannte Maria verwandelt, ihrer Schwester Martha auch bei dem mit der Salbung zusammenhängenden Mahle die διακονία übertragen, und endlich der Bruder Lazarus zum Theilnehmer der Mahl- zeit gemacht, — so daſs sich hier die Erzählung des Lu- kas auf der einen und die der zwei ersten Synoptiker auf der andern Seite als reine Anekdoten zeigen, die des Jo- hannes aber als eine gemischte. In der Erzählung des Lukas übrigens von Jesu Be- such bei den beiden Schwestern ist des Lazarus nicht ge- dacht, mit welchem doch nach Joh. 11. und 12. Maria und Martha zusammengewohnt zu haben scheinen, und Lu- kas spricht ganz so, wie wenn er von der Existenz oder Anwesenheit dieses Bruders, dessen auch sonst weder er noch ein andrer Synoptiker gedenkt, gar nichts wüſste. Denn wuſste er etwas von ihm, und dachte er ihn damals anwesend, so konnte er nicht sagen: γυνὴ ὀνόματι Μάρϑα ὑπεδέξατο τὸν Ἰ. εἰς τὸν οἶκον αὑτῆς, sondern er muſste wenigstens neben ihr den Bruder nennen, zumal dieser nach

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 728. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/752>, abgerufen am 24.11.2024.