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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Achtes Kapitel. §. 86.
Johannes ein vertrauter Freund von Jesu war. Diess Still-
schweigen kann man auffallend finden, wenigstens ist es
nirgends viel besser erklärt, als in der natürlichen Ge-
schichte des Propheten von Nazaret, wo der bald darauf er-
folgte Tod des Lazarus zu der Voraussetzung benüzt ist,
derselbe sei wohl um die Zeit jenes Besuchs Jesu auf ei-
ner Reise zur Stärkung seiner Gesundheit begriffen gewe-
sen 9). Nicht minder fällt ein andrer Punkt auf, der sich
auf die Lokalität dieser Scene bezieht. Nach Johannes
wohnten Maria und Martha in dem Jerusalem zunächst
gelegenen Flecken Bethania; Lukas dagegen, wo er von
dem Besuche Jesu bei diesen Schwestern spricht, nennt
nur komen tina, was sich übrigens mit der Angabe des Jo-
hannes ebenso leicht vereinigen lässt, als dass er jenen Be-
such in die Reise Jesu nach Jerusalem verlegt, da ja Be-
thanien dem aus Galiläa dahin reisenden auf dem Wege
lag. Doch ganz am Ende dieses Weges, so dass Jesu Be-
such daselbst an den Schluss seiner Reise fallen musste:
wogegen Lukas denselben bald nach dem Aufbruch aus
Galiläa stellt, und von dem Einzug in Jerusalem durch ei-
ne Menge von Reisebegebenheiten und volle 8 Kapitel trennt.
Soviel also ist klar: der Verfasser oder Redacteur des drit-
ten Evangeliums wusste nichts davon, dass jener Besuch
in Bethanien gemacht worden, und Maria und Martha
hier wohnhaft gewesen seien, sondern nur derjenige Evange-
list, welcher die Maria als die salbende Frau darstellt, nennt
auch als Heimath der Maria Bethanien, wo nach den zwei
ersten Synoptikern die Salbung vorgefallen ist. Natürlich,
war einmal Maria zur salbenden Frau gemacht, die Salbung
aber bekanntermassen in Bethanien vorgefallen: so musste
Maria wohl in diesem Orte wohnhaft gewesen sein, und es
hat somit wahrscheinlich der umlaufenden Erzählung von
dem Besuch Jesu bei Martha und Maria die salbende Frau

9) 3, S. 379 f.

Achtes Kapitel. §. 86.
Johannes ein vertrauter Freund von Jesu war. Dieſs Still-
schweigen kann man auffallend finden, wenigstens ist es
nirgends viel besser erklärt, als in der natürlichen Ge-
schichte des Propheten von Nazaret, wo der bald darauf er-
folgte Tod des Lazarus zu der Voraussetzung benüzt ist,
derselbe sei wohl um die Zeit jenes Besuchs Jesu auf ei-
ner Reise zur Stärkung seiner Gesundheit begriffen gewe-
sen 9). Nicht minder fällt ein andrer Punkt auf, der sich
auf die Lokalität dieser Scene bezieht. Nach Johannes
wohnten Maria und Martha in dem Jerusalem zunächst
gelegenen Flecken Bethania; Lukas dagegen, wo er von
dem Besuche Jesu bei diesen Schwestern spricht, nennt
nur κώμην τινὰ, was sich übrigens mit der Angabe des Jo-
hannes ebenso leicht vereinigen läſst, als daſs er jenen Be-
such in die Reise Jesu nach Jerusalem verlegt, da ja Be-
thanien dem aus Galiläa dahin reisenden auf dem Wege
lag. Doch ganz am Ende dieses Weges, so daſs Jesu Be-
such daselbst an den Schluſs seiner Reise fallen muſste:
wogegen Lukas denselben bald nach dem Aufbruch aus
Galiläa stellt, und von dem Einzug in Jerusalem durch ei-
ne Menge von Reisebegebenheiten und volle 8 Kapitel trennt.
Soviel also ist klar: der Verfasser oder Redacteur des drit-
ten Evangeliums wuſste nichts davon, daſs jener Besuch
in Bethanien gemacht worden, und Maria und Martha
hier wohnhaft gewesen seien, sondern nur derjenige Evange-
list, welcher die Maria als die salbende Frau darstellt, nennt
auch als Heimath der Maria Bethanien, wo nach den zwei
ersten Synoptikern die Salbung vorgefallen ist. Natürlich,
war einmal Maria zur salbenden Frau gemacht, die Salbung
aber bekanntermaſsen in Bethanien vorgefallen: so muſste
Maria wohl in diesem Orte wohnhaft gewesen sein, und es
hat somit wahrscheinlich der umlaufenden Erzählung von
dem Besuch Jesu bei Martha und Maria die salbende Frau

9) 3, S. 379 f.
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[729/0753] Achtes Kapitel. §. 86. Johannes ein vertrauter Freund von Jesu war. Dieſs Still- schweigen kann man auffallend finden, wenigstens ist es nirgends viel besser erklärt, als in der natürlichen Ge- schichte des Propheten von Nazaret, wo der bald darauf er- folgte Tod des Lazarus zu der Voraussetzung benüzt ist, derselbe sei wohl um die Zeit jenes Besuchs Jesu auf ei- ner Reise zur Stärkung seiner Gesundheit begriffen gewe- sen 9). Nicht minder fällt ein andrer Punkt auf, der sich auf die Lokalität dieser Scene bezieht. Nach Johannes wohnten Maria und Martha in dem Jerusalem zunächst gelegenen Flecken Bethania; Lukas dagegen, wo er von dem Besuche Jesu bei diesen Schwestern spricht, nennt nur κώμην τινὰ, was sich übrigens mit der Angabe des Jo- hannes ebenso leicht vereinigen läſst, als daſs er jenen Be- such in die Reise Jesu nach Jerusalem verlegt, da ja Be- thanien dem aus Galiläa dahin reisenden auf dem Wege lag. Doch ganz am Ende dieses Weges, so daſs Jesu Be- such daselbst an den Schluſs seiner Reise fallen muſste: wogegen Lukas denselben bald nach dem Aufbruch aus Galiläa stellt, und von dem Einzug in Jerusalem durch ei- ne Menge von Reisebegebenheiten und volle 8 Kapitel trennt. Soviel also ist klar: der Verfasser oder Redacteur des drit- ten Evangeliums wuſste nichts davon, daſs jener Besuch in Bethanien gemacht worden, und Maria und Martha hier wohnhaft gewesen seien, sondern nur derjenige Evange- list, welcher die Maria als die salbende Frau darstellt, nennt auch als Heimath der Maria Bethanien, wo nach den zwei ersten Synoptikern die Salbung vorgefallen ist. Natürlich, war einmal Maria zur salbenden Frau gemacht, die Salbung aber bekanntermaſsen in Bethanien vorgefallen: so muſste Maria wohl in diesem Orte wohnhaft gewesen sein, und es hat somit wahrscheinlich der umlaufenden Erzählung von dem Besuch Jesu bei Martha und Maria die salbende Frau 9) 3, S. 379 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 729. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/753>, abgerufen am 24.11.2024.