Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
einen Rangstreit hieherzustellen. Unverkennbar nämlich
waren es die Worte: kai autoi erxanto suzetein pros eau-
tous, to, tis ara eie ex auton o touto mellon prassein wel-
che ihm das ähnliche: egeneto de kai philoneikia en autois,
to, tis auton dok[e]i einai meizon, d. h. es waren die Streit-
reden über den Verräther, welche ihm die Streitreden über
den Vorrang in die Erinnerung riefen. Einen solchen
Streit hatte er zwar bereits gemeldet, aber mit demselben,
Eine Sentenz abgerechnet, nur jene Reden, zu welchen
Jesum das Kind veranlasste, in Verbindung gebracht: nun
waren ihm noch die andern übrig, welche die beiden er-
sten Evangelisten an die Bitte der Zebedaiden knüpfen,
ein Anlass, der dem Referenten im Lukasevangelium nicht
präsent gewesen zu sein scheint, wesswegen er die dazu
gehörigen Reden hier mit der unbestimmten Angabe eines
ausgebrochenen Rangstreits einfügt. Indess die chrono-
logische Stellung auch der zwei zuerst genannten Rang-
streitigkeiten, beidemale nach einer Leidensverkündigung,
welche doch, wie die Voraussagung des Verraths, solche
irdische Hochmuthsgedanken scheint haben niederschlagen
zu müssen, hat so wenig Wahrscheinlichkeit, dass der Fin-
gerzeig willkommen sein muss, welcher in der evangeli-
schen Darstellung selbst über die Art liegt, wie die Refe-
renten auf unhistorische Weise zu einer solchen Anord-
nung gekommen sind. In Jesu Antwort auf die Bitte der
Salome nämlich war die Hinweisung auf das ihm und sei-
nen Jüngern bevorstehende Leiden das Hervorstechendste:
daher schloss sich durch die natürlichste Ideenassociation
an die Leidensverkündigung die Erzählung von dem auf
das bevorstehende Leiden verwiesenen Ehrgeiz der beiden
Jünger an. Bei der ersten Rangstreitigkeit aber geht die
voranstehende Leidensverkündigung nach den beiden mitt-
leren Evangelisten in die Bemerkung aus, dass die Jün-
3)

3) vgl. Schleiermacher, a. a. O. S. 283.

Zweiter Abschnitt.
einen Rangstreit hieherzustellen. Unverkennbar nämlich
waren es die Worte: καὶ αὐτοὶ ἤρξαντο συζητεῖν προς ἑαυ-
τοὺς, το, τὶς αρα εἴη ἐξ αὐτῶν ὁ τοῦτο μὲλλων πράσσειν wel-
che ihm das ähnliche: ἐγένετο δὲ καὶ φιλονεικία ἐν αὐτοῖς,
τὸ, τίς αυτῶν δοκ[ε]ῖ εἶναι μείζων, d. h. es waren die Streit-
reden über den Verräther, welche ihm die Streitreden über
den Vorrang in die Erinnerung riefen. Einen solchen
Streit hatte er zwar bereits gemeldet, aber mit demselben,
Eine Sentenz abgerechnet, nur jene Reden, zu welchen
Jesum das Kind veranlaſste, in Verbindung gebracht: nun
waren ihm noch die andern übrig, welche die beiden er-
sten Evangelisten an die Bitte der Zebedaiden knüpfen,
ein Anlaſs, der dem Referenten im Lukasevangelium nicht
präsent gewesen zu sein scheint, weſswegen er die dazu
gehörigen Reden hier mit der unbestimmten Angabe eines
ausgebrochenen Rangstreits einfügt. Indeſs die chrono-
logische Stellung auch der zwei zuerst genannten Rang-
streitigkeiten, beidemale nach einer Leidensverkündigung,
welche doch, wie die Voraussagung des Verraths, solche
irdische Hochmuthsgedanken scheint haben niederschlagen
zu müssen, hat so wenig Wahrscheinlichkeit, daſs der Fin-
gerzeig willkommen sein muſs, welcher in der evangeli-
schen Darstellung selbst über die Art liegt, wie die Refe-
renten auf unhistorische Weise zu einer solchen Anord-
nung gekommen sind. In Jesu Antwort auf die Bitte der
Salome nämlich war die Hinweisung auf das ihm und sei-
nen Jüngern bevorstehende Leiden das Hervorstechendste:
daher schloſs sich durch die natürlichste Ideenassociation
an die Leidensverkündigung die Erzählung von dem auf
das bevorstehende Leiden verwiesenen Ehrgeiz der beiden
Jünger an. Bei der ersten Rangstreitigkeit aber geht die
voranstehende Leidensverkündigung nach den beiden mitt-
leren Evangelisten in die Bemerkung aus, daſs die Jün-
3)

3) vgl. Schleiermacher, a. a. O. S. 283.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0724" n="700"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
einen Rangstreit hieherzustellen. Unverkennbar nämlich<lb/>
waren es die Worte: <foreign xml:lang="ell">&#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03BF;&#x1F76; &#x1F24;&#x03C1;&#x03BE;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03BF; &#x03C3;&#x03C5;&#x03B6;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B5;&#x1FD6;&#x03BD; &#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F11;&#x03B1;&#x03C5;-<lb/>
&#x03C4;&#x03BF;&#x1F7A;&#x03C2;, &#x03C4;&#x03BF;, &#x03C4;&#x1F76;&#x03C2; &#x03B1;&#x03C1;&#x03B1; &#x03B5;&#x1F34;&#x03B7; &#x1F10;&#x03BE; &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x1F41; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C4;&#x03BF; &#x03BC;&#x1F72;&#x03BB;&#x03BB;&#x03C9;&#x03BD; &#x03C0;&#x03C1;&#x03AC;&#x03C3;&#x03C3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD; wel-<lb/>
che ihm das ähnliche: &#x1F10;&#x03B3;&#x03AD;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C4;&#x03BF; &#x03B4;&#x1F72; &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x03C6;&#x03B9;&#x03BB;&#x03BF;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BA;&#x03AF;&#x03B1; &#x1F10;&#x03BD; &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03C2;,<lb/>
&#x03C4;&#x1F78;, &#x03C4;&#x03AF;&#x03C2; &#x03B1;&#x03C5;&#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x03B4;&#x03BF;&#x03BA;<supplied>&#x03B5;</supplied>&#x1FD6; &#x03B5;&#x1F36;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B9; &#x03BC;&#x03B5;&#x03AF;&#x03B6;&#x03C9;&#x03BD;</foreign>, d. h. es waren die Streit-<lb/>
reden über den Verräther, welche ihm die Streitreden über<lb/>
den Vorrang in die Erinnerung riefen. Einen solchen<lb/>
Streit hatte er zwar bereits gemeldet, aber mit demselben,<lb/>
Eine Sentenz abgerechnet, nur jene Reden, zu welchen<lb/>
Jesum das Kind veranla&#x017F;ste, in Verbindung gebracht: nun<lb/>
waren ihm noch die andern übrig, welche die beiden er-<lb/>
sten Evangelisten an die Bitte der Zebedaiden knüpfen,<lb/>
ein Anla&#x017F;s, der dem Referenten im Lukasevangelium nicht<lb/>
präsent gewesen zu sein scheint, we&#x017F;swegen er die dazu<lb/>
gehörigen Reden hier mit der unbestimmten Angabe eines<lb/>
ausgebrochenen Rangstreits einfügt. Inde&#x017F;s die chrono-<lb/>
logische Stellung auch der zwei zuerst genannten Rang-<lb/>
streitigkeiten, beidemale nach einer Leidensverkündigung,<lb/>
welche doch, wie die Voraussagung des Verraths, solche<lb/>
irdische Hochmuthsgedanken scheint haben niederschlagen<lb/>
zu müssen, hat so wenig Wahrscheinlichkeit, da&#x017F;s der Fin-<lb/>
gerzeig willkommen sein mu&#x017F;s, welcher in der evangeli-<lb/>
schen Darstellung selbst über die Art liegt, wie die Refe-<lb/>
renten auf unhistorische Weise zu einer solchen Anord-<lb/>
nung gekommen sind. In Jesu Antwort auf die Bitte der<lb/>
Salome nämlich war die Hinweisung auf das ihm und sei-<lb/>
nen Jüngern bevorstehende Leiden das Hervorstechendste:<lb/>
daher schlo&#x017F;s sich durch die natürlichste Ideenassociation<lb/>
an die Leidensverkündigung die Erzählung von dem auf<lb/>
das bevorstehende Leiden verwiesenen Ehrgeiz der beiden<lb/>
Jünger an. Bei der ersten Rangstreitigkeit aber geht die<lb/>
voranstehende Leidensverkündigung nach den beiden mitt-<lb/>
leren Evangelisten in die Bemerkung aus, da&#x017F;s die Jün-<lb/><note place="foot" n="3)">vgl. <hi rendition="#k">Schleiermacher</hi>, a. a. O. S. 283.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[700/0724] Zweiter Abschnitt. einen Rangstreit hieherzustellen. Unverkennbar nämlich waren es die Worte: καὶ αὐτοὶ ἤρξαντο συζητεῖν προς ἑαυ- τοὺς, το, τὶς αρα εἴη ἐξ αὐτῶν ὁ τοῦτο μὲλλων πράσσειν wel- che ihm das ähnliche: ἐγένετο δὲ καὶ φιλονεικία ἐν αὐτοῖς, τὸ, τίς αυτῶν δοκεῖ εἶναι μείζων, d. h. es waren die Streit- reden über den Verräther, welche ihm die Streitreden über den Vorrang in die Erinnerung riefen. Einen solchen Streit hatte er zwar bereits gemeldet, aber mit demselben, Eine Sentenz abgerechnet, nur jene Reden, zu welchen Jesum das Kind veranlaſste, in Verbindung gebracht: nun waren ihm noch die andern übrig, welche die beiden er- sten Evangelisten an die Bitte der Zebedaiden knüpfen, ein Anlaſs, der dem Referenten im Lukasevangelium nicht präsent gewesen zu sein scheint, weſswegen er die dazu gehörigen Reden hier mit der unbestimmten Angabe eines ausgebrochenen Rangstreits einfügt. Indeſs die chrono- logische Stellung auch der zwei zuerst genannten Rang- streitigkeiten, beidemale nach einer Leidensverkündigung, welche doch, wie die Voraussagung des Verraths, solche irdische Hochmuthsgedanken scheint haben niederschlagen zu müssen, hat so wenig Wahrscheinlichkeit, daſs der Fin- gerzeig willkommen sein muſs, welcher in der evangeli- schen Darstellung selbst über die Art liegt, wie die Refe- renten auf unhistorische Weise zu einer solchen Anord- nung gekommen sind. In Jesu Antwort auf die Bitte der Salome nämlich war die Hinweisung auf das ihm und sei- nen Jüngern bevorstehende Leiden das Hervorstechendste: daher schloſs sich durch die natürlichste Ideenassociation an die Leidensverkündigung die Erzählung von dem auf das bevorstehende Leiden verwiesenen Ehrgeiz der beiden Jünger an. Bei der ersten Rangstreitigkeit aber geht die voranstehende Leidensverkündigung nach den beiden mitt- leren Evangelisten in die Bemerkung aus, daſs die Jün- 3) 3) vgl. Schleiermacher, a. a. O. S. 283.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/724
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 700. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/724>, abgerufen am 18.05.2024.