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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Achtes Kapitel. §. 83.
also vorerst zwei für sich bestehende Fälle von Rangstrei-
tigkeit hätten. Wollen wir jedem dieser beiden Fälle die
zu ihm gehörigen Reden zutheilen, so gehören die Aus-
sprüche, welche Matthäus bei der Aufstellung des Kindes
h[a]t: wenn ihr nicht wieder werdet wie die Kinder u. s. w.
und: wer sich erniedrigt, wie diess Kind u. s. w., unver-
kennbar zu diesem Anlass, und andrerseits die vom Herr-
schen und Dienen in der Welt und im Reich Jesu schei-
nen der Bitte der beiden Jünger um die Herrscherstühle
im messianischen Reich, womit Matthäus sie verbindet, ganz
angemessen zu sein; wogegen das Diktum vom Ersten und
Lezten, Grössten und Kleinsten, welches Markus und Lu-
kas auch schon bei der Kinderscene haben, Matthäus mit
Recht für die Scene mit den Zebedaiden aufgespart zu ha-
ben scheint. Anders als mit den bisher besprochenen bei-
den Anlässen verhält es sich mit dem Wetteifer Luc. 22,
24 ff. Dieser knüpft sich weder an eine besondre Veran-
lassung, noch läuft er in eine markirte Scene aus (wenn
wir nicht aus Johannes, der übrigens keines Wettstreits
gedenkt, die Fusswaschung herübernehmen wollten, wo-
von jedoch erst in der Leidensgeschichte die Rede werden
kann) sondern er wird nur eingeleitet durch egeneto de kai
philoneikia en autois, fast mit denselben Worten, wie Lu-
kas bereits den ersten Rangstreit (9, 46.) eingeführt hatte,
und veranlasst Jesum zu Reden, welche, wie schon er-
wähnt, Matthäus und Markus ihn bei den früheren Rang-
streitigkeiten führen lassen, so dass also für diese hier
nichts Eigenthümliehes übrig bleibt, als nur die Stelle beim
lezten Mahle, welche aber auch nicht die sicherste ist.
Denn dass unmittelbar nach den für die Jünger so demü-
thigenden Reden vom Verräther ihnen der Hochmuth als-
bald wieder so stark sollte gewachsen sein, ist ebenso
schwer zu glauben, als es bei Gegeneinanderhaltung der
Verse 23. und 24. leicht zu entdecken ist, wie der Refe-
rent ohne geschichtlichen Grund verführt werden konnte,

Achtes Kapitel. §. 83.
also vorerst zwei für sich bestehende Fälle von Rangstrei-
tigkeit hätten. Wollen wir jedem dieser beiden Fälle die
zu ihm gehörigen Reden zutheilen, so gehören die Aus-
sprüche, welche Matthäus bei der Aufstellung des Kindes
h[a]t: wenn ihr nicht wieder werdet wie die Kinder u. s. w.
und: wer sich erniedrigt, wie dieſs Kind u. s. w., unver-
kennbar zu diesem Anlaſs, und andrerseits die vom Herr-
schen und Dienen in der Welt und im Reich Jesu schei-
nen der Bitte der beiden Jünger um die Herrscherstühle
im messianischen Reich, womit Matthäus sie verbindet, ganz
angemessen zu sein; wogegen das Diktum vom Ersten und
Lezten, Gröſsten und Kleinsten, welches Markus und Lu-
kas auch schon bei der Kinderscene haben, Matthäus mit
Recht für die Scene mit den Zebedaiden aufgespart zu ha-
ben scheint. Anders als mit den bisher besprochenen bei-
den Anlässen verhält es sich mit dem Wetteifer Luc. 22,
24 ff. Dieser knüpft sich weder an eine besondre Veran-
lassung, noch läuft er in eine markirte Scene aus (wenn
wir nicht aus Johannes, der übrigens keines Wettstreits
gedenkt, die Fuſswaschung herübernehmen wollten, wo-
von jedoch erst in der Leidensgeschichte die Rede werden
kann) sondern er wird nur eingeleitet durch ἐγένετο δὲ καὶ
φιλονεικία ἐν αυτοῖς, fast mit denselben Worten, wie Lu-
kas bereits den ersten Rangstreit (9, 46.) eingeführt hatte,
und veranlaſst Jesum zu Reden, welche, wie schon er-
wähnt, Matthäus und Markus ihn bei den früheren Rang-
streitigkeiten führen lassen, so daſs also für diese hier
nichts Eigenthümliehes übrig bleibt, als nur die Stelle beim
lezten Mahle, welche aber auch nicht die sicherste ist.
Denn daſs unmittelbar nach den für die Jünger so demü-
thigenden Reden vom Verräther ihnen der Hochmuth als-
bald wieder so stark sollte gewachsen sein, ist ebenso
schwer zu glauben, als es bei Gegeneinanderhaltung der
Verse 23. und 24. leicht zu entdecken ist, wie der Refe-
rent ohne geschichtlichen Grund verführt werden konnte,

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[699/0723] Achtes Kapitel. §. 83. also vorerst zwei für sich bestehende Fälle von Rangstrei- tigkeit hätten. Wollen wir jedem dieser beiden Fälle die zu ihm gehörigen Reden zutheilen, so gehören die Aus- sprüche, welche Matthäus bei der Aufstellung des Kindes hat: wenn ihr nicht wieder werdet wie die Kinder u. s. w. und: wer sich erniedrigt, wie dieſs Kind u. s. w., unver- kennbar zu diesem Anlaſs, und andrerseits die vom Herr- schen und Dienen in der Welt und im Reich Jesu schei- nen der Bitte der beiden Jünger um die Herrscherstühle im messianischen Reich, womit Matthäus sie verbindet, ganz angemessen zu sein; wogegen das Diktum vom Ersten und Lezten, Gröſsten und Kleinsten, welches Markus und Lu- kas auch schon bei der Kinderscene haben, Matthäus mit Recht für die Scene mit den Zebedaiden aufgespart zu ha- ben scheint. Anders als mit den bisher besprochenen bei- den Anlässen verhält es sich mit dem Wetteifer Luc. 22, 24 ff. Dieser knüpft sich weder an eine besondre Veran- lassung, noch läuft er in eine markirte Scene aus (wenn wir nicht aus Johannes, der übrigens keines Wettstreits gedenkt, die Fuſswaschung herübernehmen wollten, wo- von jedoch erst in der Leidensgeschichte die Rede werden kann) sondern er wird nur eingeleitet durch ἐγένετο δὲ καὶ φιλονεικία ἐν αυτοῖς, fast mit denselben Worten, wie Lu- kas bereits den ersten Rangstreit (9, 46.) eingeführt hatte, und veranlaſst Jesum zu Reden, welche, wie schon er- wähnt, Matthäus und Markus ihn bei den früheren Rang- streitigkeiten führen lassen, so daſs also für diese hier nichts Eigenthümliehes übrig bleibt, als nur die Stelle beim lezten Mahle, welche aber auch nicht die sicherste ist. Denn daſs unmittelbar nach den für die Jünger so demü- thigenden Reden vom Verräther ihnen der Hochmuth als- bald wieder so stark sollte gewachsen sein, ist ebenso schwer zu glauben, als es bei Gegeneinanderhaltung der Verse 23. und 24. leicht zu entdecken ist, wie der Refe- rent ohne geschichtlichen Grund verführt werden konnte,

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 699. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/723>, abgerufen am 18.05.2024.