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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
monisch Stummen führt es von selbst auf die Frage, ob
hier nicht ein und derselbe Vorfall sich in der Sage ver-
doppelt haben möge? Wie diess zugegangen sein kann,
darüber giebt uns Matthäus selbst Aufschluss, indem er
den Dämonischen das einemal nur einfach stumm, das
andremal zugleich blind sein lässt. Eine auffallende Kur
musste es wohl sein, an welche sich theils jene Bewunde-
rung des Volks, theils dieser verzweifelte Angriff der
Feinde Jesu knüpfte: bald mag daher für das geheilte
Subjekt die blosse Stummheit nicht genügt haben, und es
in der steigernden Sage auch noch des Gesichtes beraubt
worden sein. Gieng nun aber neben dieser neuen Forma-
tion der Sage auch noch die ältere her: was Wunder,
wenn ein mehr gewissenhafter als kritischer Sammler,
wie der Verfasser des ersten Evangeliums, beides als ver-
schiedene Geschichten neben einander aufnahm, nur dass
er, um die Wiederholung zu vermeiden, das einemal die
Reden Jesu wegliess? 2).

Schnitt Matthäus 9, 34. die Rede Jesu weg, so konnte
er auch die Zeichenforderung, welche eine Abfertigung
von Seiten Jesu erforderte, erst bei seiner zweiten Er-
zählung von der Beschuldigung wegen Beelzebuls damit
verbinden, und auch in diesem Stücke ist Lukas, welcher
die Zeichenforderung gleichfalls an jene Beschuldigung

2) Wie Schleiermacher (S. 175.) von der Rede über die Blas-
phemie des pneuma agion bei Matthäus (12, 31 f.), welche sich
an das vorangegangene ego en pneumati theou ekballo ta
daimonia (V. 28.) trefflich anschliesst, den Zusammenhang
vermissen kann, ist doch immer noch erklärlicher, als dass
er (S. 185 f.) diesen Ausspruch bei Lukas (12, 10.) besser
eingefügt findet. Denn zwischen dem hier vorangeschickten
Satze, dass, wer des Menschen Sohn vor den Menschen ver-
leugne, von ihm vor den Engeln verleugnet werden werde,
und dem in Rede stehenden findet doch kein anderer Zusam-
menhang statt, als dass das arneisthai ton uion tou anthro-

Zweiter Abschnitt.
monisch Stummen führt es von selbst auf die Frage, ob
hier nicht ein und derselbe Vorfall sich in der Sage ver-
doppelt haben möge? Wie dieſs zugegangen sein kann,
darüber giebt uns Matthäus selbst Aufschluſs, indem er
den Dämonischen das einemal nur einfach stumm, das
andremal zugleich blind sein läſst. Eine auffallende Kur
muſste es wohl sein, an welche sich theils jene Bewunde-
rung des Volks, theils dieser verzweifelte Angriff der
Feinde Jesu knüpfte: bald mag daher für das geheilte
Subjekt die bloſse Stummheit nicht genügt haben, und es
in der steigernden Sage auch noch des Gesichtes beraubt
worden sein. Gieng nun aber neben dieser neuen Forma-
tion der Sage auch noch die ältere her: was Wunder,
wenn ein mehr gewissenhafter als kritischer Sammler,
wie der Verfasser des ersten Evangeliums, beides als ver-
schiedene Geschichten neben einander aufnahm, nur daſs
er, um die Wiederholung zu vermeiden, das einemal die
Reden Jesu weglieſs? 2).

Schnitt Matthäus 9, 34. die Rede Jesu weg, so konnte
er auch die Zeichenforderung, welche eine Abfertigung
von Seiten Jesu erforderte, erst bei seiner zweiten Er-
zählung von der Beschuldigung wegen Beelzebuls damit
verbinden, und auch in diesem Stücke ist Lukas, welcher
die Zeichenforderung gleichfalls an jene Beschuldigung

2) Wie Schleiermacher (S. 175.) von der Rede über die Blas-
phemie des πνεῦμα ἄγιον bei Matthäus (12, 31 f.), welche sich
an das vorangegangene ἐγὼ ἐν πνεύματι ϑεοῦ ἐκβάλλω τα
δαιμόνια (V. 28.) trefflich anschliesst, den Zusammenhang
vermissen kann, ist doch immer noch erklärlicher, als dass
er (S. 185 f.) diesen Ausspruch bei Lukas (12, 10.) besser
eingefügt findet. Denn zwischen dem hier vorangeschickten
Satze, dass, wer des Menschen Sohn vor den Menschen ver-
leugne, von ihm vor den Engeln verleugnet werden werde,
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[688/0712] Zweiter Abschnitt. monisch Stummen führt es von selbst auf die Frage, ob hier nicht ein und derselbe Vorfall sich in der Sage ver- doppelt haben möge? Wie dieſs zugegangen sein kann, darüber giebt uns Matthäus selbst Aufschluſs, indem er den Dämonischen das einemal nur einfach stumm, das andremal zugleich blind sein läſst. Eine auffallende Kur muſste es wohl sein, an welche sich theils jene Bewunde- rung des Volks, theils dieser verzweifelte Angriff der Feinde Jesu knüpfte: bald mag daher für das geheilte Subjekt die bloſse Stummheit nicht genügt haben, und es in der steigernden Sage auch noch des Gesichtes beraubt worden sein. Gieng nun aber neben dieser neuen Forma- tion der Sage auch noch die ältere her: was Wunder, wenn ein mehr gewissenhafter als kritischer Sammler, wie der Verfasser des ersten Evangeliums, beides als ver- schiedene Geschichten neben einander aufnahm, nur daſs er, um die Wiederholung zu vermeiden, das einemal die Reden Jesu weglieſs? 2). Schnitt Matthäus 9, 34. die Rede Jesu weg, so konnte er auch die Zeichenforderung, welche eine Abfertigung von Seiten Jesu erforderte, erst bei seiner zweiten Er- zählung von der Beschuldigung wegen Beelzebuls damit verbinden, und auch in diesem Stücke ist Lukas, welcher die Zeichenforderung gleichfalls an jene Beschuldigung 2) Wie Schleiermacher (S. 175.) von der Rede über die Blas- phemie des πνεῦμα ἄγιον bei Matthäus (12, 31 f.), welche sich an das vorangegangene ἐγὼ ἐν πνεύματι ϑεοῦ ἐκβάλλω τα δαιμόνια (V. 28.) trefflich anschliesst, den Zusammenhang vermissen kann, ist doch immer noch erklärlicher, als dass er (S. 185 f.) diesen Ausspruch bei Lukas (12, 10.) besser eingefügt findet. Denn zwischen dem hier vorangeschickten Satze, dass, wer des Menschen Sohn vor den Menschen ver- leugne, von ihm vor den Engeln verleugnet werden werde, und dem in Rede stehenden findet doch kein anderer Zusam- menhang statt, als dass das ἀρνεῖσϑαι τὸν υἱὸν τοῦ ἀνϑρώ-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/712>, abgerufen am 27.11.2024.