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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Achtes Kapitel. §. 81.
aber bemerken, er treibe die Dämonen aus durch den
arkhon der Dämonen. Dass Jesus etwas darauf erwiedert
hätte, davon meldet hier Matthäus nichts. Das zweitemal
(12, 22 ff.) ist es ein dämonischer Blindstummer, welchen
Jesus heilt, worüber wieder das Volk erstaunt, die Phari-
säer aber äussern, er thue diess durch Hülfe des Beelzebul,
des arkhon der Dämonen, worauf sofort Jesus das Absurde
dieser Beschuldigung aufdeckt. Dass nun jene Beschuldi-
gung gegen Jesum bei seinen Dämonenaustreibungen zu
wiederholten Malen erhoben worden sei, ist an sich ganz
wohl glaublich. Nur diess macht bedenklich, dass der Dä-
monische, welcher jene Äusserung veranlasste, beidemale
ein kophos (nur das einemal noch tu los dazu) gewesen sein
soll. Der Dämonischen waren doch so vielerlei, alle Arten
von Krankheiten wurden dem Einfluss böser Geister zuge-
schrieben: warum soll nicht auch an die Heilung eines Be-
sessenen andrer Art, sondern zweimal an die eines dämo-
nisch Stummen besagte Beschuldigung sich geknüpft haben?
Die Schwierigkeit vergrössert sich, wenn wir die Erzählung
des Lukas (11, 14 f.) dazunehmen, welche, was die voran-
gestellte Beschreibung des Hergangs betrifft, der ersten, nicht
der zweiten bei Matthäus entspricht; denn wie dort, ist
auch bei Lukas der Dämonische nur stumm, genau mit der-
selben Formel wird seine Heilung, und ebenso entsprechend
die Verwunderung des Volks ausgedrückt, in welchen Be-
ziehungen allen die zweite Erzählung des Matthäus der
des Lukas weit ferner steht. Nun verbindet aber Lukas
mit der Heilung dieses Stummen, welche Matthäus von
Seiten Jesu still vorübergehen lässt, dieselben Reden
Jesu, wie Matthäus mit der Heilung seines Blindstum-
men, so dass Jesus bei diesen zwei aufeinander ge-
folgten Fällen das Gleiche müsste geredet haben. Diess
geht über das Wahrscheinliche zu weit hinaus, und ver-
bunden mit der Unwahrscheinlichkeit einer zweimaligen
gleichen Beschuldigung gerade bei Gelegenheit eines dä-

Achtes Kapitel. §. 81.
aber bemerken, er treibe die Dämonen aus durch den
ἄρχων der Dämonen. Daſs Jesus etwas darauf erwiedert
hätte, davon meldet hier Matthäus nichts. Das zweitemal
(12, 22 ff.) ist es ein dämonischer Blindstummer, welchen
Jesus heilt, worüber wieder das Volk erstaunt, die Phari-
säer aber äussern, er thue dieſs durch Hülfe des Beelzebul,
des ἄρχων der Dämonen, worauf sofort Jesus das Absurde
dieser Beschuldigung aufdeckt. Daſs nun jene Beschuldi-
gung gegen Jesum bei seinen Dämonenaustreibungen zu
wiederholten Malen erhoben worden sei, ist an sich ganz
wohl glaublich. Nur dieſs macht bedenklich, daſs der Dä-
monische, welcher jene Äusserung veranlaſste, beidemale
ein κωφὸς (nur das einemal noch τυ λὸς dazu) gewesen sein
soll. Der Dämonischen waren doch so vielerlei, alle Arten
von Krankheiten wurden dem Einfluſs böser Geister zuge-
schrieben: warum soll nicht auch an die Heilung eines Be-
sessenen andrer Art, sondern zweimal an die eines dämo-
nisch Stummen besagte Beschuldigung sich geknüpft haben?
Die Schwierigkeit vergrössert sich, wenn wir die Erzählung
des Lukas (11, 14 f.) dazunehmen, welche, was die voran-
gestellte Beschreibung des Hergangs betrifft, der ersten, nicht
der zweiten bei Matthäus entspricht; denn wie dort, ist
auch bei Lukas der Dämonische nur stumm, genau mit der-
selben Formel wird seine Heilung, und ebenso entsprechend
die Verwunderung des Volks ausgedrückt, in welchen Be-
ziehungen allen die zweite Erzählung des Matthäus der
des Lukas weit ferner steht. Nun verbindet aber Lukas
mit der Heilung dieses Stummen, welche Matthäus von
Seiten Jesu still vorübergehen läſst, dieselben Reden
Jesu, wie Matthäus mit der Heilung seines Blindstum-
men, so daſs Jesus bei diesen zwei aufeinander ge-
folgten Fällen das Gleiche müſste geredet haben. Dieſs
geht über das Wahrscheinliche zu weit hinaus, und ver-
bunden mit der Unwahrscheinlichkeit einer zweimaligen
gleichen Beschuldigung gerade bei Gelegenheit eines dä-

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[687/0711] Achtes Kapitel. §. 81. aber bemerken, er treibe die Dämonen aus durch den ἄρχων der Dämonen. Daſs Jesus etwas darauf erwiedert hätte, davon meldet hier Matthäus nichts. Das zweitemal (12, 22 ff.) ist es ein dämonischer Blindstummer, welchen Jesus heilt, worüber wieder das Volk erstaunt, die Phari- säer aber äussern, er thue dieſs durch Hülfe des Beelzebul, des ἄρχων der Dämonen, worauf sofort Jesus das Absurde dieser Beschuldigung aufdeckt. Daſs nun jene Beschuldi- gung gegen Jesum bei seinen Dämonenaustreibungen zu wiederholten Malen erhoben worden sei, ist an sich ganz wohl glaublich. Nur dieſs macht bedenklich, daſs der Dä- monische, welcher jene Äusserung veranlaſste, beidemale ein κωφὸς (nur das einemal noch τυ λὸς dazu) gewesen sein soll. Der Dämonischen waren doch so vielerlei, alle Arten von Krankheiten wurden dem Einfluſs böser Geister zuge- schrieben: warum soll nicht auch an die Heilung eines Be- sessenen andrer Art, sondern zweimal an die eines dämo- nisch Stummen besagte Beschuldigung sich geknüpft haben? Die Schwierigkeit vergrössert sich, wenn wir die Erzählung des Lukas (11, 14 f.) dazunehmen, welche, was die voran- gestellte Beschreibung des Hergangs betrifft, der ersten, nicht der zweiten bei Matthäus entspricht; denn wie dort, ist auch bei Lukas der Dämonische nur stumm, genau mit der- selben Formel wird seine Heilung, und ebenso entsprechend die Verwunderung des Volks ausgedrückt, in welchen Be- ziehungen allen die zweite Erzählung des Matthäus der des Lukas weit ferner steht. Nun verbindet aber Lukas mit der Heilung dieses Stummen, welche Matthäus von Seiten Jesu still vorübergehen läſst, dieselben Reden Jesu, wie Matthäus mit der Heilung seines Blindstum- men, so daſs Jesus bei diesen zwei aufeinander ge- folgten Fällen das Gleiche müſste geredet haben. Dieſs geht über das Wahrscheinliche zu weit hinaus, und ver- bunden mit der Unwahrscheinlichkeit einer zweimaligen gleichen Beschuldigung gerade bei Gelegenheit eines dä-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/711>, abgerufen am 18.05.2024.