wiedergiebt, was Jesus bei einer gewissen Gelegenheit ge- sprochen, die beiden andern uns auch von dem Blicke zu sagen wissen, mit welchem er das Gesprochene begleitet habe (Marc. 3, 5. 10, 21. Luc. 6, 10.), wenn von einem blinden Bettler bei Jericho Markus uns den Namen und Vaternamen anzuführen sich beeifert (10, 46.), und wenn in allen diesen Beziehungen vornehmlich der vierte Evange- list in dem Rufe steht, mit unnachahmlicher Anschaulichkeit zu erzählen: so können wir bereits ahnen, was uns die Untersuchung der einzelnen Erzählungen bestimmter zeigen wird, dass wir hier jene andre Funktion der Überlieferung vor uns haben, welche wir mit Einem Wort die ausmalen- de nennen können. Ob nun diese Ausmalung noch in der mündlichen Sage allmählig von selbst entstanden, oder als absichtliche Zuthat der Aufzeichner unsrer Evangelien an- zusehen sei, darüber lässt sich streiten, und höchstens in Bezug auf einzelne Stellen bis zu einer gewissen Wahr- scheinlichkeit kommen: jedenfalls indessen steht nicht bloss eine durch eigene Zuthat des Referenten ausgeschmückte Erzählung der ursprünglichen Wahrheit ferner als eine von solchem Zusatz freie, sondern auch die Sage selbst scheint eher in früheren Perioden ihrer Bildung kurz und nur auf Hervorhebung der Hauptmomente, seien diese nun Dikta oder Fakta, gerichtet zu sein, später aber sich mehr auf gleichmässige Veranschaulichung aller, auch der Neben- züge zu legen, als umgekehrt: so dass auch in dieser Hin- sicht das nähere Verhältniss zur Wahrheit auf Seiten des ersten Evangeliums bliebe.
Wie die Differenz grösserer oder geringerer Anschau- lichkeit der Schluss- und Übergangsformeln mehr zwischen Matthäus und den übrigen Synoptikern stattfindet: so eine andre Differenz in Bezug auf jene Formeln zwischen sämmt- lichen Synoptikern und Johannes. Während nämlich die meisten synoptischen Erzählungen aus dem öffentlichen Le- ben Jesu panegyrisch auslaufen: so bei Johannes die mei-
Achtes Kapitel. §. 80.
wiedergiebt, was Jesus bei einer gewissen Gelegenheit ge- sprochen, die beiden andern uns auch von dem Blicke zu sagen wissen, mit welchem er das Gesprochene begleitet habe (Marc. 3, 5. 10, 21. Luc. 6, 10.), wenn von einem blinden Bettler bei Jericho Markus uns den Namen und Vaternamen anzuführen sich beeifert (10, 46.), und wenn in allen diesen Beziehungen vornehmlich der vierte Evange- list in dem Rufe steht, mit unnachahmlicher Anschaulichkeit zu erzählen: so können wir bereits ahnen, was uns die Untersuchung der einzelnen Erzählungen bestimmter zeigen wird, daſs wir hier jene andre Funktion der Überlieferung vor uns haben, welche wir mit Einem Wort die ausmalen- de nennen können. Ob nun diese Ausmalung noch in der mündlichen Sage allmählig von selbst entstanden, oder als absichtliche Zuthat der Aufzeichner unsrer Evangelien an- zusehen sei, darüber läſst sich streiten, und höchstens in Bezug auf einzelne Stellen bis zu einer gewissen Wahr- scheinlichkeit kommen: jedenfalls indessen steht nicht bloſs eine durch eigene Zuthat des Referenten ausgeschmückte Erzählung der ursprünglichen Wahrheit ferner als eine von solchem Zusatz freie, sondern auch die Sage selbst scheint eher in früheren Perioden ihrer Bildung kurz und nur auf Hervorhebung der Hauptmomente, seien diese nun Dikta oder Fakta, gerichtet zu sein, später aber sich mehr auf gleichmäſsige Veranschaulichung aller, auch der Neben- züge zu legen, als umgekehrt: so daſs auch in dieser Hin- sicht das nähere Verhältniſs zur Wahrheit auf Seiten des ersten Evangeliums bliebe.
Wie die Differenz gröſserer oder geringerer Anschau- lichkeit der Schluſs- und Übergangsformeln mehr zwischen Matthäus und den übrigen Synoptikern stattfindet: so eine andre Differenz in Bezug auf jene Formeln zwischen sämmt- lichen Synoptikern und Johannes. Während nämlich die meisten synoptischen Erzählungen aus dem öffentlichen Le- ben Jesu panegyrisch auslaufen: so bei Johannes die mei-
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Achtes Kapitel. §. 80.
wiedergiebt, was Jesus bei einer gewissen Gelegenheit ge-
sprochen, die beiden andern uns auch von dem Blicke zu
sagen wissen, mit welchem er das Gesprochene begleitet
habe (Marc. 3, 5. 10, 21. Luc. 6, 10.), wenn von einem
blinden Bettler bei Jericho Markus uns den Namen und
Vaternamen anzuführen sich beeifert (10, 46.), und wenn in
allen diesen Beziehungen vornehmlich der vierte Evange-
list in dem Rufe steht, mit unnachahmlicher Anschaulichkeit
zu erzählen: so können wir bereits ahnen, was uns die
Untersuchung der einzelnen Erzählungen bestimmter zeigen
wird, daſs wir hier jene andre Funktion der Überlieferung
vor uns haben, welche wir mit Einem Wort die ausmalen-
de nennen können. Ob nun diese Ausmalung noch in der
mündlichen Sage allmählig von selbst entstanden, oder als
absichtliche Zuthat der Aufzeichner unsrer Evangelien an-
zusehen sei, darüber läſst sich streiten, und höchstens in
Bezug auf einzelne Stellen bis zu einer gewissen Wahr-
scheinlichkeit kommen: jedenfalls indessen steht nicht bloſs
eine durch eigene Zuthat des Referenten ausgeschmückte
Erzählung der ursprünglichen Wahrheit ferner als eine
von solchem Zusatz freie, sondern auch die Sage selbst
scheint eher in früheren Perioden ihrer Bildung kurz und
nur auf Hervorhebung der Hauptmomente, seien diese nun
Dikta oder Fakta, gerichtet zu sein, später aber sich mehr
auf gleichmäſsige Veranschaulichung aller, auch der Neben-
züge zu legen, als umgekehrt: so daſs auch in dieser Hin-
sicht das nähere Verhältniſs zur Wahrheit auf Seiten des
ersten Evangeliums bliebe.
Wie die Differenz gröſserer oder geringerer Anschau-
lichkeit der Schluſs- und Übergangsformeln mehr zwischen
Matthäus und den übrigen Synoptikern stattfindet: so eine
andre Differenz in Bezug auf jene Formeln zwischen sämmt-
lichen Synoptikern und Johannes. Während nämlich die
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 683. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/707>, abgerufen am 22.07.2024.
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