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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
also die Bürgschaft, dass nicht, wie der Verfasser der Pro-
babilien angenommen hat, die Reden Jesu vom vierten Evan-
gelisten frei fingirt sind?

Lücke führt einige Punkte auf, welche bei dieser An-
nahme unerklärlich wären 24). Erstlich das fast wörtliche
Zusammentreffen des Johannes mit den Synoptikern in
einzelnen Aussprüchen Jesu. Allein da der vierte Evan-
gelist doch innerhalb der christlichen Gemeinde stand, so
muss ihm auch eine Überlieferung zu Gebot gestanden ha-
ben, aus welcher er, wenn er auch im Ganzen freibil-
dend verfuhr, doch einzelne markirte Aussprüche ziemlich
unverändert schöpfen konnte. Das Andre, was Lücke
vorbringt, besagt noch weniger. Dass nämlich Johannes,
wenn er einmal Lust und Talent hatte, Reden Jesu zu
erdichten, noch häufiger längere Reden eingemischt haben
müsste, dass die Abwechslung kürzerer Aussprüche mit
längeren Vorträgen bei jener Voraussetzung unerklärlich
sei, diess folgt doch nur dann, wenn man den Verfasser
des vierten Evangeliums als einen Geschmacklosen sich
vorstellt, welchem sein Gefühl nicht sagte, dass zu der
einen Veranlassung zwar eine längere, zu der andern aber
eine kürzere Rede sich schicke, und dass überhaupt eine
Abwechslung von ausführlichen Vorträgen und concisen
Sentenzen den besten Eindruck hervorzubringen geeignet
sei. Gewichtiger ist, was Paulus bemerkt, wenn der
vierte Evangelist die Reden Jesu frei componirt hätte, so
würde er mehr von seinen eigenen, im Prolog geäusser-
ten Ansichten hineingebracht haben, wogegen nun die
Gewissenhaftigkeit, mit welcher er sich enthalte, seine
Logologie Jesu in den Mund zu legen, ein Beweis für
die Treue sei, mit welcher er sich in Aufzeichnung jener
Reden an das Gegebene gehalten habe 25). Allein der

24) a. a. O. S. 199.
25) In der Recens. der zweiten Aufl. von Lücke's Commentar, im
Lit. Blatt der allgem. Kirchenzeitung 1834, no. 18.

Zweiter Abschnitt.
also die Bürgschaft, daſs nicht, wie der Verfasser der Pro-
babilien angenommen hat, die Reden Jesu vom vierten Evan-
gelisten frei fingirt sind?

Lücke führt einige Punkte auf, welche bei dieser An-
nahme unerklärlich wären 24). Erstlich das fast wörtliche
Zusammentreffen des Johannes mit den Synoptikern in
einzelnen Aussprüchen Jesu. Allein da der vierte Evan-
gelist doch innerhalb der christlichen Gemeinde stand, so
muſs ihm auch eine Überlieferung zu Gebot gestanden ha-
ben, aus welcher er, wenn er auch im Ganzen freibil-
dend verfuhr, doch einzelne markirte Aussprüche ziemlich
unverändert schöpfen konnte. Das Andre, was Lücke
vorbringt, besagt noch weniger. Daſs nämlich Johannes,
wenn er einmal Lust und Talent hatte, Reden Jesu zu
erdichten, noch häufiger längere Reden eingemischt haben
müſste, daſs die Abwechslung kürzerer Aussprüche mit
längeren Vorträgen bei jener Voraussetzung unerklärlich
sei, dieſs folgt doch nur dann, wenn man den Verfasser
des vierten Evangeliums als einen Geschmacklosen sich
vorstellt, welchem sein Gefühl nicht sagte, daſs zu der
einen Veranlassung zwar eine längere, zu der andern aber
eine kürzere Rede sich schicke, und daſs überhaupt eine
Abwechslung von ausführlichen Vorträgen und concisen
Sentenzen den besten Eindruck hervorzubringen geeignet
sei. Gewichtiger ist, was Paulus bemerkt, wenn der
vierte Evangelist die Reden Jesu frei componirt hätte, so
würde er mehr von seinen eigenen, im Prolog geäusser-
ten Ansichten hineingebracht haben, wogegen nun die
Gewissenhaftigkeit, mit welcher er sich enthalte, seine
Logologie Jesu in den Mund zu legen, ein Beweis für
die Treue sei, mit welcher er sich in Aufzeichnung jener
Reden an das Gegebene gehalten habe 25). Allein der

24) a. a. O. S. 199.
25) In der Recens. der zweiten Aufl. von Lücke's Commentar, im
Lit. Blatt der allgem. Kirchenzeitung 1834, no. 18.
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[674/0698] Zweiter Abschnitt. also die Bürgschaft, daſs nicht, wie der Verfasser der Pro- babilien angenommen hat, die Reden Jesu vom vierten Evan- gelisten frei fingirt sind? Lücke führt einige Punkte auf, welche bei dieser An- nahme unerklärlich wären 24). Erstlich das fast wörtliche Zusammentreffen des Johannes mit den Synoptikern in einzelnen Aussprüchen Jesu. Allein da der vierte Evan- gelist doch innerhalb der christlichen Gemeinde stand, so muſs ihm auch eine Überlieferung zu Gebot gestanden ha- ben, aus welcher er, wenn er auch im Ganzen freibil- dend verfuhr, doch einzelne markirte Aussprüche ziemlich unverändert schöpfen konnte. Das Andre, was Lücke vorbringt, besagt noch weniger. Daſs nämlich Johannes, wenn er einmal Lust und Talent hatte, Reden Jesu zu erdichten, noch häufiger längere Reden eingemischt haben müſste, daſs die Abwechslung kürzerer Aussprüche mit längeren Vorträgen bei jener Voraussetzung unerklärlich sei, dieſs folgt doch nur dann, wenn man den Verfasser des vierten Evangeliums als einen Geschmacklosen sich vorstellt, welchem sein Gefühl nicht sagte, daſs zu der einen Veranlassung zwar eine längere, zu der andern aber eine kürzere Rede sich schicke, und daſs überhaupt eine Abwechslung von ausführlichen Vorträgen und concisen Sentenzen den besten Eindruck hervorzubringen geeignet sei. Gewichtiger ist, was Paulus bemerkt, wenn der vierte Evangelist die Reden Jesu frei componirt hätte, so würde er mehr von seinen eigenen, im Prolog geäusser- ten Ansichten hineingebracht haben, wogegen nun die Gewissenhaftigkeit, mit welcher er sich enthalte, seine Logologie Jesu in den Mund zu legen, ein Beweis für die Treue sei, mit welcher er sich in Aufzeichnung jener Reden an das Gegebene gehalten habe 25). Allein der 24) a. a. O. S. 199. 25) In der Recens. der zweiten Aufl. von Lücke's Commentar, im Lit. Blatt der allgem. Kirchenzeitung 1834, no. 18.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/698>, abgerufen am 22.11.2024.