aus fehle, müssen wir zwar zugeben: aber ebenso sollte man von der andern Seite eingestehen, dass im Ganzen für einen palästinischen Volkslehrer jener vorwiegend gnomische und parabolische Vortrag, den ihm die Synoptiker leihen, besser als der dialektische bei Johannes passe 20).
Entscheidend aber ist nun das Verhältniss der Reden Jesu bei Johannes zu der eigenen Denk- und Schreibart des Evangelisten. Hier nämlich haben wir eine Ähnlich- keit zwischen beiden gefunden 21), welche sich, da auch die Reden Dritter, namentlich des Täufers, in diesem Evan- gelium den gleichen Ton haben, nicht durch die Vorausse- zung erklären lässt, der Jünger habe sich ganz in die Denk- und Redeweise des Meisters hineingebildet 22), son- dern nur daraus, dass der Evangelist der in seiner Schrift redenden Hauptperson seine eigene Sprache geliehen hat. Wenn der neueste Commentator des Johannes diess nicht bloss von der Färbung des Ausdrucks anerkennt, sondern auch in Bezug auf den Inhalt erläuternde Erweiterungen des Evangelisten zu finden glaubt, welcher, wie er sich ausdrückt, in den längeren und schwierigeren Reden Jesu seine Hand dazwischen habe 23): so fragt sich, da dersel- be diess nicht ausdrücklich anzeigt, was uns versichern kann, dass nicht allenthalben seine Hand im Spiele, ja, dass nicht alle Reden, die er mittheilt, nur Gebilde seiner eigenen Hand seien? Der Ton und Ausdruck giebt keinen Fin- gerzeig, da dieser durchweg sich gleich und eingestand- nermassen von ihm geliehen ist; der Inhalt ebensowenig, denn der ist ebenfalls, wo der Evangelist selber redet, kein wesentlich andrer, als wo er Jesum reden lässt: wo liegt
20)de Wette, a. a. O. §. 105.
21) vgl. hiezu Schulze, der schriftst. Charakter und Werth des Johannes. 1803.
22) so Stronck -- de doctrina et dictione Joannis apostoli, ad Jesu magistri doctrinam dictionemque exacte composita. 1797.
23)Lücke, Comm. z. Joh. 1, S. 200 f.
Das Leben Jesu I. Band. 43
Siebentes Kapitel. §. 79.
aus fehle, müssen wir zwar zugeben: aber ebenso sollte man von der andern Seite eingestehen, daſs im Ganzen für einen palästinischen Volkslehrer jener vorwiegend gnomische und parabolische Vortrag, den ihm die Synoptiker leihen, besser als der dialektische bei Johannes passe 20).
Entscheidend aber ist nun das Verhältniſs der Reden Jesu bei Johannes zu der eigenen Denk- und Schreibart des Evangelisten. Hier nämlich haben wir eine Ähnlich- keit zwischen beiden gefunden 21), welche sich, da auch die Reden Dritter, namentlich des Täufers, in diesem Evan- gelium den gleichen Ton haben, nicht durch die Vorausse- zung erklären läſst, der Jünger habe sich ganz in die Denk- und Redeweise des Meisters hineingebildet 22), son- dern nur daraus, daſs der Evangelist der in seiner Schrift redenden Hauptperson seine eigene Sprache geliehen hat. Wenn der neueste Commentator des Johannes dieſs nicht bloſs von der Färbung des Ausdrucks anerkennt, sondern auch in Bezug auf den Inhalt erläuternde Erweiterungen des Evangelisten zu finden glaubt, welcher, wie er sich ausdrückt, in den längeren und schwierigeren Reden Jesu seine Hand dazwischen habe 23): so fragt sich, da dersel- be dieſs nicht ausdrücklich anzeigt, was uns versichern kann, daſs nicht allenthalben seine Hand im Spiele, ja, daſs nicht alle Reden, die er mittheilt, nur Gebilde seiner eigenen Hand seien? Der Ton und Ausdruck giebt keinen Fin- gerzeig, da dieser durchweg sich gleich und eingestand- nermaſsen von ihm geliehen ist; der Inhalt ebensowenig, denn der ist ebenfalls, wo der Evangelist selber redet, kein wesentlich andrer, als wo er Jesum reden läſst: wo liegt
20)de Wette, a. a. O. §. 105.
21) vgl. hiezu Schulze, der schriftst. Charakter und Werth des Johannes. 1803.
22) so Stronck — de doctrina et dictione Joannis apostoli, ad Jesu magistri doctrinam dictionemque exacte composita. 1797.
23)Lücke, Comm. z. Joh. 1, S. 200 f.
Das Leben Jesu I. Band. 43
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Siebentes Kapitel. §. 79.
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einen palästinischen Volkslehrer jener vorwiegend gnomische
und parabolische Vortrag, den ihm die Synoptiker leihen,
besser als der dialektische bei Johannes passe 20).
Entscheidend aber ist nun das Verhältniſs der Reden
Jesu bei Johannes zu der eigenen Denk- und Schreibart
des Evangelisten. Hier nämlich haben wir eine Ähnlich-
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die Reden Dritter, namentlich des Täufers, in diesem Evan-
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dern nur daraus, daſs der Evangelist der in seiner Schrift
redenden Hauptperson seine eigene Sprache geliehen hat.
Wenn der neueste Commentator des Johannes dieſs nicht
bloſs von der Färbung des Ausdrucks anerkennt, sondern
auch in Bezug auf den Inhalt erläuternde Erweiterungen
des Evangelisten zu finden glaubt, welcher, wie er sich
ausdrückt, in den längeren und schwierigeren Reden Jesu
seine Hand dazwischen habe 23): so fragt sich, da dersel-
be dieſs nicht ausdrücklich anzeigt, was uns versichern
kann, daſs nicht allenthalben seine Hand im Spiele, ja, daſs
nicht alle Reden, die er mittheilt, nur Gebilde seiner eigenen
Hand seien? Der Ton und Ausdruck giebt keinen Fin-
gerzeig, da dieser durchweg sich gleich und eingestand-
nermaſsen von ihm geliehen ist; der Inhalt ebensowenig,
denn der ist ebenfalls, wo der Evangelist selber redet, kein
wesentlich andrer, als wo er Jesum reden läſst: wo liegt
20) de Wette, a. a. O. §. 105.
21) vgl. hiezu Schulze, der schriftst. Charakter und Werth des
Johannes. 1803.
22) so Stronck — de doctrina et dictione Joannis apostoli, ad
Jesu magistri doctrinam dictionemque exacte composita. 1797.
23) Lücke, Comm. z. Joh. 1, S. 200 f.
Das Leben Jesu I. Band. 43
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 673. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/697>, abgerufen am 22.11.2024.
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