Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober-
flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht
anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen;
aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch
die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma-
chen konnte. Denn gewiss hatten auch die Zwölfe, wel-
che ein andermal nicht wussten, was er mit dem Sauer-
teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz
des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte
(Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden,
und die Remata zoes aioniou, um welcher willen sie bei
ihm blieben (V. 68.), waren gewiss nicht die Worte die-
ses 6ten Kapitels 10).

Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange-
liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder-
holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So
sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes,
K. 7 und 8., wie auch Lücke beobachtet hat, nur eine
wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na-
mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen-
seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott
(7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.),
des einai ek ton ano und ek ton kato (8, 23. vgl. 3, 31.),
des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugnissnehmens
(8, 13--19. vgl. 5, 31--37), von wahrem und falschem Rich-
ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterniss (8, 12.
vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken
in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die
Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden

10) Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung
der Probabilien beistimmen (S. 56.): videretur -- Jesus ipse
studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere-
tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit,
neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse
historia testatur.

Zweiter Abschnitt.
zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober-
flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht
anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen;
aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch
die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma-
chen konnte. Denn gewiſs hatten auch die Zwölfe, wel-
che ein andermal nicht wuſsten, was er mit dem Sauer-
teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz
des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte
(Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden,
und die ῥήματα ζωῆς αἰωνίου, um welcher willen sie bei
ihm blieben (V. 68.), waren gewiſs nicht die Worte die-
ses 6ten Kapitels 10).

Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange-
liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder-
holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So
sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes,
K. 7 und 8., wie auch Lücke beobachtet hat, nur eine
wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na-
mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen-
seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott
(7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.),
des εἶναι ἐκ τῶν ἄνω und ἐκ τῶν κάτω (8, 23. vgl. 3, 31.),
des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugniſsnehmens
(8, 13—19. vgl. 5, 31—37), von wahrem und falschem Rich-
ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterniſs (8, 12.
vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken
in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die
Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden

10) Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung
der Probabilien beistimmen (S. 56.): videretur — Jesus ipse
studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere-
tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit,
neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse
historia testatur.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0676" n="652"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober-<lb/>
flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht<lb/>
anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen;<lb/>
aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch<lb/>
die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma-<lb/>
chen konnte. Denn gewi&#x017F;s hatten auch die Zwölfe, wel-<lb/>
che ein andermal nicht wu&#x017F;sten, was er mit dem Sauer-<lb/>
teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz<lb/>
des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte<lb/>
(Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden,<lb/>
und die <foreign xml:lang="ell">&#x1FE5;&#x03AE;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1; &#x03B6;&#x03C9;&#x1FC6;&#x03C2; &#x03B1;&#x1F30;&#x03C9;&#x03BD;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5;</foreign>, um welcher willen sie bei<lb/>
ihm blieben (V. 68.), waren gewi&#x017F;s nicht die Worte die-<lb/>
ses 6ten Kapitels <note place="foot" n="10)">Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung<lb/>
der Probabilien beistimmen (S. 56.): <foreign xml:lang="lat">videretur &#x2014; Jesus ipse<lb/>
studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere-<lb/>
tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit,<lb/>
neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse<lb/>
historia testatur.</foreign></note>.</p><lb/>
            <p>Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange-<lb/>
liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder-<lb/>
holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So<lb/>
sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes,<lb/>
K. 7 und 8., wie auch <hi rendition="#k">Lücke</hi> beobachtet hat, nur eine<lb/>
wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na-<lb/>
mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen-<lb/>
seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott<lb/>
(7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.),<lb/>
des <foreign xml:lang="ell">&#x03B5;&#x1F36;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B9; &#x1F10;&#x03BA; &#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x1F04;&#x03BD;&#x03C9; und &#x1F10;&#x03BA; &#x03C4;&#x1FF6;&#x03BD; &#x03BA;&#x03AC;&#x03C4;&#x03C9;</foreign> (8, 23. vgl. 3, 31.),<lb/>
des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugni&#x017F;snehmens<lb/>
(8, 13&#x2014;19. vgl. 5, 31&#x2014;37), von wahrem und falschem Rich-<lb/>
ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterni&#x017F;s (8, 12.<lb/>
vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken<lb/>
in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die<lb/>
Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[652/0676] Zweiter Abschnitt. zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober- flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen; aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma- chen konnte. Denn gewiſs hatten auch die Zwölfe, wel- che ein andermal nicht wuſsten, was er mit dem Sauer- teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte (Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden, und die ῥήματα ζωῆς αἰωνίου, um welcher willen sie bei ihm blieben (V. 68.), waren gewiſs nicht die Worte die- ses 6ten Kapitels 10). Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange- liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder- holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes, K. 7 und 8., wie auch Lücke beobachtet hat, nur eine wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na- mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen- seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott (7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.), des εἶναι ἐκ τῶν ἄνω und ἐκ τῶν κάτω (8, 23. vgl. 3, 31.), des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugniſsnehmens (8, 13—19. vgl. 5, 31—37), von wahrem und falschem Rich- ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterniſs (8, 12. vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden 10) Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung der Probabilien beistimmen (S. 56.): videretur — Jesus ipse studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere- tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit, neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse historia testatur.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/676
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/676>, abgerufen am 24.05.2024.