zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober- flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen; aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma- chen konnte. Denn gewiss hatten auch die Zwölfe, wel- che ein andermal nicht wussten, was er mit dem Sauer- teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte (Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden, und die Remata zoes aioniou, um welcher willen sie bei ihm blieben (V. 68.), waren gewiss nicht die Worte die- ses 6ten Kapitels 10).
Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange- liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder- holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes, K. 7 und 8., wie auch Lücke beobachtet hat, nur eine wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na- mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen- seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott (7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.), des einai ek ton ano und ek ton kato (8, 23. vgl. 3, 31.), des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugnissnehmens (8, 13--19. vgl. 5, 31--37), von wahrem und falschem Rich- ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterniss (8, 12. vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden
10) Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung der Probabilien beistimmen (S. 56.): videretur -- Jesus ipse studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere- tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit, neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse historia testatur.
Zweiter Abschnitt.
zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober- flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen; aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma- chen konnte. Denn gewiſs hatten auch die Zwölfe, wel- che ein andermal nicht wuſsten, was er mit dem Sauer- teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte (Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden, und die ῥήματα ζωῆς αἰωνίου, um welcher willen sie bei ihm blieben (V. 68.), waren gewiſs nicht die Worte die- ses 6ten Kapitels 10).
Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange- liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder- holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes, K. 7 und 8., wie auch Lücke beobachtet hat, nur eine wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na- mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen- seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott (7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.), des εἶναι ἐκ τῶν ἄνω und ἐκ τῶν κάτω (8, 23. vgl. 3, 31.), des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugniſsnehmens (8, 13—19. vgl. 5, 31—37), von wahrem und falschem Rich- ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterniſs (8, 12. vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden
10) Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung der Probabilien beistimmen (S. 56.): videretur — Jesus ipse studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere- tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit, neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse historia testatur.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0676"n="652"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober-<lb/>
flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht<lb/>
anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen;<lb/>
aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch<lb/>
die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma-<lb/>
chen konnte. Denn gewiſs hatten auch die Zwölfe, wel-<lb/>
che ein andermal nicht wuſsten, was er mit dem Sauer-<lb/>
teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz<lb/>
des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte<lb/>
(Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden,<lb/>
und die <foreignxml:lang="ell">ῥήματαζωῆςαἰωνίου</foreign>, um welcher willen sie bei<lb/>
ihm blieben (V. 68.), waren gewiſs nicht die Worte die-<lb/>
ses 6ten Kapitels <noteplace="foot"n="10)">Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung<lb/>
der Probabilien beistimmen (S. 56.): <foreignxml:lang="lat">videretur — Jesus ipse<lb/>
studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere-<lb/>
tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit,<lb/>
neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse<lb/>
historia testatur.</foreign></note>.</p><lb/><p>Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange-<lb/>
liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder-<lb/>
holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So<lb/>
sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes,<lb/>
K. 7 und 8., wie auch <hirendition="#k">Lücke</hi> beobachtet hat, nur eine<lb/>
wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na-<lb/>
mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen-<lb/>
seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott<lb/>
(7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.),<lb/>
des <foreignxml:lang="ell">εἶναιἐκτῶνἄνω und ἐκτῶνκάτω</foreign> (8, 23. vgl. 3, 31.),<lb/>
des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugniſsnehmens<lb/>
(8, 13—19. vgl. 5, 31—37), von wahrem und falschem Rich-<lb/>
ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterniſs (8, 12.<lb/>
vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken<lb/>
in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die<lb/>
Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[652/0676]
Zweiter Abschnitt.
zwar: Jesus wollte seine Jünger sichten, die nur ober-
flächlich Gläubigen, irdisch Gesinnten, denen er sich nicht
anvertrauen konnte, aus seiner Gesellschaft entfernen;
aber, wie er es hier angriff, war es eine Probe, die auch
die Besseren und Verständigeren von ihm abwendig ma-
chen konnte. Denn gewiſs hatten auch die Zwölfe, wel-
che ein andermal nicht wuſsten, was er mit dem Sauer-
teig der Pharisäer (Matth. 16, 7) und mit dem Gegensaz
des zum Munde Ein- und Ausgehenden sagen wollte
(Matth. 15, 15.), die gegenwärtige Rede nicht verstanden,
und die ῥήματα ζωῆς αἰωνίου, um welcher willen sie bei
ihm blieben (V. 68.), waren gewiſs nicht die Worte die-
ses 6ten Kapitels 10).
Je weiter man sich in die Reden des vierten Evange-
liums hineinliest, desto mehr fallen die endlosen Wieder-
holungen derselben Gedanken und Ausdrücke auf. So
sind die Reden Jesu aus der Zeit des Laubhüttenfestes,
K. 7 und 8., wie auch Lücke beobachtet hat, nur eine
wiederholte und erweiterte Abhandlung der bereits (na-
mentlich Kap. 5.) dagewesenen Gegensätze des Gekommen-
seins, Redens und Handelns von sich selber und von Gott
(7, 17. 28 f. 8, 28 f. 38. 40. 42. vgl. mit 5, 30. 43. 6, 38.),
des εἶναι ἐκ τῶν ἄνω und ἐκ τῶν κάτω (8, 23. vgl. 3, 31.),
des von sich selbst Zeugens und von Gott Zeugniſsnehmens
(8, 13—19. vgl. 5, 31—37), von wahrem und falschem Rich-
ten (8, 15 f. vgl. 5, 30), von Licht und Finsterniſs (8, 12.
vgl. 3, 19 ff. auch 12, 35 f.). Was von neuen Gedanken
in diesen Kapiteln ist, wird alsbald wiederholt, wie die
Erwähnung des Hingangs Jesu, wohin ihm die Juden
10) Ich muss in Bezug auf dieses Kapitel ganz der Bemerkung
der Probabilien beistimmen (S. 56.): videretur — Jesus ipse
studuisse, ut verbis illuderet Judaeis, nec ab iis intelligere-
tur, sed reprobaretur. Ita vero nec egit, nec agere potuit,
neque si ita docuisset, tanta effecisset, quanta illum effecisse
historia testatur.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/676>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.