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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Siebentes Kapitel. §. 77.
nicht folgen können (7, 33 f. 8, 21, noch mehr später, 13,
33. 14, 2 ff. 16, 16 ff.), ein Ausspruch, an welchen sich
überdiess die beiden ersten Male ziemlich unwahrschein-
liche Missverständnisse oder Verdrehungen der Juden knü-
pfen, indem sie das einemal, unerachtet Jesus gesagt
hatte: upago pros ton pempsanta me, an eine Reise zu der
diaspora ton Ellenon, das andremal gar an Selbstmord
gedacht haben sollen. Wie oft sind ferner auch in diesen
Kapiteln die Versicherungen Jesu wiederholt, dass er
nicht seine eigne Ehre, sondern die des Vaters suche
(7, 17 f. 8, 50. 54.), dass die Juden seine Herkunft, sei-
nen Vater, nicht kennen (7, 28. 8, 14. 19. 54.), dass, wer
an ihn glaube, ewig leben, den Tod nicht sehen werde,
wer aber nicht glaube, ohne Antheil an der zoe in seinen
Sünden sterben müsse (8, 21. 24. 51. vgl. 3, 36. 6, 40). --
Das 9te Kapitel, dem grössten Theil nach eine Verhand-
lung des Synedriums mit dem von Jesu geheilten Blind-
gebornen, ist durchaus dialogisch gehalten, doch tritt,
weil Jesus mehr aus dem Spiele bleibt, jenes gemachte
Contrastsuchen nicht so wie sonst hervor, und der Dialog
gestaltet sich natürlicher.

Das zehnte Kapitel beginnt mit der bekannten Rede
vom guten Hirten, eine Rede, welche man mit Unrecht
eine Parabel zu nennen pflegt 11). Auch die kleinsten
der sonst von Jesu vorgetragenen Gleichnisse, wie die
vom Sauerteig, vom Senfkorn, enthalten die Grundzüge
einer sich fortbewegenden Geschichte, welche Anfang,
Fortgang und Schluss hat. Hier dagegen ist schlechter-
dings kein historischer Verlauf: auch die geschichtartigen
Züge sind allgemein gehalten (was zu geschehen pflege,

11) z. B. Tholuck, S. 185 ff., und Lücke, welcher aber doch zu-
giebt, dass sie mehr nur eine angefangene als vollendete Pa-
rabel sei. 2, S. 345. Anm. 2.; wie denn auch Olshausen (2,
335.) bemerkt, das hier vom Hirten und das 15, 1 ff. vom
Weinstock Gesagte sei mehr nur Vergleichung als Parabel.

Siebentes Kapitel. §. 77.
nicht folgen können (7, 33 f. 8, 21, noch mehr später, 13,
33. 14, 2 ff. 16, 16 ff.), ein Ausspruch, an welchen sich
überdieſs die beiden ersten Male ziemlich unwahrschein-
liche Miſsverständnisse oder Verdrehungen der Juden knü-
pfen, indem sie das einemal, unerachtet Jesus gesagt
hatte: ὑπάγω πρὸς τὸν πέμψαντά με, an eine Reise zu der
διασπορὰ τῶν Ἑλλήνων, das andremal gar an Selbstmord
gedacht haben sollen. Wie oft sind ferner auch in diesen
Kapiteln die Versicherungen Jesu wiederholt, daſs er
nicht seine eigne Ehre, sondern die des Vaters suche
(7, 17 f. 8, 50. 54.), daſs die Juden seine Herkunft, sei-
nen Vater, nicht kennen (7, 28. 8, 14. 19. 54.), daſs, wer
an ihn glaube, ewig leben, den Tod nicht sehen werde,
wer aber nicht glaube, ohne Antheil an der ζωὴ in seinen
Sünden sterben müsse (8, 21. 24. 51. vgl. 3, 36. 6, 40). —
Das 9te Kapitel, dem gröſsten Theil nach eine Verhand-
lung des Synedriums mit dem von Jesu geheilten Blind-
gebornen, ist durchaus dialogisch gehalten, doch tritt,
weil Jesus mehr aus dem Spiele bleibt, jenes gemachte
Contrastsuchen nicht so wie sonst hervor, und der Dialog
gestaltet sich natürlicher.

Das zehnte Kapitel beginnt mit der bekannten Rede
vom guten Hirten, eine Rede, welche man mit Unrecht
eine Parabel zu nennen pflegt 11). Auch die kleinsten
der sonst von Jesu vorgetragenen Gleichnisse, wie die
vom Sauerteig, vom Senfkorn, enthalten die Grundzüge
einer sich fortbewegenden Geschichte, welche Anfang,
Fortgang und Schluſs hat. Hier dagegen ist schlechter-
dings kein historischer Verlauf: auch die geschichtartigen
Züge sind allgemein gehalten (was zu geschehen pflege,

11) z. B. Tholuck, S. 185 ff., und Lücke, welcher aber doch zu-
giebt, dass sie mehr nur eine angefangene als vollendete Pa-
rabel sei. 2, S. 345. Anm. 2.; wie denn auch Olshausen (2,
335.) bemerkt, das hier vom Hirten und das 15, 1 ff. vom
Weinstock Gesagte sei mehr nur Vergleichung als Parabel.
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[653/0677] Siebentes Kapitel. §. 77. nicht folgen können (7, 33 f. 8, 21, noch mehr später, 13, 33. 14, 2 ff. 16, 16 ff.), ein Ausspruch, an welchen sich überdieſs die beiden ersten Male ziemlich unwahrschein- liche Miſsverständnisse oder Verdrehungen der Juden knü- pfen, indem sie das einemal, unerachtet Jesus gesagt hatte: ὑπάγω πρὸς τὸν πέμψαντά με, an eine Reise zu der διασπορὰ τῶν Ἑλλήνων, das andremal gar an Selbstmord gedacht haben sollen. Wie oft sind ferner auch in diesen Kapiteln die Versicherungen Jesu wiederholt, daſs er nicht seine eigne Ehre, sondern die des Vaters suche (7, 17 f. 8, 50. 54.), daſs die Juden seine Herkunft, sei- nen Vater, nicht kennen (7, 28. 8, 14. 19. 54.), daſs, wer an ihn glaube, ewig leben, den Tod nicht sehen werde, wer aber nicht glaube, ohne Antheil an der ζωὴ in seinen Sünden sterben müsse (8, 21. 24. 51. vgl. 3, 36. 6, 40). — Das 9te Kapitel, dem gröſsten Theil nach eine Verhand- lung des Synedriums mit dem von Jesu geheilten Blind- gebornen, ist durchaus dialogisch gehalten, doch tritt, weil Jesus mehr aus dem Spiele bleibt, jenes gemachte Contrastsuchen nicht so wie sonst hervor, und der Dialog gestaltet sich natürlicher. Das zehnte Kapitel beginnt mit der bekannten Rede vom guten Hirten, eine Rede, welche man mit Unrecht eine Parabel zu nennen pflegt 11). Auch die kleinsten der sonst von Jesu vorgetragenen Gleichnisse, wie die vom Sauerteig, vom Senfkorn, enthalten die Grundzüge einer sich fortbewegenden Geschichte, welche Anfang, Fortgang und Schluſs hat. Hier dagegen ist schlechter- dings kein historischer Verlauf: auch die geschichtartigen Züge sind allgemein gehalten (was zu geschehen pflege, 11) z. B. Tholuck, S. 185 ff., und Lücke, welcher aber doch zu- giebt, dass sie mehr nur eine angefangene als vollendete Pa- rabel sei. 2, S. 345. Anm. 2.; wie denn auch Olshausen (2, 335.) bemerkt, das hier vom Hirten und das 15, 1 ff. vom Weinstock Gesagte sei mehr nur Vergleichung als Parabel.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 653. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/677>, abgerufen am 18.05.2024.