Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Siebentes Kapitel. §. 76. ton anthropon der doxa tou theou vorgezogen haben 2). Dassnun gegen das Ende der Laufbahn Jesu wirklich viele Vornehme, wenn auch nur insgeheim, an ihn geglaubt ha- ben sollten, ist desswegen nicht sehr wahrscheinlich, weil sich in der Apostelgeschichte so gar keine Spur davon fin- det; denn dass der Rath des Gamaliel (A.G. 5, 34 ff.) nicht aus einer, der Sache Jesu positiv günstigen Gesinnung her- vorgegangen war, scheint sein Schüler Saulus zu beweisen. Auch lassen die synoptischen Evangelien Jesum unumwun- den aussprechen, dass das Geheimniss seiner Messianität nur den nepiois klar geworden, den sophois und sunetois aber verborgen geblieben sei (Matth. 11, 25. Luc. 10, 21.), und erwähnen als Anhänger Jesu aus der herrschenden Klasse nur jenen Joseph von Arimathäa. Wie konnte denn aber, wenn Jesus ohne Anhang von Vornehmen ge- blieben war, die Sache dennoch später auf die bezeich- nete Weise dargestellt werden? Joh. 7, 48 f. lesen wir, wie die Pharisäer Jesum durch die Bemerkung herabzu- setzen gesucht haben, dass keiner ek ton arkhonton e ek ton pharisaion, sondern nur der unwissende okhlos an ihn glaube, und auch spätere Gegner des Christenthums, wie Celsus, legten besonderes Gewicht darauf, dass Jesus epiRRetous anthropous, telonas kai nau[t]as tous ponerotatous, zu Schülern gehabt habe 3). Dieser Vorwurf war ein Stachel im Bewusstsein der ersten Gemeinde, und wenn 2) Diese "geheimere Kunde" muss freilich einem Ausleger, wie Dr. Paulus, höchst willkommen sein, weil sie "über manche Vorfälle des Lebens Jesu, deren Ursachen nicht öffentlich erscheinen, einen merkwürdigen Wink giebt" (L. J. 1, b, S. 141), d. h. weil auch Paulus, wie Bahrdt und Venturini, nur weniger offen, dergleichen einflussreiche geheime Ver- bündete als deos ex machina zur Erklärung manches Wun- derbaren im Leben Jesu (Verklärungsgeschichte, Aufenthalt nach der Wiederbelebung u. dgl.) zu gebrauchen Lust hat. 3) Orig. c. Ccls. 1, 62.
Siebentes Kapitel. §. 76. τῶν ἀνϑρώπων der δόξα τοῦ ϑεοῦ vorgezogen haben 2). Daſsnun gegen das Ende der Laufbahn Jesu wirklich viele Vornehme, wenn auch nur insgeheim, an ihn geglaubt ha- ben sollten, ist deſswegen nicht sehr wahrscheinlich, weil sich in der Apostelgeschichte so gar keine Spur davon fin- det; denn daſs der Rath des Gamaliel (A.G. 5, 34 ff.) nicht aus einer, der Sache Jesu positiv günstigen Gesinnung her- vorgegangen war, scheint sein Schüler Saulus zu beweisen. Auch lassen die synoptischen Evangelien Jesum unumwun- den aussprechen, daſs das Geheimniſs seiner Messianität nur den νηπίοις klar geworden, den σοφοῖς und συνετοῖς aber verborgen geblieben sei (Matth. 11, 25. Luc. 10, 21.), und erwähnen als Anhänger Jesu aus der herrschenden Klasse nur jenen Joseph von Arimathäa. Wie konnte denn aber, wenn Jesus ohne Anhang von Vornehmen ge- blieben war, die Sache dennoch später auf die bezeich- nete Weise dargestellt werden? Joh. 7, 48 f. lesen wir, wie die Pharisäer Jesum durch die Bemerkung herabzu- setzen gesucht haben, daſs keiner ἐκ τῶν ἀρχόντων ἢ ἐκ τῶν φαρισαίων, sondern nur der unwissende ὄχλος an ihn glaube, und auch spätere Gegner des Christenthums, wie Celsus, legten besonderes Gewicht darauf, daſs Jesus ἐπιῤῥήτους ἀνϑρώπους, τελώνας καὶ ναύ[τ]ας τοὺς πονηροτάτους, zu Schülern gehabt habe 3). Dieser Vorwurf war ein Stachel im Bewuſstsein der ersten Gemeinde, und wenn 2) Diese „geheimere Kunde“ muss freilich einem Ausleger, wie Dr. Paulus, höchst willkommen sein, weil sie „über manche Vorfälle des Lebens Jesu, deren Ursachen nicht öffentlich erscheinen, einen merkwürdigen Wink giebt“ (L. J. 1, b, S. 141), d. h. weil auch Paulus, wie Bahrdt und Venturini, nur weniger offen, dergleichen einflussreiche geheime Ver- bündete als deos ex machina zur Erklärung manches Wun- derbaren im Leben Jesu (Verklärungsgeschichte, Aufenthalt nach der Wiederbelebung u. dgl.) zu gebrauchen Lust hat. 3) Orig. c. Ccls. 1, 62.
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Siebentes Kapitel. §. 76.
τῶν ἀνϑρώπων der δόξα τοῦ ϑεοῦ vorgezogen haben 2). Daſs
nun gegen das Ende der Laufbahn Jesu wirklich viele
Vornehme, wenn auch nur insgeheim, an ihn geglaubt ha-
ben sollten, ist deſswegen nicht sehr wahrscheinlich, weil
sich in der Apostelgeschichte so gar keine Spur davon fin-
det; denn daſs der Rath des Gamaliel (A.G. 5, 34 ff.) nicht
aus einer, der Sache Jesu positiv günstigen Gesinnung her-
vorgegangen war, scheint sein Schüler Saulus zu beweisen.
Auch lassen die synoptischen Evangelien Jesum unumwun-
den aussprechen, daſs das Geheimniſs seiner Messianität
nur den νηπίοις klar geworden, den σοφοῖς und συνετοῖς
aber verborgen geblieben sei (Matth. 11, 25. Luc. 10, 21.),
und erwähnen als Anhänger Jesu aus der herrschenden
Klasse nur jenen Joseph von Arimathäa. Wie konnte
denn aber, wenn Jesus ohne Anhang von Vornehmen ge-
blieben war, die Sache dennoch später auf die bezeich-
nete Weise dargestellt werden? Joh. 7, 48 f. lesen wir,
wie die Pharisäer Jesum durch die Bemerkung herabzu-
setzen gesucht haben, daſs keiner ἐκ τῶν ἀρχόντων ἢ ἐκ
τῶν φαρισαίων, sondern nur der unwissende ὄχλος an ihn
glaube, und auch spätere Gegner des Christenthums, wie
Celsus, legten besonderes Gewicht darauf, daſs Jesus
ἐπιῤῥήτους ἀνϑρώπους, τελώνας καὶ ναύτας τοὺς πονηροτάτους,
zu Schülern gehabt habe 3). Dieser Vorwurf war ein
Stachel im Bewuſstsein der ersten Gemeinde, und wenn
2) Diese „geheimere Kunde“ muss freilich einem Ausleger, wie
Dr. Paulus, höchst willkommen sein, weil sie „über manche
Vorfälle des Lebens Jesu, deren Ursachen nicht öffentlich
erscheinen, einen merkwürdigen Wink giebt“ (L. J. 1, b,
S. 141), d. h. weil auch Paulus, wie Bahrdt und Venturini,
nur weniger offen, dergleichen einflussreiche geheime Ver-
bündete als deos ex machina zur Erklärung manches Wun-
derbaren im Leben Jesu (Verklärungsgeschichte, Aufenthalt
nach der Wiederbelebung u. dgl.) zu gebrauchen Lust hat.
3) Orig. c. Ccls. 1, 62.
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