Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Sechstes Kapitel. §. 72. ben, sondern auch die zerstreuten Äusserungen über Fein-desliebe, Versöhnlichkeit, Wohlthätigkeit, welche Lukas giebt, finden nur in dem Gegensaz der geistigen Schrift- auslegung Jesu und der fleischlichen der damaligen Leh- rer ihren bestimmten Sinn und Einheitspunkt. Auch ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Worte, mit welchen Lukas (V. 27.) Jesum nach dem lez- ten Wehe fortfahren lässt: alla umin lego 21) und ebenso V. 39. das eipe de parabolen autois 22) Lücken ver- rathen. Was einzelne Parallelen betrifft, so ist die Er- mahnung zu schneller Ausgleichung mit dem antidikos (5, 25 f.) bei Lukas (12, 58 f.) nach dem Urtheil erfahre- ner Exegeten wenigstens nicht so leicht mit dem Vorange- gangenen in Zusammenhang zu bringen, als bei Mat- thäus 23): noch schlimmer jedoch steht es mit der Paral- lele zu 5, 32, von der Ehescheidung, wo, was bei Mat- thäus in engster Verbindung steht, bei Lukas (16, 18.) in einer der schon bezeichneten Spalten zwischen die Ver- sicherung der Unvergänglichkeit des Gesetzes und die Pa- rabel vom reichen Manne eingeklemmt ist. Denn zum Behuf einer Verbindung dieses Satzes mit dem vorherge- henden das moikheuein mit Olshausen 24) ohne Weiteres allegorisch von Untreue gegen das göttliche Gesez zu deu- ten, oder Behufs des Zusammenhangs mit der folgenden Parabel diese mit Schleiermacher 25) auf den ehebrecheri- schen Herodes zu beziehen, das heisst doch gleicherweise Gespenster sehen. Vielmehr scheint in dem Verfasser die Überlieferung nachgeklungen zu haben, dass Jesus nach vorangeschickter Versicherung von der Unverbrüchlichkeit des mosaischen Gesetzes unter Anderem auch diesen stren- 21) Schleiermacher, a. a. O. S. 90. 22) Tholuck, S. 21. 23) Tholuck, S. 12. 187. 24) a. a. O. S. 692 ff. 25) a. a. O. S. 206 f.
Sechstes Kapitel. §. 72. ben, sondern auch die zerstreuten Äusserungen über Fein-desliebe, Versöhnlichkeit, Wohlthätigkeit, welche Lukas giebt, finden nur in dem Gegensaz der geistigen Schrift- auslegung Jesu und der fleischlichen der damaligen Leh- rer ihren bestimmten Sinn und Einheitspunkt. Auch ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daſs die Worte, mit welchen Lukas (V. 27.) Jesum nach dem lez- ten Wehe fortfahren läſst: ἀλλὰ ὑμῖν λέγω 21) und ebenso V. 39. das εἶπε δὲ παραβολὴν αὐτοῖς 22) Lücken ver- rathen. Was einzelne Parallelen betrifft, so ist die Er- mahnung zu schneller Ausgleichung mit dem ἀντίδικος (5, 25 f.) bei Lukas (12, 58 f.) nach dem Urtheil erfahre- ner Exegeten wenigstens nicht so leicht mit dem Vorange- gangenen in Zusammenhang zu bringen, als bei Mat- thäus 23): noch schlimmer jedoch steht es mit der Paral- lele zu 5, 32, von der Ehescheidung, wo, was bei Mat- thäus in engster Verbindung steht, bei Lukas (16, 18.) in einer der schon bezeichneten Spalten zwischen die Ver- sicherung der Unvergänglichkeit des Gesetzes und die Pa- rabel vom reichen Manne eingeklemmt ist. Denn zum Behuf einer Verbindung dieses Satzes mit dem vorherge- henden das μοιχεύειν mit Olshausen 24) ohne Weiteres allegorisch von Untreue gegen das göttliche Gesez zu deu- ten, oder Behufs des Zusammenhangs mit der folgenden Parabel diese mit Schleiermacher 25) auf den ehebrecheri- schen Herodes zu beziehen, das heiſst doch gleicherweise Gespenster sehen. Vielmehr scheint in dem Verfasser die Überlieferung nachgeklungen zu haben, daſs Jesus nach vorangeschickter Versicherung von der Unverbrüchlichkeit des mosaischen Gesetzes unter Anderem auch diesen stren- 21) Schleiermacher, a. a. O. S. 90. 22) Tholuck, S. 21. 23) Tholuck, S. 12. 187. 24) a. a. O. S. 692 ff. 25) a. a. O. S. 206 f.
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Sechstes Kapitel. §. 72.
ben, sondern auch die zerstreuten Äusserungen über Fein-
desliebe, Versöhnlichkeit, Wohlthätigkeit, welche Lukas
giebt, finden nur in dem Gegensaz der geistigen Schrift-
auslegung Jesu und der fleischlichen der damaligen Leh-
rer ihren bestimmten Sinn und Einheitspunkt. Auch ist
mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daſs die
Worte, mit welchen Lukas (V. 27.) Jesum nach dem lez-
ten Wehe fortfahren läſst: ἀλλὰ ὑμῖν λέγω 21) und ebenso
V. 39. das εἶπε δὲ παραβολὴν αὐτοῖς 22) Lücken ver-
rathen. Was einzelne Parallelen betrifft, so ist die Er-
mahnung zu schneller Ausgleichung mit dem ἀντίδικος
(5, 25 f.) bei Lukas (12, 58 f.) nach dem Urtheil erfahre-
ner Exegeten wenigstens nicht so leicht mit dem Vorange-
gangenen in Zusammenhang zu bringen, als bei Mat-
thäus 23): noch schlimmer jedoch steht es mit der Paral-
lele zu 5, 32, von der Ehescheidung, wo, was bei Mat-
thäus in engster Verbindung steht, bei Lukas (16, 18.) in
einer der schon bezeichneten Spalten zwischen die Ver-
sicherung der Unvergänglichkeit des Gesetzes und die Pa-
rabel vom reichen Manne eingeklemmt ist. Denn zum
Behuf einer Verbindung dieses Satzes mit dem vorherge-
henden das μοιχεύειν mit Olshausen 24) ohne Weiteres
allegorisch von Untreue gegen das göttliche Gesez zu deu-
ten, oder Behufs des Zusammenhangs mit der folgenden
Parabel diese mit Schleiermacher 25) auf den ehebrecheri-
schen Herodes zu beziehen, das heiſst doch gleicherweise
Gespenster sehen. Vielmehr scheint in dem Verfasser die
Überlieferung nachgeklungen zu haben, daſs Jesus nach
vorangeschickter Versicherung von der Unverbrüchlichkeit
des mosaischen Gesetzes unter Anderem auch diesen stren-
21) Schleiermacher, a. a. O. S. 90.
22) Tholuck, S. 21.
23) Tholuck, S. 12. 187.
24) a. a. O. S. 692 ff.
25) a. a. O. S. 206 f.
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