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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
man die Befugniss zur Abrogirung eines Theils des Ge-
setzes zuschrieb, wieder ein Ausspruch ist, der nicht zu
einer Zeit gethan sein kann, in welcher sich Jesus noch
gar nicht als Messias erklärt hatte 19). Lukas (16, 17.)
stellt diesen Ausspruch zwar nach dieser Erklärung, zu-
gleich aber neben den scheinbar ganz entgegengesezten,
dass das Gesez und die Propheten nur bis auf Johannes
gehen, zwei Aussprüche, die unmöglich in demselben Zu-
sammenhang gethan sein können, sondern auch hier ist
der Zusammenhang nur ein lexikalischer, indem ad vocem
nomos, womit der erste Saz anfieng, dem Verfasser ein
anderer, gleichfalls den nomos betreffender Ausspruch Jesu
beifallen mochte 20). Überhaupt ist hier, zwischen den
Parabeln vom Haushalter und vom reichen Mann, wieder
eine jener Spalten, in welchen sich bei Lukas gerne ab-
gerissene Redestücke zusammenfinden.

So wenig, wird V. 20. fortgefahren, sei Jesus geson-
nen, Nichtachtung des mosaischen Gesetzes zu lehren,
dass er vielmehr eine noch strengere Achtung desselben
als die Schriftgelehrten und Pharisäer verlange, und diese
sich gegenüber als diejenigen erscheinen lasse, welche das
Gesez untergraben; woraus sofort an einer Reihe von mo-
saischen Geboten gezeigt wird, wie Jesus, statt sich an
den Buchstaben zu halten, in den Geist der Gesetze ein-
dringe, und namentlich die rabbinische Auslegung dersel-
ben in ihrer Verwerflichkeit durchschaue (-- V. 48.). Dass
dieser Abschnitt in der Ordnung und Vollständigkeit, wie
wir ihn bei Matthäus lesen, in der Bergrede des Lukas
fehlt, ist ein entschiedenes Zeichen, dass diese leztere
Lücken hat. Denn in dieser Passage ist der Grundge-
danke nicht nur der Rede, wie sie Matthäus hat, angege-

19) Fritzsche, S. 213.
20) Diess ist der von Schleiermacher S. 205. vermisste Anlass,
zum 16ten Vers den 17ten unhistorisch hinzuzufügen.

Zweiter Abschnitt.
man die Befugniſs zur Abrogirung eines Theils des Ge-
setzes zuschrieb, wieder ein Ausspruch ist, der nicht zu
einer Zeit gethan sein kann, in welcher sich Jesus noch
gar nicht als Messias erklärt hatte 19). Lukas (16, 17.)
stellt diesen Ausspruch zwar nach dieser Erklärung, zu-
gleich aber neben den scheinbar ganz entgegengesezten,
daſs das Gesez und die Propheten nur bis auf Johannes
gehen, zwei Aussprüche, die unmöglich in demselben Zu-
sammenhang gethan sein können, sondern auch hier ist
der Zusammenhang nur ein lexikalischer, indem ad vocem
νόμος, womit der erste Saz anfieng, dem Verfasser ein
anderer, gleichfalls den νόμος betreffender Ausspruch Jesu
beifallen mochte 20). Überhaupt ist hier, zwischen den
Parabeln vom Haushalter und vom reichen Mann, wieder
eine jener Spalten, in welchen sich bei Lukas gerne ab-
gerissene Redestücke zusammenfinden.

So wenig, wird V. 20. fortgefahren, sei Jesus geson-
nen, Nichtachtung des mosaischen Gesetzes zu lehren,
daſs er vielmehr eine noch strengere Achtung desselben
als die Schriftgelehrten und Pharisäer verlange, und diese
sich gegenüber als diejenigen erscheinen lasse, welche das
Gesez untergraben; woraus sofort an einer Reihe von mo-
saischen Geboten gezeigt wird, wie Jesus, statt sich an
den Buchstaben zu halten, in den Geist der Gesetze ein-
dringe, und namentlich die rabbinische Auslegung dersel-
ben in ihrer Verwerflichkeit durchschaue (— V. 48.). Daſs
dieser Abschnitt in der Ordnung und Vollständigkeit, wie
wir ihn bei Matthäus lesen, in der Bergrede des Lukas
fehlt, ist ein entschiedenes Zeichen, daſs diese leztere
Lücken hat. Denn in dieser Passage ist der Grundge-
danke nicht nur der Rede, wie sie Matthäus hat, angege-

19) Fritzsche, S. 213.
20) Diess ist der von Schleiermacher S. 205. vermisste Anlass,
zum 16ten Vers den 17ten unhistorisch hinzuzufügen.
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[580/0604] Zweiter Abschnitt. man die Befugniſs zur Abrogirung eines Theils des Ge- setzes zuschrieb, wieder ein Ausspruch ist, der nicht zu einer Zeit gethan sein kann, in welcher sich Jesus noch gar nicht als Messias erklärt hatte 19). Lukas (16, 17.) stellt diesen Ausspruch zwar nach dieser Erklärung, zu- gleich aber neben den scheinbar ganz entgegengesezten, daſs das Gesez und die Propheten nur bis auf Johannes gehen, zwei Aussprüche, die unmöglich in demselben Zu- sammenhang gethan sein können, sondern auch hier ist der Zusammenhang nur ein lexikalischer, indem ad vocem νόμος, womit der erste Saz anfieng, dem Verfasser ein anderer, gleichfalls den νόμος betreffender Ausspruch Jesu beifallen mochte 20). Überhaupt ist hier, zwischen den Parabeln vom Haushalter und vom reichen Mann, wieder eine jener Spalten, in welchen sich bei Lukas gerne ab- gerissene Redestücke zusammenfinden. So wenig, wird V. 20. fortgefahren, sei Jesus geson- nen, Nichtachtung des mosaischen Gesetzes zu lehren, daſs er vielmehr eine noch strengere Achtung desselben als die Schriftgelehrten und Pharisäer verlange, und diese sich gegenüber als diejenigen erscheinen lasse, welche das Gesez untergraben; woraus sofort an einer Reihe von mo- saischen Geboten gezeigt wird, wie Jesus, statt sich an den Buchstaben zu halten, in den Geist der Gesetze ein- dringe, und namentlich die rabbinische Auslegung dersel- ben in ihrer Verwerflichkeit durchschaue (— V. 48.). Daſs dieser Abschnitt in der Ordnung und Vollständigkeit, wie wir ihn bei Matthäus lesen, in der Bergrede des Lukas fehlt, ist ein entschiedenes Zeichen, daſs diese leztere Lücken hat. Denn in dieser Passage ist der Grundge- danke nicht nur der Rede, wie sie Matthäus hat, angege- 19) Fritzsche, S. 213. 20) Diess ist der von Schleiermacher S. 205. vermisste Anlass, zum 16ten Vers den 17ten unhistorisch hinzuzufügen.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/604>, abgerufen am 23.11.2024.