Gleichnissrede ein Ruhepunkt, über welchen ein verstän- diger Redner nicht so leicht zu neuen Bildern hinwegei- len wird; jedenfalls aber findet zwischen diesem Leuch- ten des inneren Lichts und dem von Lukas darangehäng- ten Ausspruch, dass alles Verborgene an den Tag komme, kein innerer Zusammenhang statt, sondern wir haben hier eine Erscheinung, welche bei Lukas besonders häufig sich wiederholt, dass nämlich in den Zwischenraum zwischen zwei selbstständigen Reden oder Erzählungen mehrere ver- einzelte Gnomen zusammengeworfen sind. So ist hier zwi- schen der Parabel vom Säemann und der Erzählung von dem Besuch der Mutter und Brüder Jesu zuerst die Gnome vom nicht zu bergenden Lichte wegen einiger inneren Ver- wandtschaft mit der Parabel eingefügt; dann, weil in die- ser Gnome der Gegensaz von Verbergen und offen Hin- stellen vorkam, fiel dem Referenten die sonst heterogene Rede vom Offenbarwerden alles Verborgenen ein; worauf ohne Zusammenhang mit dieser, aber wieder in einiger Beziehung auf die Parabel, der Ausspruch: wer hat, dem wird gegeben, hinzugesezt ist. Vollends aber an der zwei- ten Stelle, 11, 33, ist zwischen der Rede Jesu, dass seine Zeitgenossen einst durch die Nineviten werden verur- theilt werden und dem oudeis de lukh[n]on apsas kein Zusam- menhang nachzuweisen, wenn man ihn nicht hineinlegt 18), sondern wir haben auch hier wieder, zwischen den Reden gegen die Zeichenforderung und denen bei'm Pharisäer- mahl, eine solche Fuge, welche mit abgerissenen Redestük- ken ausgefüllt ist.
Es folgt nun 5, 17 ff. der Übergang zum eigentlichen Thema der Rede, nämlich die Versicherung Jesu, nicht zur Auflösung, sondern zur Erfüllung des Gesetzes und der Propheten gekommen zu sein u. s. f.; was, da sich hiemit Jesus offenbar als den Messias voraussezt, welchem
18) wie Olshausen, 1, S. 615. Das Richtige angedeutet bei Schnek- renburger, Beiträge, S. 58; Tholuck, a. a. O. S. 11.
37*
Sechstes Kapitel. §. 72.
Gleichniſsrede ein Ruhepunkt, über welchen ein verstän- diger Redner nicht so leicht zu neuen Bildern hinwegei- len wird; jedenfalls aber findet zwischen diesem Leuch- ten des inneren Lichts und dem von Lukas darangehäng- ten Ausspruch, daſs alles Verborgene an den Tag komme, kein innerer Zusammenhang statt, sondern wir haben hier eine Erscheinung, welche bei Lukas besonders häufig sich wiederholt, daſs nämlich in den Zwischenraum zwischen zwei selbstständigen Reden oder Erzählungen mehrere ver- einzelte Gnomen zusammengeworfen sind. So ist hier zwi- schen der Parabel vom Säemann und der Erzählung von dem Besuch der Mutter und Brüder Jesu zuerst die Gnome vom nicht zu bergenden Lichte wegen einiger inneren Ver- wandtschaft mit der Parabel eingefügt; dann, weil in die- ser Gnome der Gegensaz von Verbergen und offen Hin- stellen vorkam, fiel dem Referenten die sonst heterogene Rede vom Offenbarwerden alles Verborgenen ein; worauf ohne Zusammenhang mit dieser, aber wieder in einiger Beziehung auf die Parabel, der Ausspruch: wer hat, dem wird gegeben, hinzugesezt ist. Vollends aber an der zwei- ten Stelle, 11, 33, ist zwischen der Rede Jesu, daſs seine Zeitgenossen einst durch die Nineviten werden verur- theilt werden und dem οὐδεὶς δὲ λύχ[ν]ον αψας kein Zusam- menhang nachzuweisen, wenn man ihn nicht hineinlegt 18), sondern wir haben auch hier wieder, zwischen den Reden gegen die Zeichenforderung und denen bei'm Pharisäer- mahl, eine solche Fuge, welche mit abgerissenen Redestük- ken ausgefüllt ist.
Es folgt nun 5, 17 ff. der Übergang zum eigentlichen Thema der Rede, nämlich die Versicherung Jesu, nicht zur Auflösung, sondern zur Erfüllung des Gesetzes und der Propheten gekommen zu sein u. s. f.; was, da sich hiemit Jesus offenbar als den Messias voraussezt, welchem
18) wie Olshausen, 1, S. 615. Das Richtige angedeutet bei Schnek- renburger, Beiträge, S. 58; Tholuck, a. a. O. S. 11.
37*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0603"n="579"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Sechstes Kapitel</hi>. §. 72.</fw><lb/>
Gleichniſsrede ein Ruhepunkt, über welchen ein verstän-<lb/>
diger Redner nicht so leicht zu neuen Bildern hinwegei-<lb/>
len wird; jedenfalls aber findet zwischen diesem Leuch-<lb/>
ten des inneren Lichts und dem von Lukas darangehäng-<lb/>
ten Ausspruch, daſs alles Verborgene an den Tag komme,<lb/>
kein innerer Zusammenhang statt, sondern wir haben hier<lb/>
eine Erscheinung, welche bei Lukas besonders häufig sich<lb/>
wiederholt, daſs nämlich in den Zwischenraum zwischen<lb/>
zwei selbstständigen Reden oder Erzählungen mehrere ver-<lb/>
einzelte Gnomen zusammengeworfen sind. So ist hier zwi-<lb/>
schen der Parabel vom Säemann und der Erzählung von<lb/>
dem Besuch der Mutter und Brüder Jesu zuerst die Gnome<lb/>
vom nicht zu bergenden Lichte wegen einiger inneren Ver-<lb/>
wandtschaft mit der Parabel eingefügt; dann, weil in die-<lb/>
ser Gnome der Gegensaz von Verbergen und offen Hin-<lb/>
stellen vorkam, fiel dem Referenten die sonst heterogene<lb/>
Rede vom Offenbarwerden alles Verborgenen ein; worauf<lb/>
ohne Zusammenhang mit dieser, aber wieder in einiger<lb/>
Beziehung auf die Parabel, der Ausspruch: wer hat, dem<lb/>
wird gegeben, hinzugesezt ist. Vollends aber an der zwei-<lb/>
ten Stelle, 11, 33, ist zwischen der Rede Jesu, daſs seine<lb/>
Zeitgenossen einst durch die Nineviten werden verur-<lb/>
theilt werden und dem <foreignxml:lang="ell">οὐδεὶςδὲλύχ<supplied>ν</supplied>οναψας</foreign> kein Zusam-<lb/>
menhang nachzuweisen, wenn man ihn nicht hineinlegt <noteplace="foot"n="18)">wie <hirendition="#k">Olshausen</hi>, 1, S. 615. Das Richtige angedeutet bei <hirendition="#k">Schnek-<lb/>
renburger</hi>, Beiträge, S. 58; <hirendition="#k">Tholuck</hi>, a. a. O. S. 11.</note>,<lb/>
sondern wir haben auch hier wieder, zwischen den Reden<lb/>
gegen die Zeichenforderung und denen bei'm Pharisäer-<lb/>
mahl, eine solche Fuge, welche mit abgerissenen Redestük-<lb/>
ken ausgefüllt ist.</p><lb/><p>Es folgt nun 5, 17 ff. der Übergang zum eigentlichen<lb/>
Thema der Rede, nämlich die Versicherung Jesu, nicht<lb/>
zur Auflösung, sondern zur Erfüllung des Gesetzes und<lb/>
der Propheten gekommen zu sein u. s. f.; was, da sich<lb/>
hiemit Jesus offenbar als den Messias voraussezt, welchem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">37*</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[579/0603]
Sechstes Kapitel. §. 72.
Gleichniſsrede ein Ruhepunkt, über welchen ein verstän-
diger Redner nicht so leicht zu neuen Bildern hinwegei-
len wird; jedenfalls aber findet zwischen diesem Leuch-
ten des inneren Lichts und dem von Lukas darangehäng-
ten Ausspruch, daſs alles Verborgene an den Tag komme,
kein innerer Zusammenhang statt, sondern wir haben hier
eine Erscheinung, welche bei Lukas besonders häufig sich
wiederholt, daſs nämlich in den Zwischenraum zwischen
zwei selbstständigen Reden oder Erzählungen mehrere ver-
einzelte Gnomen zusammengeworfen sind. So ist hier zwi-
schen der Parabel vom Säemann und der Erzählung von
dem Besuch der Mutter und Brüder Jesu zuerst die Gnome
vom nicht zu bergenden Lichte wegen einiger inneren Ver-
wandtschaft mit der Parabel eingefügt; dann, weil in die-
ser Gnome der Gegensaz von Verbergen und offen Hin-
stellen vorkam, fiel dem Referenten die sonst heterogene
Rede vom Offenbarwerden alles Verborgenen ein; worauf
ohne Zusammenhang mit dieser, aber wieder in einiger
Beziehung auf die Parabel, der Ausspruch: wer hat, dem
wird gegeben, hinzugesezt ist. Vollends aber an der zwei-
ten Stelle, 11, 33, ist zwischen der Rede Jesu, daſs seine
Zeitgenossen einst durch die Nineviten werden verur-
theilt werden und dem οὐδεὶς δὲ λύχνον αψας kein Zusam-
menhang nachzuweisen, wenn man ihn nicht hineinlegt 18),
sondern wir haben auch hier wieder, zwischen den Reden
gegen die Zeichenforderung und denen bei'm Pharisäer-
mahl, eine solche Fuge, welche mit abgerissenen Redestük-
ken ausgefüllt ist.
Es folgt nun 5, 17 ff. der Übergang zum eigentlichen
Thema der Rede, nämlich die Versicherung Jesu, nicht
zur Auflösung, sondern zur Erfüllung des Gesetzes und
der Propheten gekommen zu sein u. s. f.; was, da sich
hiemit Jesus offenbar als den Messias voraussezt, welchem
18) wie Olshausen, 1, S. 615. Das Richtige angedeutet bei Schnek-
renburger, Beiträge, S. 58; Tholuck, a. a. O. S. 11.
37*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/603>, abgerufen am 20.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.