Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Kapitel. §. 67.
Wundererzählung des dritten sich bilden konnte. Hatte
Jesus seine Apostel, sofern einige derselben früher das
Fischergewerbe getrieben hatten, als Menschenfischer be-
zeichnet; hatte er das Himmelreich mit einer sagene ble-
theise eis ten thalassan verglichen, in welcher Fische al-
ler Art gefangen werden (Matth. 13, 47 ff.): so ergaben
sich von selbst die Apostel als diejenigen, welche auf Jesu
Wort dieses Netz auswarfen und in demselben den wun-
derbar reichen Fischzug thaten. Nimmt man noch dazu,
dass die alte Sage ihre Wundermänner gerne mit Fisch-
zügen zu schaffen haben liess, wie denn Porphyr und
Jamblich etwas Ähnliches von Pythagoras erzählen 9): so
ist nicht abzusehen, was der Ansicht noch entgegenste-
hen könnte, dass der Fischzug des Petrus nur die zur
Wundergeschichte gewordene Gnome von den Menschen-
fischern sei, wodurch zugleich alle Schwierigkeiten, wel-
che die natürliche wie die supranaturale Auffassung der
Erzählung drücken, mit Einem Schlage weggeräumt sind.

Einen ähnlichen wunderbaren Fischzug weiss das
vierte Evangelium aus den Tagen der Auferstehung Jesu
zu berichten (K. 21). Gleichfalls auf dem galiläischen See
fischt Petrus, wie dort in Begleitung der beiden Zebedai-
den und einiger andern Jünger, die ganze Nacht hindurch,
ohne etwas zu fangen 10). Mit dem ersten Morgen kommt
Jesus an das Ufer und fragt, von ihnen unerkannt, ob
sie kein prosphagion haben? und als sie diess verneinen,

9) Porphyr. vita Pythagorae, no. 25. ed. Kiessling; Jamblich. v.
P. no. 36. ders. Ausg. Diese Geschichte darf hier verglichen
werden, da sie als die weniger wunderbare schwerlich durch
Nachbildung der evangelischen Erzählung, sondern unabhän-
gig von derselben entstanden ist, und also auf eine gemein-
same Neigung der alten Sage zu dergleichen Geschichten
hinweist.
10) Luc. 5, 5: di oles tes nuktos kopiasantes ouden elabomen.
Joh. 21, 3: kai en ekeine te nukti epiasan ouden.

Fünftes Kapitel. §. 67.
Wundererzählung des dritten sich bilden konnte. Hatte
Jesus seine Apostel, sofern einige derselben früher das
Fischergewerbe getrieben hatten, als Menschenfischer be-
zeichnet; hatte er das Himmelreich mit einer σαγήνῃ βλη-
ϑείσῃ εἰς τὴν ϑάλασσαν verglichen, in welcher Fische al-
ler Art gefangen werden (Matth. 13, 47 ff.): so ergaben
sich von selbst die Apostel als diejenigen, welche auf Jesu
Wort dieses Netz auswarfen und in demselben den wun-
derbar reichen Fischzug thaten. Nimmt man noch dazu,
daſs die alte Sage ihre Wundermänner gerne mit Fisch-
zügen zu schaffen haben lieſs, wie denn Porphyr und
Jamblich etwas Ähnliches von Pythagoras erzählen 9): so
ist nicht abzusehen, was der Ansicht noch entgegenste-
hen könnte, daſs der Fischzug des Petrus nur die zur
Wundergeschichte gewordene Gnome von den Menschen-
fischern sei, wodurch zugleich alle Schwierigkeiten, wel-
che die natürliche wie die supranaturale Auffassung der
Erzählung drücken, mit Einem Schlage weggeräumt sind.

Einen ähnlichen wunderbaren Fischzug weiſs das
vierte Evangelium aus den Tagen der Auferstehung Jesu
zu berichten (K. 21). Gleichfalls auf dem galiläischen See
fischt Petrus, wie dort in Begleitung der beiden Zebedai-
den und einiger andern Jünger, die ganze Nacht hindurch,
ohne etwas zu fangen 10). Mit dem ersten Morgen kommt
Jesus an das Ufer und fragt, von ihnen unerkannt, ob
sie kein προσφάγιον haben? und als sie dieſs verneinen,

9) Porphyr. vita Pythagorae, no. 25. ed. Kiessling; Jamblich. v.
P. no. 36. ders. Ausg. Diese Geschichte darf hier verglichen
werden, da sie als die weniger wunderbare schwerlich durch
Nachbildung der evangelischen Erzählung, sondern unabhän-
gig von derselben entstanden ist, und also auf eine gemein-
same Neigung der alten Sage zu dergleichen Geschichten
hinweist.
10) Luc. 5, 5: δἰ ὄλης τῆς νυκτὸς κοπιάσαντες οὐδὲν ἐλάβομεν.
Joh. 21, 3: καὶ ἐν ἐκείνῃ τῇ νυκτὶ ἐπίασαν οὐδέν.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0563" n="539"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fünftes Kapitel</hi>. §. 67.</fw><lb/>
Wundererzählung des dritten sich bilden konnte. Hatte<lb/>
Jesus seine Apostel, sofern einige derselben früher das<lb/>
Fischergewerbe getrieben hatten, als Menschenfischer be-<lb/>
zeichnet; hatte er das Himmelreich mit einer <foreign xml:lang="ell">&#x03C3;&#x03B1;&#x03B3;&#x03AE;&#x03BD;&#x1FC3; &#x03B2;&#x03BB;&#x03B7;-<lb/>
&#x03D1;&#x03B5;&#x03AF;&#x03C3;&#x1FC3; &#x03B5;&#x1F30;&#x03C2; &#x03C4;&#x1F74;&#x03BD; &#x03D1;&#x03AC;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD;</foreign> verglichen, in welcher Fische al-<lb/>
ler Art gefangen werden (Matth. 13, 47 ff.): so ergaben<lb/>
sich von selbst die Apostel als diejenigen, welche auf Jesu<lb/>
Wort dieses Netz auswarfen und in demselben den wun-<lb/>
derbar reichen Fischzug thaten. Nimmt man noch dazu,<lb/>
da&#x017F;s die alte Sage ihre Wundermänner gerne mit Fisch-<lb/>
zügen zu schaffen haben lie&#x017F;s, wie denn Porphyr und<lb/>
Jamblich etwas Ähnliches von Pythagoras erzählen <note place="foot" n="9)">Porphyr. vita Pythagorae, no. 25. ed. Kiessling; Jamblich. v.<lb/>
P. no. 36. ders. Ausg. Diese Geschichte darf hier verglichen<lb/>
werden, da sie als die weniger wunderbare schwerlich durch<lb/>
Nachbildung der evangelischen Erzählung, sondern unabhän-<lb/>
gig von derselben entstanden ist, und also auf eine gemein-<lb/>
same Neigung der alten Sage zu dergleichen Geschichten<lb/>
hinweist.</note>: so<lb/>
ist nicht abzusehen, was der Ansicht noch entgegenste-<lb/>
hen könnte, da&#x017F;s der Fischzug des Petrus nur die zur<lb/>
Wundergeschichte gewordene Gnome von den Menschen-<lb/>
fischern sei, wodurch zugleich alle Schwierigkeiten, wel-<lb/>
che die natürliche wie die supranaturale Auffassung der<lb/>
Erzählung drücken, mit Einem Schlage weggeräumt sind.</p><lb/>
            <p>Einen ähnlichen wunderbaren Fischzug wei&#x017F;s das<lb/>
vierte Evangelium aus den Tagen der Auferstehung Jesu<lb/>
zu berichten (K. 21). Gleichfalls auf dem galiläischen See<lb/>
fischt Petrus, wie dort in Begleitung der beiden Zebedai-<lb/>
den und einiger andern Jünger, die ganze Nacht hindurch,<lb/>
ohne etwas zu fangen <note place="foot" n="10)">Luc. 5, 5: <foreign xml:lang="ell">&#x03B4;&#x1F30; &#x1F44;&#x03BB;&#x03B7;&#x03C2; &#x03C4;&#x1FC6;&#x03C2; &#x03BD;&#x03C5;&#x03BA;&#x03C4;&#x1F78;&#x03C2; &#x03BA;&#x03BF;&#x03C0;&#x03B9;&#x03AC;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2; &#x03BF;&#x1F50;&#x03B4;&#x1F72;&#x03BD; &#x1F10;&#x03BB;&#x03AC;&#x03B2;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;.<lb/>
Joh. 21, 3: &#x03BA;&#x03B1;&#x1F76; &#x1F10;&#x03BD; &#x1F10;&#x03BA;&#x03B5;&#x03AF;&#x03BD;&#x1FC3; &#x03C4;&#x1FC7; &#x03BD;&#x03C5;&#x03BA;&#x03C4;&#x1F76; &#x1F10;&#x03C0;&#x03AF;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B1;&#x03BD; &#x03BF;&#x1F50;&#x03B4;&#x03AD;&#x03BD;</foreign>.</note>. Mit dem ersten Morgen kommt<lb/>
Jesus an das Ufer und fragt, von ihnen unerkannt, ob<lb/>
sie kein <foreign xml:lang="ell">&#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C3;&#x03C6;&#x03AC;&#x03B3;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD;</foreign> haben? und als sie die&#x017F;s verneinen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[539/0563] Fünftes Kapitel. §. 67. Wundererzählung des dritten sich bilden konnte. Hatte Jesus seine Apostel, sofern einige derselben früher das Fischergewerbe getrieben hatten, als Menschenfischer be- zeichnet; hatte er das Himmelreich mit einer σαγήνῃ βλη- ϑείσῃ εἰς τὴν ϑάλασσαν verglichen, in welcher Fische al- ler Art gefangen werden (Matth. 13, 47 ff.): so ergaben sich von selbst die Apostel als diejenigen, welche auf Jesu Wort dieses Netz auswarfen und in demselben den wun- derbar reichen Fischzug thaten. Nimmt man noch dazu, daſs die alte Sage ihre Wundermänner gerne mit Fisch- zügen zu schaffen haben lieſs, wie denn Porphyr und Jamblich etwas Ähnliches von Pythagoras erzählen 9): so ist nicht abzusehen, was der Ansicht noch entgegenste- hen könnte, daſs der Fischzug des Petrus nur die zur Wundergeschichte gewordene Gnome von den Menschen- fischern sei, wodurch zugleich alle Schwierigkeiten, wel- che die natürliche wie die supranaturale Auffassung der Erzählung drücken, mit Einem Schlage weggeräumt sind. Einen ähnlichen wunderbaren Fischzug weiſs das vierte Evangelium aus den Tagen der Auferstehung Jesu zu berichten (K. 21). Gleichfalls auf dem galiläischen See fischt Petrus, wie dort in Begleitung der beiden Zebedai- den und einiger andern Jünger, die ganze Nacht hindurch, ohne etwas zu fangen 10). Mit dem ersten Morgen kommt Jesus an das Ufer und fragt, von ihnen unerkannt, ob sie kein προσφάγιον haben? und als sie dieſs verneinen, 9) Porphyr. vita Pythagorae, no. 25. ed. Kiessling; Jamblich. v. P. no. 36. ders. Ausg. Diese Geschichte darf hier verglichen werden, da sie als die weniger wunderbare schwerlich durch Nachbildung der evangelischen Erzählung, sondern unabhän- gig von derselben entstanden ist, und also auf eine gemein- same Neigung der alten Sage zu dergleichen Geschichten hinweist. 10) Luc. 5, 5: δἰ ὄλης τῆς νυκτὸς κοπιάσαντες οὐδὲν ἐλάβομεν. Joh. 21, 3: καὶ ἐν ἐκείνῃ τῇ νυκτὶ ἐπίασαν οὐδέν.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/563
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/563>, abgerufen am 18.05.2024.