heisst er sie rechts vom Schiffe das Netz auswerfen, wor- auf sie wirklich einen überaus reichen Fang thun, und daran Jesum erkennen. Dass diess eine von der bei Lukas erzählten Begebenheit verschiedene sei, ist wegen der gros- sen Ähnlichkeit kaum denkbar, und ohne allen Zweifel ist dieselbe Geschichte durch die Tradition in verschiedene Theile des Lebens Jesu verlegt worden.
Vergleichen wir nun diese drei Fischzugsgeschichten, die beiden von Jesus erzählten und die von Pythagoras, so wird uns ihr mythischer Charakter vollends anschaulich. Was bei Lukas ohne Zweifel ein Wunder der Macht sein soll, ist in der jamblichischen Erzählung ein Wunder des Wissens, indem Pythagoras von den bereits auf natürli- chem Wege gefangenen Fischen nur die Zahl auf wunder- bare Weise anzugeben weiss; zwischen beiden aber steht die johanneische Darstellung insofern in der Mitte, als auch in ihr, wenn gleich nicht als Vorherbestimmung des Wunderthäters, sondern nur als Angabe des Referenten die Zahl der Fische (153) eine Rolle spielt. Ein sagenhaf- ter Zug ist ferner die offenbare Übertreibung, mit wel- cher die Menge und Schwere der Fische geschildert wird, besonders wenn man auf die Variationen merkt, welche sich in dieser Hinsicht in den verschiedenen Erzählungen finden. Nach Lukas ist die Menge der Fische so gross, dass die Netze zerreissen, dass Ein Schiff sie nicht fasst, und auch nach der Vertheilung in zwei Fahrzeuge beide zu sinken drohen. Dass in Gegenwart des Wunderthäters die durch seine Wundermacht gefüllten Netze zerrissen sein sollten, will der Tradition im vierten Evangelium nicht recht einleuchten; da sie aber doch durch Hervorhebung der Menge und Schwere der gefangenen Fische das Wun- der heben will, so zählt sie dieselben, bestimmt sie als megalous, und fügt hinzu, dass die Männer das Netz ouk eti elkusai iskhusan apo tou plethous ton ikhthuon: statt nun aber durch ein Zerreissen der Netze aus dem mirakulösen
Zweiter Abschnitt.
heiſst er sie rechts vom Schiffe das Netz auswerfen, wor- auf sie wirklich einen überaus reichen Fang thun, und daran Jesum erkennen. Daſs dieſs eine von der bei Lukas erzählten Begebenheit verschiedene sei, ist wegen der gros- sen Ähnlichkeit kaum denkbar, und ohne allen Zweifel ist dieselbe Geschichte durch die Tradition in verschiedene Theile des Lebens Jesu verlegt worden.
Vergleichen wir nun diese drei Fischzugsgeschichten, die beiden von Jesus erzählten und die von Pythagoras, so wird uns ihr mythischer Charakter vollends anschaulich. Was bei Lukas ohne Zweifel ein Wunder der Macht sein soll, ist in der jamblichischen Erzählung ein Wunder des Wissens, indem Pythagoras von den bereits auf natürli- chem Wege gefangenen Fischen nur die Zahl auf wunder- bare Weise anzugeben weiſs; zwischen beiden aber steht die johanneische Darstellung insofern in der Mitte, als auch in ihr, wenn gleich nicht als Vorherbestimmung des Wunderthäters, sondern nur als Angabe des Referenten die Zahl der Fische (153) eine Rolle spielt. Ein sagenhaf- ter Zug ist ferner die offenbare Übertreibung, mit wel- cher die Menge und Schwere der Fische geschildert wird, besonders wenn man auf die Variationen merkt, welche sich in dieser Hinsicht in den verschiedenen Erzählungen finden. Nach Lukas ist die Menge der Fische so groſs, daſs die Netze zerreissen, daſs Ein Schiff sie nicht faſst, und auch nach der Vertheilung in zwei Fahrzeuge beide zu sinken drohen. Daſs in Gegenwart des Wunderthäters die durch seine Wundermacht gefüllten Netze zerrissen sein sollten, will der Tradition im vierten Evangelium nicht recht einleuchten; da sie aber doch durch Hervorhebung der Menge und Schwere der gefangenen Fische das Wun- der heben will, so zählt sie dieselben, bestimmt sie als μεγάλους, und fügt hinzu, daſs die Männer das Netz οὐκ ἔτι ἑλκῦσαι ἴσχυσαν ἀπὸ τοῦ πλήϑους τῶν ἰχϑύων: statt nun aber durch ein Zerreissen der Netze aus dem mirakulösen
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Zweiter Abschnitt.
heiſst er sie rechts vom Schiffe das Netz auswerfen, wor-
auf sie wirklich einen überaus reichen Fang thun, und
daran Jesum erkennen. Daſs dieſs eine von der bei Lukas
erzählten Begebenheit verschiedene sei, ist wegen der gros-
sen Ähnlichkeit kaum denkbar, und ohne allen Zweifel
ist dieselbe Geschichte durch die Tradition in verschiedene
Theile des Lebens Jesu verlegt worden.
Vergleichen wir nun diese drei Fischzugsgeschichten,
die beiden von Jesus erzählten und die von Pythagoras,
so wird uns ihr mythischer Charakter vollends anschaulich.
Was bei Lukas ohne Zweifel ein Wunder der Macht sein
soll, ist in der jamblichischen Erzählung ein Wunder des
Wissens, indem Pythagoras von den bereits auf natürli-
chem Wege gefangenen Fischen nur die Zahl auf wunder-
bare Weise anzugeben weiſs; zwischen beiden aber steht
die johanneische Darstellung insofern in der Mitte, als
auch in ihr, wenn gleich nicht als Vorherbestimmung des
Wunderthäters, sondern nur als Angabe des Referenten
die Zahl der Fische (153) eine Rolle spielt. Ein sagenhaf-
ter Zug ist ferner die offenbare Übertreibung, mit wel-
cher die Menge und Schwere der Fische geschildert wird,
besonders wenn man auf die Variationen merkt, welche
sich in dieser Hinsicht in den verschiedenen Erzählungen
finden. Nach Lukas ist die Menge der Fische so groſs,
daſs die Netze zerreissen, daſs Ein Schiff sie nicht faſst,
und auch nach der Vertheilung in zwei Fahrzeuge beide
zu sinken drohen. Daſs in Gegenwart des Wunderthäters
die durch seine Wundermacht gefüllten Netze zerrissen
sein sollten, will der Tradition im vierten Evangelium nicht
recht einleuchten; da sie aber doch durch Hervorhebung
der Menge und Schwere der gefangenen Fische das Wun-
der heben will, so zählt sie dieselben, bestimmt sie als
μεγάλους, und fügt hinzu, daſs die Männer das Netz οὐκ
ἔτι ἑλκῦσαι ἴσχυσαν ἀπὸ τοῦ πλήϑους τῶν ἰχϑύων: statt nun
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 540. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/564>, abgerufen am 22.11.2024.
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