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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 66.
strös ist. Ebenso ist von Seiten der Jünger die ungesäum-
te Nachfolge mehr als sich natürlicherweise erwarten lässt,
da Jesus damals in Galiläa noch nicht den Ruhm wie spä-
ter hatte, und man müsste aus dieser Bereitwilligkeit fast
auf eine unmittelbar in die Gemüther eindringende, von
Vorbereitung und Gründen unabhängige Kraft der Stimme
und des Willens Jesu schliessen 6), was zu dem oben be-
zeichneten visionären noch ein magischer Zug wäre, um
das Unglaubliche der Erzählung zu vollenden.

Sind auf diese Weise die negativen Gründe gegen den
historischen Charakter der Erzählung stark genug, so muss
man sich für eine mythische Auffassung derselben entschei-
den, sobald sich noch positiv zeigen lässt, wie sie auch
ohne historische Grundlage auf traditionelle Weise sich
bilden konnte. Hiezu lag nun aber hinreichender Anlass
nicht allein in der schon angeführten jüdischen Vorstel-
lung vom Messias als Herzenskündiger, sondern auch ein
ganz specielles Vorbild dieser Apostelberufung war in der
Erzählung (1 Kön. 19, 19--21.) von der Art und Weise
gegeben, wie der Prophet Elia den Elisa zu seiner Nach-
folge bestimmt haben sollte. Wie hier Jesus die Brüder-
paare von den Netzen und dem Fischfang: so ruft dort
der Prophet seinen künftigen Schüler von den Rindern
und dem Pfluge weg; beidemale von einer einfachen ma-
teriellen Arbeit zum höchsten geistigen Berufe, ein Con-
trast, welchen, wie aus der römischen Geschichte bekannt,
die Sage besonders gerne entweder aufbewahrt oder macht.
Ferner, wie die Fischer auf den Ruf Jesu ihre Netze ver-
lassen und ihm nachfolgen: so Elisa, als Elia seinen Man-
tel auf ihn warf, katelipe tas boas kai katedramen opiso
Eliou (V. 20. LXX). Nun aber folgt eine bemerkenswerthe
Differenz. Der berufene Prophetenschüler bat, ehe er sich
ganz an Elia anschlösse, sich noch von Vater und Mutter

6) Paulus, a. a. O.

Fünftes Kapitel. §. 66.
strös ist. Ebenso ist von Seiten der Jünger die ungesäum-
te Nachfolge mehr als sich natürlicherweise erwarten läſst,
da Jesus damals in Galiläa noch nicht den Ruhm wie spä-
ter hatte, und man müſste aus dieser Bereitwilligkeit fast
auf eine unmittelbar in die Gemüther eindringende, von
Vorbereitung und Gründen unabhängige Kraft der Stimme
und des Willens Jesu schlieſsen 6), was zu dem oben be-
zeichneten visionären noch ein magischer Zug wäre, um
das Unglaubliche der Erzählung zu vollenden.

Sind auf diese Weise die negativen Gründe gegen den
historischen Charakter der Erzählung stark genug, so muſs
man sich für eine mythische Auffassung derselben entschei-
den, sobald sich noch positiv zeigen läſst, wie sie auch
ohne historische Grundlage auf traditionelle Weise sich
bilden konnte. Hiezu lag nun aber hinreichender Anlaſs
nicht allein in der schon angeführten jüdischen Vorstel-
lung vom Messias als Herzenskündiger, sondern auch ein
ganz specielles Vorbild dieser Apostelberufung war in der
Erzählung (1 Kön. 19, 19—21.) von der Art und Weise
gegeben, wie der Prophet Elia den Elisa zu seiner Nach-
folge bestimmt haben sollte. Wie hier Jesus die Brüder-
paare von den Netzen und dem Fischfang: so ruft dort
der Prophet seinen künftigen Schüler von den Rindern
und dem Pfluge weg; beidemale von einer einfachen ma-
teriellen Arbeit zum höchsten geistigen Berufe, ein Con-
trast, welchen, wie aus der römischen Geschichte bekannt,
die Sage besonders gerne entweder aufbewahrt oder macht.
Ferner, wie die Fischer auf den Ruf Jesu ihre Netze ver-
lassen und ihm nachfolgen: so Elisa, als Elia seinen Man-
tel auf ihn warf, κατέλιπε τὰς βόας καὶ κατέδραμεν ὀπίσω
Ηλιου (V. 20. LXX). Nun aber folgt eine bemerkenswerthe
Differenz. Der berufene Prophetenschüler bat, ehe er sich
ganz an Elia anschlöſse, sich noch von Vater und Mutter

6) Paulus, a. a. O.
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[525/0549] Fünftes Kapitel. §. 66. strös ist. Ebenso ist von Seiten der Jünger die ungesäum- te Nachfolge mehr als sich natürlicherweise erwarten läſst, da Jesus damals in Galiläa noch nicht den Ruhm wie spä- ter hatte, und man müſste aus dieser Bereitwilligkeit fast auf eine unmittelbar in die Gemüther eindringende, von Vorbereitung und Gründen unabhängige Kraft der Stimme und des Willens Jesu schlieſsen 6), was zu dem oben be- zeichneten visionären noch ein magischer Zug wäre, um das Unglaubliche der Erzählung zu vollenden. Sind auf diese Weise die negativen Gründe gegen den historischen Charakter der Erzählung stark genug, so muſs man sich für eine mythische Auffassung derselben entschei- den, sobald sich noch positiv zeigen läſst, wie sie auch ohne historische Grundlage auf traditionelle Weise sich bilden konnte. Hiezu lag nun aber hinreichender Anlaſs nicht allein in der schon angeführten jüdischen Vorstel- lung vom Messias als Herzenskündiger, sondern auch ein ganz specielles Vorbild dieser Apostelberufung war in der Erzählung (1 Kön. 19, 19—21.) von der Art und Weise gegeben, wie der Prophet Elia den Elisa zu seiner Nach- folge bestimmt haben sollte. Wie hier Jesus die Brüder- paare von den Netzen und dem Fischfang: so ruft dort der Prophet seinen künftigen Schüler von den Rindern und dem Pfluge weg; beidemale von einer einfachen ma- teriellen Arbeit zum höchsten geistigen Berufe, ein Con- trast, welchen, wie aus der römischen Geschichte bekannt, die Sage besonders gerne entweder aufbewahrt oder macht. Ferner, wie die Fischer auf den Ruf Jesu ihre Netze ver- lassen und ihm nachfolgen: so Elisa, als Elia seinen Man- tel auf ihn warf, κατέλιπε τὰς βόας καὶ κατέδραμεν ὀπίσω Ηλιου (V. 20. LXX). Nun aber folgt eine bemerkenswerthe Differenz. Der berufene Prophetenschüler bat, ehe er sich ganz an Elia anschlöſse, sich noch von Vater und Mutter 6) Paulus, a. a. O.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/549>, abgerufen am 23.11.2024.