Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. muss es erlaubt sein, auch den Totaleindruck des Ganzenzu Gunsten dieses Resultates geltend zu machen. Seit Herakleon und Origenes 19) haben sich die älteren Erklä- rer selten enthalten, die Geschichte mit der Samariterin allegorisch zu deuten, wovon der Grund wohl mit darin liegt, dass die ganze Scene eine sagenhafte, poetische Farbe hat. Das Lokal am Brunnen ist das idyllische Lokal der althebräischen Sage, auf welchem sie gerne verhängniss- volle Begegnungen vor sich gehen lässt; dass der Brunnen die Jakobsquelle und das Grundstück dasjenige ist, wel- ches nach der (aus 1 Mos. 33, 19. 48, 22. Jos. 24, 32. ge- bildeten Sage Jakob dem Joseph geschenkt hatte, giebt dem idyllischen Boden noch die bestimmtere Weihe des Nationalen und Patriarchalischen, damit er um so eher würdig sei, vom Messias betreten zu werden. An dem Brunnen trifft Jesus mit einem Weibe zusammen, wel- ches herauskommt, um Wasser zu schöpfen: ganz dieselbe Scene, wie 1 Mos. 24, 15., wo dem am Brunnen warten- den Elieser Rebekka mit dem Kruge begegnet, wie 1. Mos. 29, 9., wo Jakob die künftige Stammmutter Israels, Rahel, oder wie 2 Mos. 2, 16., wo Moses ebenso seine künftige Gattin am Brunnen findet. Jesus begehrt von dem Weibe zu trinken, wie Elieser von Rebekka; nachdem er sich ihr als Messias zu erkennen gegeben, läuft sie in die Stadt zurück und holt ihre Mitbürger heraus, wie Rebekka, nach- dem Elieser sich als Abrahams Verwalter kund gegeben, und Rahel, nachdem sie Jakob als Verwandter begrüsst hatte, eilend hineinliefen und die Ihrigen holten, um den werthen Gast zu bewillkommen. Freilich nicht eine ta- dellose, wie die beiden nachmaligen Stammmütter des hei- ligen Volks oder die künftige Gattin seines Gesezgebers, ist es, welche hier Jesu begegnet; kam ja dieses Weib heraus 19) Comm. in Joan. Tom. 13, am Anfang des zweiten Bandes der
Ausg. von Lommatzsch. Zweiter Abschnitt. muſs es erlaubt sein, auch den Totaleindruck des Ganzenzu Gunsten dieses Resultates geltend zu machen. Seit Herakleon und Origenes 19) haben sich die älteren Erklä- rer selten enthalten, die Geschichte mit der Samariterin allegorisch zu deuten, wovon der Grund wohl mit darin liegt, daſs die ganze Scene eine sagenhafte, poëtische Farbe hat. Das Lokal am Brunnen ist das idyllische Lokal der althebräischen Sage, auf welchem sie gerne verhängniſs- volle Begegnungen vor sich gehen läſst; daſs der Brunnen die Jakobsquelle und das Grundstück dasjenige ist, wel- ches nach der (aus 1 Mos. 33, 19. 48, 22. Jos. 24, 32. ge- bildeten Sage Jakob dem Joseph geschenkt hatte, giebt dem idyllischen Boden noch die bestimmtere Weihe des Nationalen und Patriarchalischen, damit er um so eher würdig sei, vom Messias betreten zu werden. An dem Brunnen trifft Jesus mit einem Weibe zusammen, wel- ches herauskommt, um Wasser zu schöpfen: ganz dieselbe Scene, wie 1 Mos. 24, 15., wo dem am Brunnen warten- den Elieser Rebekka mit dem Kruge begegnet, wie 1. Mos. 29, 9., wo Jakob die künftige Stammmutter Israëls, Rahel, oder wie 2 Mos. 2, 16., wo Moses ebenso seine künftige Gattin am Brunnen findet. Jesus begehrt von dem Weibe zu trinken, wie Elieser von Rebekka; nachdem er sich ihr als Messias zu erkennen gegeben, läuft sie in die Stadt zurück und holt ihre Mitbürger heraus, wie Rebekka, nach- dem Elieser sich als Abrahams Verwalter kund gegeben, und Rahel, nachdem sie Jakob als Verwandter begrüſst hatte, eilend hineinliefen und die Ihrigen holten, um den werthen Gast zu bewillkommen. Freilich nicht eine ta- dellose, wie die beiden nachmaligen Stammmütter des hei- ligen Volks oder die künftige Gattin seines Gesezgebers, ist es, welche hier Jesu begegnet; kam ja dieses Weib heraus 19) Comm. in Joan. Tom. 13, am Anfang des zweiten Bandes der
Ausg. von Lommatzsch. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0542" n="518"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> muſs es erlaubt sein, auch den Totaleindruck des Ganzen<lb/> zu Gunsten dieses Resultates geltend zu machen. Seit<lb/> Herakleon und Origenes <note place="foot" n="19)">Comm. in Joan. Tom. 13, am Anfang des zweiten Bandes der<lb/> Ausg. von <hi rendition="#k">Lommatzsch</hi>.</note> haben sich die älteren Erklä-<lb/> rer selten enthalten, die Geschichte mit der Samariterin<lb/> allegorisch zu deuten, wovon der Grund wohl mit darin<lb/> liegt, daſs die ganze Scene eine sagenhafte, poëtische Farbe<lb/> hat. Das Lokal am Brunnen ist das idyllische Lokal der<lb/> althebräischen Sage, auf welchem sie gerne verhängniſs-<lb/> volle Begegnungen vor sich gehen läſst; daſs der Brunnen<lb/> die Jakobsquelle und das Grundstück dasjenige ist, wel-<lb/> ches nach der (aus 1 Mos. 33, 19. 48, 22. Jos. 24, 32. ge-<lb/> bildeten Sage Jakob dem Joseph geschenkt hatte, giebt<lb/> dem idyllischen Boden noch die bestimmtere Weihe des<lb/> Nationalen und Patriarchalischen, damit er um so eher<lb/> würdig sei, vom Messias betreten zu werden. An dem<lb/><choice><sic>Brunnnen</sic><corr>Brunnen</corr></choice> trifft Jesus mit einem Weibe zusammen, wel-<lb/> ches herauskommt, um Wasser zu schöpfen: ganz dieselbe<lb/> Scene, wie 1 Mos. 24, 15., wo dem am Brunnen warten-<lb/> den Elieser Rebekka mit dem Kruge begegnet, wie 1. Mos.<lb/> 29, 9., wo Jakob die künftige Stammmutter Israëls, Rahel,<lb/> oder wie 2 Mos. 2, 16., wo Moses ebenso seine künftige<lb/> Gattin am Brunnen findet. Jesus begehrt von dem Weibe<lb/> zu trinken, wie Elieser von Rebekka; nachdem er sich<lb/> ihr als Messias zu erkennen gegeben, läuft sie in die Stadt<lb/> zurück und holt ihre Mitbürger heraus, wie Rebekka, nach-<lb/> dem Elieser sich als Abrahams Verwalter kund gegeben,<lb/> und Rahel, nachdem sie Jakob als Verwandter begrüſst<lb/> hatte, eilend hineinliefen und die Ihrigen holten, um den<lb/> werthen Gast zu bewillkommen. Freilich nicht eine ta-<lb/> dellose, wie die beiden nachmaligen Stammmütter des hei-<lb/> ligen Volks oder die künftige Gattin seines Gesezgebers, ist<lb/> es, welche hier Jesu begegnet; kam ja dieses Weib heraus<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [518/0542]
Zweiter Abschnitt.
muſs es erlaubt sein, auch den Totaleindruck des Ganzen
zu Gunsten dieses Resultates geltend zu machen. Seit
Herakleon und Origenes 19) haben sich die älteren Erklä-
rer selten enthalten, die Geschichte mit der Samariterin
allegorisch zu deuten, wovon der Grund wohl mit darin
liegt, daſs die ganze Scene eine sagenhafte, poëtische Farbe
hat. Das Lokal am Brunnen ist das idyllische Lokal der
althebräischen Sage, auf welchem sie gerne verhängniſs-
volle Begegnungen vor sich gehen läſst; daſs der Brunnen
die Jakobsquelle und das Grundstück dasjenige ist, wel-
ches nach der (aus 1 Mos. 33, 19. 48, 22. Jos. 24, 32. ge-
bildeten Sage Jakob dem Joseph geschenkt hatte, giebt
dem idyllischen Boden noch die bestimmtere Weihe des
Nationalen und Patriarchalischen, damit er um so eher
würdig sei, vom Messias betreten zu werden. An dem
Brunnen trifft Jesus mit einem Weibe zusammen, wel-
ches herauskommt, um Wasser zu schöpfen: ganz dieselbe
Scene, wie 1 Mos. 24, 15., wo dem am Brunnen warten-
den Elieser Rebekka mit dem Kruge begegnet, wie 1. Mos.
29, 9., wo Jakob die künftige Stammmutter Israëls, Rahel,
oder wie 2 Mos. 2, 16., wo Moses ebenso seine künftige
Gattin am Brunnen findet. Jesus begehrt von dem Weibe
zu trinken, wie Elieser von Rebekka; nachdem er sich
ihr als Messias zu erkennen gegeben, läuft sie in die Stadt
zurück und holt ihre Mitbürger heraus, wie Rebekka, nach-
dem Elieser sich als Abrahams Verwalter kund gegeben,
und Rahel, nachdem sie Jakob als Verwandter begrüſst
hatte, eilend hineinliefen und die Ihrigen holten, um den
werthen Gast zu bewillkommen. Freilich nicht eine ta-
dellose, wie die beiden nachmaligen Stammmütter des hei-
ligen Volks oder die künftige Gattin seines Gesezgebers, ist
es, welche hier Jesu begegnet; kam ja dieses Weib heraus
19) Comm. in Joan. Tom. 13, am Anfang des zweiten Bandes der
Ausg. von Lommatzsch.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |