Blüthen und Früchte trugen, zuerst in die Menschheit ge- legt habe: so lässt sich doch zugleich eine speciellere Be- ziehung unmöglich abweisen. Jesus sieht voraus, dass ihm die zur Stadt geeilte Frau Gelegenheit verschaffen werde, in Samarien die Saat des Evangeliums auszustreuen, und verheisst den Jüngern, dass sie die Früchte dieser seiner Bemühungen einst zu geniessen haben werden. Wer denkt hier nicht an die schon erwähnte Ausbreitung des Christenthums in Samarien durch Philippus und einige Apostel, wie sie A. G. 8. uns berichtet ist? 18) Dass Jesus diesen Fortgang seiner Sache in Samarien nach seiner Kenntniss der Bewohner schon damals habe vorhersehen können, lässt sich zwar auch bei einer natürlichen An- sicht von der Person Jesu nicht geradezu in Abrede stel- len; doch da dieser Zug zu einem in historischer Bezie- hung mehr als unwahrscheinlichen Ganzen gehört: so ist er ebensobald aufzugeben, als sich erklären lässt, wie er auch ohne faktischen Grund entstehen konnte. Diese Er- klärung ist nun aber nicht weit zu suchen. Nach der ge- wöhnlichen Tradition der ersten Gemeinde, wie sie in den drei ersten Evangelien niedergelegt ist, hatte Jesus nur in Galiläa, Peräa und Judäa persönlich gewirkt, nicht ebenso in Samarien, welches jedoch nach der A. G. auch frühzeitig das Evangelium annahm. Wie natürlich nun, dass die Tendenz entstand, die Thätigkeit Jesu durch die Annahme zu vervollständigen, dass er auch in Samarien, und somit in allen Theilen Palästina's, den himmlischen Samen ausgestreut habe, den Ruhm der Apostel und andern Lehrer aber in Hinsicht jener Provinz auf den des blossen Erntens zu beschränken.
Nachdem die Prüfung der einzelnen Züge der johan- neischen Erzählung das Resultat geliefert hat, dass wir hier schwerlich eine wirkliche Geschichte vor uns haben,
18)Lücke, S. 540 Anm. Bretschneider, S. 52.
Viertes Kapitel. §. 65.
Blüthen und Früchte trugen, zuerst in die Menschheit ge- legt habe: so läſst sich doch zugleich eine speciellere Be- ziehung unmöglich abweisen. Jesus sieht voraus, daſs ihm die zur Stadt geeilte Frau Gelegenheit verschaffen werde, in Samarien die Saat des Evangeliums auszustreuen, und verheiſst den Jüngern, daſs sie die Früchte dieser seiner Bemühungen einst zu genieſsen haben werden. Wer denkt hier nicht an die schon erwähnte Ausbreitung des Christenthums in Samarien durch Philippus und einige Apostel, wie sie A. G. 8. uns berichtet ist? 18) Daſs Jesus diesen Fortgang seiner Sache in Samarien nach seiner Kenntniſs der Bewohner schon damals habe vorhersehen können, läſst sich zwar auch bei einer natürlichen An- sicht von der Person Jesu nicht geradezu in Abrede stel- len; doch da dieser Zug zu einem in historischer Bezie- hung mehr als unwahrscheinlichen Ganzen gehört: so ist er ebensobald aufzugeben, als sich erklären läſst, wie er auch ohne faktischen Grund entstehen konnte. Diese Er- klärung ist nun aber nicht weit zu suchen. Nach der ge- wöhnlichen Tradition der ersten Gemeinde, wie sie in den drei ersten Evangelien niedergelegt ist, hatte Jesus nur in Galiläa, Peräa und Judäa persönlich gewirkt, nicht ebenso in Samarien, welches jedoch nach der A. G. auch frühzeitig das Evangelium annahm. Wie natürlich nun, daſs die Tendenz entstand, die Thätigkeit Jesu durch die Annahme zu vervollständigen, daſs er auch in Samarien, und somit in allen Theilen Palästina's, den himmlischen Samen ausgestreut habe, den Ruhm der Apostel und andern Lehrer aber in Hinsicht jener Provinz auf den des bloſsen Erntens zu beschränken.
Nachdem die Prüfung der einzelnen Züge der johan- neischen Erzählung das Resultat geliefert hat, daſs wir hier schwerlich eine wirkliche Geschichte vor uns haben,
18)Lücke, S. 540 Anm. Bretschneider, S. 52.
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Viertes Kapitel. §. 65.
Blüthen und Früchte trugen, zuerst in die Menschheit ge-
legt habe: so läſst sich doch zugleich eine speciellere Be-
ziehung unmöglich abweisen. Jesus sieht voraus, daſs
ihm die zur Stadt geeilte Frau Gelegenheit verschaffen
werde, in Samarien die Saat des Evangeliums auszustreuen,
und verheiſst den Jüngern, daſs sie die Früchte dieser
seiner Bemühungen einst zu genieſsen haben werden. Wer
denkt hier nicht an die schon erwähnte Ausbreitung des
Christenthums in Samarien durch Philippus und einige
Apostel, wie sie A. G. 8. uns berichtet ist? 18) Daſs Jesus
diesen Fortgang seiner Sache in Samarien nach seiner
Kenntniſs der Bewohner schon damals habe vorhersehen
können, läſst sich zwar auch bei einer natürlichen An-
sicht von der Person Jesu nicht geradezu in Abrede stel-
len; doch da dieser Zug zu einem in historischer Bezie-
hung mehr als unwahrscheinlichen Ganzen gehört: so ist
er ebensobald aufzugeben, als sich erklären läſst, wie er
auch ohne faktischen Grund entstehen konnte. Diese Er-
klärung ist nun aber nicht weit zu suchen. Nach der ge-
wöhnlichen Tradition der ersten Gemeinde, wie sie in den
drei ersten Evangelien niedergelegt ist, hatte Jesus nur
in Galiläa, Peräa und Judäa persönlich gewirkt, nicht
ebenso in Samarien, welches jedoch nach der A. G. auch
frühzeitig das Evangelium annahm. Wie natürlich nun,
daſs die Tendenz entstand, die Thätigkeit Jesu durch die
Annahme zu vervollständigen, daſs er auch in Samarien,
und somit in allen Theilen Palästina's, den himmlischen
Samen ausgestreut habe, den Ruhm der Apostel und andern
Lehrer aber in Hinsicht jener Provinz auf den des bloſsen
Erntens zu beschränken.
Nachdem die Prüfung der einzelnen Züge der johan-
neischen Erzählung das Resultat geliefert hat, daſs wir
hier schwerlich eine wirkliche Geschichte vor uns haben,
18) Lücke, S. 540 Anm. Bretschneider, S. 52.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/541>, abgerufen am 24.06.2024.
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