Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. siehe, mit den Wolken des Himmels kam wie eines Men-schen Sohn (k'@bar enash, os uios anthropou, LXX), und man brachte ihn vor den Alten der Tage, und ihm ward Herr- lichkeit und Königreich gegeben, dass alle Völker ihm die- nen, und seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft. Indem die vier Thiere V. 17 ff. auf die vier grossen Reiche gedeu- tet werden, deren leztes das macedonische mit seinem Zweige, dem syrischen, ist, und indem nun nach deren Untergang das Reich auf ewige Zeiten dem Volke Gottes gegeben werden soll: so kann unter dem in den Wolken Kommenden nur entweder eine Personification des heiligen Volkes selbst 5) oder ein vom Himmel stammender Führer desselben, als ein messianisches Wesen verstanden werden, und diese leztere Deutung war die bei den Juden gewöhn- liche 6). In dieser Würde freilich ist das beschriebene Sub- jekt hier nicht durch den Zug, dass es einem Menschen geglichen, vielmehr durch den andern, dass es in den Wol- ken des Himmels daher gekommen sei, bezeichnet, woge- gen das k'@bar enash nur entweder diess, dass der vom Him- mel Kommende darum nicht in einer übermenschlichen Ge- stalt, etwa eines Engels, sondern in menschlicher erschei- nen werde, oder den Gegensaz der Humanität des zu er- wartenden Reichs der Heiligen gegen die durch Thierge- stalten symbolisirte Inhumanität der früheren Reiche aus- drücken zu können scheint 7). Daher haben zwar die späteren Juden der Stelle einen wesentlicheren Zug zur Bezeichnung des Messias entnommen, wenn sie ihm von seinem Kommen `im`ananey sh@maya den Namen Anani beileg- ten 8): indessen ist auch das ganz im jüdischen Geschmacke, 5) So unter den Juden Abenesra, s. Hävernick, Comm. zum Da- niel S. 244. 6) Schöttgen, horae, 2, S. 63. 73. Hävernick, a. a. O. S. 243 f. 7) s. die vornehmsten Ansichten bei Hävernick, a. a. O. 242 f. 8) Schöttgen, horae 2, S. 73.
Zweiter Abschnitt. siehe, mit den Wolken des Himmels kam wie eines Men-schen Sohn (כְּבַר אֱנָשׁ, ὡς υἱὸς ἀνϑρώπου, LXX), und man brachte ihn vor den Alten der Tage, und ihm ward Herr- lichkeit und Königreich gegeben, dass alle Völker ihm die- nen, und seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft. Indem die vier Thiere V. 17 ff. auf die vier groſsen Reiche gedeu- tet werden, deren leztes das macedonische mit seinem Zweige, dem syrischen, ist, und indem nun nach deren Untergang das Reich auf ewige Zeiten dem Volke Gottes gegeben werden soll: so kann unter dem in den Wolken Kommenden nur entweder eine Personification des heiligen Volkes selbst 5) oder ein vom Himmel stammender Führer desselben, als ein messianisches Wesen verstanden werden, und diese leztere Deutung war die bei den Juden gewöhn- liche 6). In dieser Würde freilich ist das beschriebene Sub- jekt hier nicht durch den Zug, daſs es einem Menschen geglichen, vielmehr durch den andern, daſs es in den Wol- ken des Himmels daher gekommen sei, bezeichnet, woge- gen das כְּבַר אֱנָשׁ nur entweder dieſs, daſs der vom Him- mel Kommende darum nicht in einer übermenschlichen Ge- stalt, etwa eines Engels, sondern in menschlicher erschei- nen werde, oder den Gegensaz der Humanität des zu er- wartenden Reichs der Heiligen gegen die durch Thierge- stalten symbolisirte Inhumanität der früheren Reiche aus- drücken zu können scheint 7). Daher haben zwar die späteren Juden der Stelle einen wesentlicheren Zug zur Bezeichnung des Messias entnommen, wenn sie ihm von seinem Kommen עִם־עֲנָנֵי שְׁמַיָא den Namen Anani beileg- ten 8): indessen ist auch das ganz im jüdischen Geschmacke, 5) So unter den Juden Abenesra, s. Hävernick, Comm. zum Da- niel S. 244. 6) Schöttgen, horae, 2, S. 63. 73. Hävernick, a. a. O. S. 243 f. 7) s. die vornehmsten Ansichten bei Hävernick, a. a. O. 242 f. 8) Schöttgen, horae 2, S. 73.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0490" n="466"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> siehe, mit den Wolken des Himmels kam wie eines Men-<lb/> schen Sohn (<foreign xml:lang="heb">כְּבַר אֱנָשׁ</foreign>, <foreign xml:lang="ell">ὡς υἱὸς ἀνϑρώπου</foreign>, LXX), und man<lb/> brachte ihn vor den Alten der Tage, und ihm ward Herr-<lb/> lichkeit und Königreich gegeben, dass alle Völker ihm die-<lb/> nen, und seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft. Indem<lb/> die vier Thiere V. 17 ff. auf die vier groſsen Reiche gedeu-<lb/> tet werden, deren leztes das macedonische mit seinem<lb/> Zweige, dem syrischen, ist, und indem nun nach deren<lb/> Untergang das Reich auf ewige Zeiten dem Volke Gottes<lb/> gegeben werden soll: so kann unter dem in den Wolken<lb/> Kommenden nur entweder eine Personification des heiligen<lb/> Volkes selbst <note place="foot" n="5)">So unter den Juden Abenesra, s. <hi rendition="#k">Hävernick</hi>, Comm. zum Da-<lb/> niel S. 244.</note> oder ein vom Himmel stammender Führer<lb/> desselben, als ein messianisches Wesen verstanden werden,<lb/> und diese leztere Deutung war die bei den Juden gewöhn-<lb/> liche <note place="foot" n="6)"><hi rendition="#k">Schöttgen</hi>, horae, 2, S. 63. 73. <hi rendition="#k">Hävernick</hi>, a. a. O. S. 243 f.</note>. In dieser Würde freilich ist das beschriebene Sub-<lb/> jekt hier nicht durch den Zug, daſs es einem Menschen<lb/> geglichen, vielmehr durch den andern, daſs es in den Wol-<lb/> ken des Himmels daher gekommen sei, bezeichnet, woge-<lb/> gen das <foreign xml:lang="heb">כְּבַר אֱנָשׁ</foreign> nur entweder dieſs, daſs der vom Him-<lb/> mel Kommende darum nicht in einer übermenschlichen Ge-<lb/> stalt, etwa eines Engels, sondern in menschlicher erschei-<lb/> nen werde, oder den Gegensaz der Humanität des zu er-<lb/> wartenden Reichs der Heiligen gegen die durch Thierge-<lb/> stalten symbolisirte Inhumanität der früheren Reiche aus-<lb/> drücken zu können scheint <note place="foot" n="7)">s. die vornehmsten Ansichten bei <hi rendition="#k">Hävernick</hi>, a. a. O. 242 f.</note>. Daher haben zwar die<lb/> späteren Juden der Stelle einen wesentlicheren Zug zur<lb/> Bezeichnung des Messias entnommen, wenn sie ihm von<lb/> seinem Kommen <foreign xml:lang="heb">עִם־עֲנָנֵי שְׁמַיָא</foreign> den Namen Anani beileg-<lb/> ten <note place="foot" n="8)"><hi rendition="#k">Schöttgen</hi>, horae 2, S. 73.</note>: indessen ist auch das ganz im jüdischen Geschmacke,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [466/0490]
Zweiter Abschnitt.
siehe, mit den Wolken des Himmels kam wie eines Men-
schen Sohn (כְּבַר אֱנָשׁ, ὡς υἱὸς ἀνϑρώπου, LXX), und man
brachte ihn vor den Alten der Tage, und ihm ward Herr-
lichkeit und Königreich gegeben, dass alle Völker ihm die-
nen, und seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft. Indem
die vier Thiere V. 17 ff. auf die vier groſsen Reiche gedeu-
tet werden, deren leztes das macedonische mit seinem
Zweige, dem syrischen, ist, und indem nun nach deren
Untergang das Reich auf ewige Zeiten dem Volke Gottes
gegeben werden soll: so kann unter dem in den Wolken
Kommenden nur entweder eine Personification des heiligen
Volkes selbst 5) oder ein vom Himmel stammender Führer
desselben, als ein messianisches Wesen verstanden werden,
und diese leztere Deutung war die bei den Juden gewöhn-
liche 6). In dieser Würde freilich ist das beschriebene Sub-
jekt hier nicht durch den Zug, daſs es einem Menschen
geglichen, vielmehr durch den andern, daſs es in den Wol-
ken des Himmels daher gekommen sei, bezeichnet, woge-
gen das כְּבַר אֱנָשׁ nur entweder dieſs, daſs der vom Him-
mel Kommende darum nicht in einer übermenschlichen Ge-
stalt, etwa eines Engels, sondern in menschlicher erschei-
nen werde, oder den Gegensaz der Humanität des zu er-
wartenden Reichs der Heiligen gegen die durch Thierge-
stalten symbolisirte Inhumanität der früheren Reiche aus-
drücken zu können scheint 7). Daher haben zwar die
späteren Juden der Stelle einen wesentlicheren Zug zur
Bezeichnung des Messias entnommen, wenn sie ihm von
seinem Kommen עִם־עֲנָנֵי שְׁמַיָא den Namen Anani beileg-
ten 8): indessen ist auch das ganz im jüdischen Geschmacke,
5) So unter den Juden Abenesra, s. Hävernick, Comm. zum Da-
niel S. 244.
6) Schöttgen, horae, 2, S. 63. 73. Hävernick, a. a. O. S. 243 f.
7) s. die vornehmsten Ansichten bei Hävernick, a. a. O. 242 f.
8) Schöttgen, horae 2, S. 73.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |