Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Viertes Kapitel. §. 57. diess ist nur aus modernen Vorstellungen heraus ohne ge-schichtlichen Grund gesprochen, da von einer solchen Be- deutung des Ausdrucks zur Zeit Jesu jede Spur fehlt 3), und weit eher die umgekehrte eines niedrigen, verachteten Menschen darin nachzuweisen ist, welche daher Manche auch für die Mehrzahl der Stellen, in welchen Jesus sich so nennt, vorausgesezt haben 4). Abgesehen davon, dass auch hier ein hinzugeseztes Demonstrativum vermisst wird, würde diese Bedeutung zwar für manche Stellen, wie Matth. 8, 20. Joh. 1, 52. sich eignen: in Stellen dagegen, wie Matth. 17, 22, u. a., wo Jesus seinen gewaltsamen Tod voraussagend, sich als o uios tou anthropou bezeichnet, wird durchaus der Contrast einer hohen Würde mit dem schmählichen Schicksale erfordert; so wie Matth. 10, 23. die den ausgesendeten Jüngern gegebene Versicherung, ehe sie in sämmtlichen israelitischen Städten herumgereist sein würden, werde des Menschen Sohn kommen, nur dann Gewicht hatte, wenn durch diesen Ausdruck eine bedeu- tende Person bezeichnet war. Welche Würde und Bedeu- tung aber jene Worte anzeigten, darüber giebt die Verglei- chung von Matth. 16, 28. Aufschluss, wo gleichfalls von einem erkhesthai des Menschensohns, aber mit dem Beisaz: en te basileia autou die Rede ist, ein Beisaz, der nur das messianische Reich, also der uios tou anthropou nur den Mes- sias, bedeuten kann. Inwiefern nun aber dieser so unbestimmt klingende 3) Lücke, Comm. zum Joh. 1, S. 397 f. 4) z. B. Grotius. Das Leben Jesu I. Band. 30
Viertes Kapitel. §. 57. dieſs ist nur aus modernen Vorstellungen heraus ohne ge-schichtlichen Grund gesprochen, da von einer solchen Be- deutung des Ausdrucks zur Zeit Jesu jede Spur fehlt 3), und weit eher die umgekehrte eines niedrigen, verachteten Menschen darin nachzuweisen ist, welche daher Manche auch für die Mehrzahl der Stellen, in welchen Jesus sich so nennt, vorausgesezt haben 4). Abgesehen davon, daſs auch hier ein hinzugeseztes Demonstrativum vermisst wird, würde diese Bedeutung zwar für manche Stellen, wie Matth. 8, 20. Joh. 1, 52. sich eignen: in Stellen dagegen, wie Matth. 17, 22, u. a., wo Jesus seinen gewaltsamen Tod voraussagend, sich als ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου bezeichnet, wird durchaus der Contrast einer hohen Würde mit dem schmählichen Schicksale erfordert; so wie Matth. 10, 23. die den ausgesendeten Jüngern gegebene Versicherung, ehe sie in sämmtlichen israëlitischen Städten herumgereist sein würden, werde des Menschen Sohn kommen, nur dann Gewicht hatte, wenn durch diesen Ausdruck eine bedeu- tende Person bezeichnet war. Welche Würde und Bedeu- tung aber jene Worte anzeigten, darüber giebt die Verglei- chung von Matth. 16, 28. Aufschluss, wo gleichfalls von einem ἔρχεσϑαι des Menschensohns, aber mit dem Beisaz: ἐν τῇ βασιλείᾳ αὐτοῦ die Rede ist, ein Beisaz, der nur das messianische Reich, also der υἱὸς τοῦ ἀνϑρώποῦ nur den Mes- sias, bedeuten kann. Inwiefern nun aber dieser so unbestimmt klingende 3) Lücke, Comm. zum Joh. 1, S. 397 f. 4) z. B. Grotius. Das Leben Jesu I. Band. 30
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0489" n="465"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>. §. 57.</fw><lb/> dieſs ist nur aus modernen Vorstellungen heraus ohne ge-<lb/> schichtlichen Grund gesprochen, da von einer solchen Be-<lb/> deutung des Ausdrucks zur Zeit Jesu jede Spur fehlt <note place="foot" n="3)"><hi rendition="#k">Lücke</hi>, Comm. zum Joh. 1, S. 397 f.</note>,<lb/> und weit eher die umgekehrte eines niedrigen, verachteten<lb/> Menschen darin nachzuweisen ist, welche daher Manche<lb/> auch für die Mehrzahl der Stellen, in welchen Jesus sich<lb/> so nennt, vorausgesezt haben <note place="foot" n="4)">z. B. <hi rendition="#k">Grotius</hi>.</note>. Abgesehen davon, daſs<lb/> auch hier ein hinzugeseztes Demonstrativum vermisst wird,<lb/> würde diese Bedeutung zwar für manche Stellen, wie<lb/> Matth. 8, 20. Joh. 1, 52. sich eignen: in Stellen dagegen,<lb/> wie Matth. 17, 22, u. a., wo Jesus seinen gewaltsamen<lb/> Tod voraussagend, sich als <foreign xml:lang="ell">ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου</foreign> bezeichnet,<lb/> wird durchaus der Contrast einer hohen Würde mit dem<lb/> schmählichen Schicksale erfordert; so wie Matth. 10, 23.<lb/> die den ausgesendeten Jüngern gegebene Versicherung, ehe<lb/> sie in sämmtlichen israëlitischen Städten herumgereist sein<lb/> würden, werde des Menschen Sohn kommen, nur dann<lb/> Gewicht hatte, wenn durch diesen Ausdruck eine bedeu-<lb/> tende Person bezeichnet war. Welche Würde und Bedeu-<lb/> tung aber jene Worte anzeigten, darüber giebt die Verglei-<lb/> chung von Matth. 16, 28. Aufschluss, wo gleichfalls von<lb/> einem ἔρχεσϑαι des Menschensohns, aber mit dem Beisaz:<lb/><foreign xml:lang="ell">ἐν τῇ βασιλείᾳ αὐτοῦ</foreign> die Rede ist, ein Beisaz, der nur das<lb/> messianische Reich, also der <foreign xml:lang="ell">υἱὸς τοῦ ἀνϑρώποῦ</foreign> nur den Mes-<lb/> sias, bedeuten kann.</p><lb/> <p>Inwiefern nun aber dieser so unbestimmt klingende<lb/> Ausdruck gerade den Messias bezeichnen könne, ist aus<lb/> Matth. 26, 64. parall. zu ersehen. Hier ist von einem<lb/> Kommen des Menschensohns <foreign xml:lang="ell">ἐπὶ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ</foreign> die<lb/> Rede, mit unverkennbarer Beziehung auf Dan. 7, 13. f.,<lb/> wo es, nachdem von dem Untergang der vier Thiere ge-<lb/> handelt war, heiſst: ich sah in nächtlichen Gesichten, und<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">Das Leben Jesu I. Band.</hi> 30</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [465/0489]
Viertes Kapitel. §. 57.
dieſs ist nur aus modernen Vorstellungen heraus ohne ge-
schichtlichen Grund gesprochen, da von einer solchen Be-
deutung des Ausdrucks zur Zeit Jesu jede Spur fehlt 3),
und weit eher die umgekehrte eines niedrigen, verachteten
Menschen darin nachzuweisen ist, welche daher Manche
auch für die Mehrzahl der Stellen, in welchen Jesus sich
so nennt, vorausgesezt haben 4). Abgesehen davon, daſs
auch hier ein hinzugeseztes Demonstrativum vermisst wird,
würde diese Bedeutung zwar für manche Stellen, wie
Matth. 8, 20. Joh. 1, 52. sich eignen: in Stellen dagegen,
wie Matth. 17, 22, u. a., wo Jesus seinen gewaltsamen
Tod voraussagend, sich als ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου bezeichnet,
wird durchaus der Contrast einer hohen Würde mit dem
schmählichen Schicksale erfordert; so wie Matth. 10, 23.
die den ausgesendeten Jüngern gegebene Versicherung, ehe
sie in sämmtlichen israëlitischen Städten herumgereist sein
würden, werde des Menschen Sohn kommen, nur dann
Gewicht hatte, wenn durch diesen Ausdruck eine bedeu-
tende Person bezeichnet war. Welche Würde und Bedeu-
tung aber jene Worte anzeigten, darüber giebt die Verglei-
chung von Matth. 16, 28. Aufschluss, wo gleichfalls von
einem ἔρχεσϑαι des Menschensohns, aber mit dem Beisaz:
ἐν τῇ βασιλείᾳ αὐτοῦ die Rede ist, ein Beisaz, der nur das
messianische Reich, also der υἱὸς τοῦ ἀνϑρώποῦ nur den Mes-
sias, bedeuten kann.
Inwiefern nun aber dieser so unbestimmt klingende
Ausdruck gerade den Messias bezeichnen könne, ist aus
Matth. 26, 64. parall. zu ersehen. Hier ist von einem
Kommen des Menschensohns ἐπὶ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ die
Rede, mit unverkennbarer Beziehung auf Dan. 7, 13. f.,
wo es, nachdem von dem Untergang der vier Thiere ge-
handelt war, heiſst: ich sah in nächtlichen Gesichten, und
3) Lücke, Comm. zum Joh. 1, S. 397 f.
4) z. B. Grotius.
Das Leben Jesu I. Band. 30
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |