Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
ben, darauf aufmerksam macht, dass o uios tou anthropou
ouk ekhei, pou ten kephalen kline: so muss er hier einen be-
stimmten Menschen gemeint haben, und zwar denjenigen,
zu dessen Begleitung der Schriftgelehrte sich erbot, d. h.
sich selber. Wie diess in dem Ausdruck liegen könne,
hat man so erklärt, dass Jesus, nach der morgenländischen
Art, das Ich zu vermeiden, sich in der dritten Person, als
diesen Menschen hier, bezeichne 1). Allein sich selbst in
der dritten Person bezeichnen kann man doch, sofern man
verstanden sein will, nur so, dass entweder die Bezeich-
nung eine bestimmte ist, und auf keinen der Anwesenden
ausser dem Redenden passt, wie wenn der Vater, der
König, von sich in dieser Weise spricht; oder, wenn die
Bezeichnung an sich unbestimmt ist, so muss ihr durch
ein demonstratives Pronomen nachgeholfen werden; wie
namentlich, wenn einer unter der allerallgemeinsten Per-
sonalbezeichnung: Mensch, von sich selber reden will, ein
solches unerlässlich ist. So viel etwa mag noch zugegeben
werden, dass ein und das andere Mal statt eines hinwei-
senden Wortes auch eine hinzeigende Gebärde genügen
kann: dass aber Jesus so unendlich oft, als er jenes Aus-
drucks sich bediente, es jedesmal auf das Deuten sollte ha-
ben ankommen lassen, und dass namentlich die Referenten,
in deren Berichten die Anschauung des Deutens wegfiel,
der Unbestimmtheit des Ausdrucks nicht durch einen de-
monstrativen Beisaz abgeholfen haben sollten, ist undenk-
bar. Fanden diess beide Theile überflüssig, so muss die
nähere Bestimmung in dem Ausdruck selbst schon gelegen
haben. Hier sind nun Einige der Meinung, Jesus wolle
sich durch denselben als den Menschen im edelsten Sinne
des Worts, als den idealen Menschen bezeichnen 2); allein

1) Paulus, ex. Handb. 1, b. S. 465; Fritzsche, in Matth. p. 320.
2) So nach Herder z. B. Köster, im Immanuel, S. 265; Tho-
luck
, Comm. zum Evang. Joh., S. 65.

Zweiter Abschnitt.
ben, darauf aufmerksam macht, daſs ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου
οὐκ ἔχει, ποῦ τὴν κεφαλὴν κλίνῃ: so muſs er hier einen be-
stimmten Menschen gemeint haben, und zwar denjenigen,
zu dessen Begleitung der Schriftgelehrte sich erbot, d. h.
sich selber. Wie dieſs in dem Ausdruck liegen könne,
hat man so erklärt, daſs Jesus, nach der morgenländischen
Art, das Ich zu vermeiden, sich in der dritten Person, als
diesen Menschen hier, bezeichne 1). Allein sich selbst in
der dritten Person bezeichnen kann man doch, sofern man
verstanden sein will, nur so, daſs entweder die Bezeich-
nung eine bestimmte ist, und auf keinen der Anwesenden
ausser dem Redenden passt, wie wenn der Vater, der
König, von sich in dieser Weise spricht; oder, wenn die
Bezeichnung an sich unbestimmt ist, so muſs ihr durch
ein demonstratives Pronomen nachgeholfen werden; wie
namentlich, wenn einer unter der allerallgemeinsten Per-
sonalbezeichnung: Mensch, von sich selber reden will, ein
solches unerlässlich ist. So viel etwa mag noch zugegeben
werden, daſs ein und das andere Mal statt eines hinwei-
senden Wortes auch eine hinzeigende Gebärde genügen
kann: daſs aber Jesus so unendlich oft, als er jenes Aus-
drucks sich bediente, es jedesmal auf das Deuten sollte ha-
ben ankommen lassen, und daſs namentlich die Referenten,
in deren Berichten die Anschauung des Deutens wegfiel,
der Unbestimmtheit des Ausdrucks nicht durch einen de-
monstrativen Beisaz abgeholfen haben sollten, ist undenk-
bar. Fanden dieſs beide Theile überflüssig, so muſs die
nähere Bestimmung in dem Ausdruck selbst schon gelegen
haben. Hier sind nun Einige der Meinung, Jesus wolle
sich durch denselben als den Menschen im edelsten Sinne
des Worts, als den idealen Menschen bezeichnen 2); allein

1) Paulus, ex. Handb. 1, b. S. 465; Fritzsche, in Matth. p. 320.
2) So nach Herder z. B. Köster, im Immanuel, S. 265; Tho-
luck
, Comm. zum Evang. Joh., S. 65.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0488" n="464"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
ben, darauf aufmerksam macht, da&#x017F;s <foreign xml:lang="ell">&#x1F41; &#x03C5;&#x1F31;&#x1F78;&#x03C2; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x1F00;&#x03BD;&#x03D1;&#x03C1;&#x03CE;&#x03C0;&#x03BF;&#x03C5;<lb/>
&#x03BF;&#x1F50;&#x03BA; &#x1F14;&#x03C7;&#x03B5;&#x03B9;, &#x03C0;&#x03BF;&#x1FE6; &#x03C4;&#x1F74;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B5;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BB;&#x1F74;&#x03BD; &#x03BA;&#x03BB;&#x03AF;&#x03BD;&#x1FC3;</foreign>: so mu&#x017F;s er hier einen be-<lb/>
stimmten Menschen gemeint haben, und zwar denjenigen,<lb/>
zu dessen Begleitung der Schriftgelehrte sich erbot, d. h.<lb/>
sich selber. Wie die&#x017F;s in dem Ausdruck liegen könne,<lb/>
hat man so erklärt, da&#x017F;s Jesus, nach der morgenländischen<lb/>
Art, das Ich zu vermeiden, sich in der dritten Person, als<lb/>
diesen Menschen hier, bezeichne <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#k">Paulus</hi>, ex. Handb. 1, b. S. 465; <hi rendition="#k">Fritzsche</hi>, in Matth. p. 320.</note>. Allein sich selbst in<lb/>
der dritten Person bezeichnen kann man doch, sofern man<lb/>
verstanden sein will, nur so, da&#x017F;s entweder die Bezeich-<lb/>
nung eine bestimmte ist, und auf keinen der Anwesenden<lb/>
ausser dem Redenden passt, wie wenn der Vater, der<lb/>
König, von sich in dieser Weise spricht; oder, wenn die<lb/>
Bezeichnung an sich unbestimmt ist, so mu&#x017F;s ihr durch<lb/>
ein demonstratives Pronomen nachgeholfen werden; wie<lb/>
namentlich, wenn einer unter der allerallgemeinsten Per-<lb/>
sonalbezeichnung: Mensch, von sich selber reden will, ein<lb/>
solches unerlässlich ist. So viel etwa mag noch zugegeben<lb/>
werden, da&#x017F;s ein und das andere Mal statt eines hinwei-<lb/>
senden Wortes auch eine hinzeigende Gebärde genügen<lb/>
kann: da&#x017F;s aber Jesus so unendlich oft, als er jenes Aus-<lb/>
drucks sich bediente, es jedesmal auf das Deuten sollte ha-<lb/>
ben ankommen lassen, und da&#x017F;s namentlich die Referenten,<lb/>
in deren Berichten die Anschauung des Deutens wegfiel,<lb/>
der Unbestimmtheit des Ausdrucks nicht durch einen de-<lb/>
monstrativen Beisaz abgeholfen haben sollten, ist undenk-<lb/>
bar. Fanden die&#x017F;s beide Theile überflüssig, so mu&#x017F;s die<lb/>
nähere Bestimmung in dem Ausdruck selbst schon gelegen<lb/>
haben. Hier sind nun Einige der Meinung, Jesus wolle<lb/>
sich durch denselben als den Menschen im edelsten Sinne<lb/>
des Worts, als den idealen Menschen bezeichnen <note place="foot" n="2)">So nach <hi rendition="#k">Herder</hi> z. B. <hi rendition="#k">Köster</hi>, im Immanuel, S. 265; <hi rendition="#k">Tho-<lb/>
luck</hi>, Comm. zum Evang. Joh., S. 65.</note>; allein<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[464/0488] Zweiter Abschnitt. ben, darauf aufmerksam macht, daſs ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου οὐκ ἔχει, ποῦ τὴν κεφαλὴν κλίνῃ: so muſs er hier einen be- stimmten Menschen gemeint haben, und zwar denjenigen, zu dessen Begleitung der Schriftgelehrte sich erbot, d. h. sich selber. Wie dieſs in dem Ausdruck liegen könne, hat man so erklärt, daſs Jesus, nach der morgenländischen Art, das Ich zu vermeiden, sich in der dritten Person, als diesen Menschen hier, bezeichne 1). Allein sich selbst in der dritten Person bezeichnen kann man doch, sofern man verstanden sein will, nur so, daſs entweder die Bezeich- nung eine bestimmte ist, und auf keinen der Anwesenden ausser dem Redenden passt, wie wenn der Vater, der König, von sich in dieser Weise spricht; oder, wenn die Bezeichnung an sich unbestimmt ist, so muſs ihr durch ein demonstratives Pronomen nachgeholfen werden; wie namentlich, wenn einer unter der allerallgemeinsten Per- sonalbezeichnung: Mensch, von sich selber reden will, ein solches unerlässlich ist. So viel etwa mag noch zugegeben werden, daſs ein und das andere Mal statt eines hinwei- senden Wortes auch eine hinzeigende Gebärde genügen kann: daſs aber Jesus so unendlich oft, als er jenes Aus- drucks sich bediente, es jedesmal auf das Deuten sollte ha- ben ankommen lassen, und daſs namentlich die Referenten, in deren Berichten die Anschauung des Deutens wegfiel, der Unbestimmtheit des Ausdrucks nicht durch einen de- monstrativen Beisaz abgeholfen haben sollten, ist undenk- bar. Fanden dieſs beide Theile überflüssig, so muſs die nähere Bestimmung in dem Ausdruck selbst schon gelegen haben. Hier sind nun Einige der Meinung, Jesus wolle sich durch denselben als den Menschen im edelsten Sinne des Worts, als den idealen Menschen bezeichnen 2); allein 1) Paulus, ex. Handb. 1, b. S. 465; Fritzsche, in Matth. p. 320. 2) So nach Herder z. B. Köster, im Immanuel, S. 265; Tho- luck, Comm. zum Evang. Joh., S. 65.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/488
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/488>, abgerufen am 22.11.2024.