Reisen Jesu auf die eorte ton Ioudaion, auf die Skenope- gie, und wenn diess eine besondere Reise ist, auf die En- känien den ununterbrochenen Fluss der galiläischen Erzäh- lungen in den drei ersten Evangelien chronologisch abthei- len zu können? wie diess bis auf die neueste Zeit eine Rei- he von Forschern mit einem Aufwand von Scharfsinn und Gelehrsamkeit versucht hat, der eines fruchtbareren Stof- fes würdig gewesen wäre 2). Mit Recht haben daher un- befangene Richter sich dahin entschieden, da die Erzäh- lung der drei ersten Evangelien zu wenig darbiete, was bei einer solchen Einordnung einigermassen sicher leiten könnte: so habe keine der bisherigen Evangelienharmonieen einen Anspruch, für mehr als ein Gewebe historischer Con- jekturen gehalten zu werden 3).
Was nun die chronologische Würdigung der Synopti- ker abgesehen von Johannes betrifft, so weichen sie in der Anordnung der Begebenheiten so oft von einander ab und so wenig behält Einer die Wahrscheinlichkeit durchaus auf seiner Seite, dass auf jeden von ihnen eine Zahl chro- nologischer Verstösse kommt, welche seine Verlässlichkeit in diesem Stücke untergraben muss. Überdiess, wenn man ihre ganze Darstellungsweise ansieht, so ist an der Be- hauptung, sie haben bei Abfassung ihrer Bücher an keine bestimmte Zeitordnung gedacht 4), wenigstens so viel wahr, dass ihre Erzählungen über den Zeitraum von der Taufe Jesu bis zur Leidensgeschichte allerdings einem Aggregat von Anekdoten ähnlich sehen, welches [m]eistens nur nach
2) s. besonders die Leistungen von Paulus in den chronologischen Excursen seines Commentars und exegetischen Handbuchs; von Hug in der Einleit. z. N. T. 2, S. 2, 233 ff., und Anderen, welche Winer nachweist, im bibl. Realwörterb. 1, S. 667.
3)Winer, a. a. O.; vgl. Kaiser, biblische Tehologie, 1, S. 254. Anm.; die Abhandlung über die verschiedenen Rücksichten u. s. w. in Bertholdt's krit. Journal, 5, S. 239.
4)Olshausen, 1, S. 24 ff.
Drittes Kapitel. §. 56.
Reisen Jesu auf die ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων, auf die Skenope- gie, und wenn dieſs eine besondere Reise ist, auf die En- känien den ununterbrochenen Fluſs der galiläischen Erzäh- lungen in den drei ersten Evangelien chronologisch abthei- len zu können? wie dieſs bis auf die neueste Zeit eine Rei- he von Forschern mit einem Aufwand von Scharfsinn und Gelehrsamkeit versucht hat, der eines fruchtbareren Stof- fes würdig gewesen wäre 2). Mit Recht haben daher un- befangene Richter sich dahin entschieden, da die Erzäh- lung der drei ersten Evangelien zu wenig darbiete, was bei einer solchen Einordnung einigermaſsen sicher leiten könnte: so habe keine der bisherigen Evangelienharmonieen einen Anspruch, für mehr als ein Gewebe historischer Con- jekturen gehalten zu werden 3).
Was nun die chronologische Würdigung der Synopti- ker abgesehen von Johannes betrifft, so weichen sie in der Anordnung der Begebenheiten so oft von einander ab und so wenig behält Einer die Wahrscheinlichkeit durchaus auf seiner Seite, daſs auf jeden von ihnen eine Zahl chro- nologischer Verstöſse kommt, welche seine Verläſslichkeit in diesem Stücke untergraben muſs. Überdieſs, wenn man ihre ganze Darstellungsweise ansieht, so ist an der Be- hauptung, sie haben bei Abfassung ihrer Bücher an keine bestimmte Zeitordnung gedacht 4), wenigstens so viel wahr, daſs ihre Erzählungen über den Zeitraum von der Taufe Jesu bis zur Leidensgeschichte allerdings einem Aggregat von Anekdoten ähnlich sehen, welches [m]eistens nur nach
2) s. besonders die Leistungen von Paulus in den chronologischen Excursen seines Commentars und exegetischen Handbuchs; von Hug in der Einleit. z. N. T. 2, S. 2, 233 ff., und Anderen, welche Winer nachweist, im bibl. Realwörterb. 1, S. 667.
3)Winer, a. a. O.; vgl. Kaiser, biblische Tehologie, 1, S. 254. Anm.; die Abhandlung über die verschiedenen Rücksichten u. s. w. in Bertholdt's krit. Journal, 5, S. 239.
4)Olshausen, 1, S. 24 ff.
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[461/0485]
Drittes Kapitel. §. 56.
Reisen Jesu auf die ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων, auf die Skenope-
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känien den ununterbrochenen Fluſs der galiläischen Erzäh-
lungen in den drei ersten Evangelien chronologisch abthei-
len zu können? wie dieſs bis auf die neueste Zeit eine Rei-
he von Forschern mit einem Aufwand von Scharfsinn und
Gelehrsamkeit versucht hat, der eines fruchtbareren Stof-
fes würdig gewesen wäre 2). Mit Recht haben daher un-
befangene Richter sich dahin entschieden, da die Erzäh-
lung der drei ersten Evangelien zu wenig darbiete, was
bei einer solchen Einordnung einigermaſsen sicher leiten
könnte: so habe keine der bisherigen Evangelienharmonieen
einen Anspruch, für mehr als ein Gewebe historischer Con-
jekturen gehalten zu werden 3).
Was nun die chronologische Würdigung der Synopti-
ker abgesehen von Johannes betrifft, so weichen sie in der
Anordnung der Begebenheiten so oft von einander ab und
so wenig behält Einer die Wahrscheinlichkeit durchaus
auf seiner Seite, daſs auf jeden von ihnen eine Zahl chro-
nologischer Verstöſse kommt, welche seine Verläſslichkeit
in diesem Stücke untergraben muſs. Überdieſs, wenn man
ihre ganze Darstellungsweise ansieht, so ist an der Be-
hauptung, sie haben bei Abfassung ihrer Bücher an keine
bestimmte Zeitordnung gedacht 4), wenigstens so viel wahr,
daſs ihre Erzählungen über den Zeitraum von der Taufe
Jesu bis zur Leidensgeschichte allerdings einem Aggregat
von Anekdoten ähnlich sehen, welches meistens nur nach
2) s. besonders die Leistungen von Paulus in den chronologischen
Excursen seines Commentars und exegetischen Handbuchs;
von Hug in der Einleit. z. N. T. 2, S. 2, 233 ff., und Anderen,
welche Winer nachweist, im bibl. Realwörterb. 1, S. 667.
3) Winer, a. a. O.; vgl. Kaiser, biblische Tehologie, 1, S. 254.
Anm.; die Abhandlung über die verschiedenen Rücksichten
u. s. w. in Bertholdt's krit. Journal, 5, S. 239.
4) Olshausen, 1, S. 24 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/485>, abgerufen am 22.07.2024.
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