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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweites Kapitel. §. 48.
lig entfaltet haben und nicht erst durch das von aussen
kommende pneuma mit Einem Male geweckt worden sein
wird. Hiedurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass das
in Jesu als übernatürlich Erzeugtem von seiner Geburt an
gesezte Göttliche nicht doch zugleich, vermöge der mensch-
lichen Form seiner Entwicklung, der Anregung von aussen
bedurft hätte, und von diesem Gegensatz innerer Entwick-
lung und äusserer Anregung ist Lücke richtiger ausgegan-
gen 4). Der von Geburt an in Jesu vorhandene logos,
meint er, habe bei allem Triebe von innen doch auch der
Anregung und Belebung von aussen nöthig gehabt, um zur
vollen Wirksamkeit und Manifestation in der Welt zu ge-
langen; dasjenige aber, was die göttlichen Lebenskeime
in der Welt anregt und leitet, sei nach apostolischer Vor-
stellungsweise eben das pneuma agion. Diess zugegeben, so
stehen doch innere Anlage und erforderliche Stärke der
äusseren Anregung in umgekehrtem Verhältniss, so dass,
je stärkere Anregung erfordert wird, desto geringer die
Anlage ist, bei absolut grosser Anlage aber, wie sie in
dem durch das pneuma erzeugten oder vom logos beseelten
Jesus vorausgesezt werden muss, die Anregung ein mini-
mum
sein darf, d. h. jeder gegebene Umstand, auch der
gewöhnlichste, zur Anregung für den mächtigen Trieb wird.
Sehen wir nun aber bei Jesu Taufe ein maximum äusse-
ren Anstosses in dem sichtbaren Herabkommen des göttli-
chen Geistes gegeben: so kommt zwar das Einzige der mes-
sianischen Aufgabe allerdings in Betracht, zu deren Lö-
sung er befähigt werden sollte, doch aber kann nicht zu-
gleich jenes maximum der inneren Anlage zum uios theou
als ein schon von seiner Geburt an in ihm vorhandenes
vorausgesezt werden, -- eine Consequenz, welcher auch
Lücke nur dadurch entgeht, dass er die Scene bei Jesu
Taufe hinterher doch wieder zur blossen Inauguration

4) Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 378 f.

Zweites Kapitel. §. 48.
lig entfaltet haben und nicht erst durch das von aussen
kommende πνεῦμα mit Einem Male geweckt worden sein
wird. Hiedurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, daſs das
in Jesu als übernatürlich Erzeugtem von seiner Geburt an
gesezte Göttliche nicht doch zugleich, vermöge der mensch-
lichen Form seiner Entwicklung, der Anregung von aussen
bedurft hätte, und von diesem Gegensatz innerer Entwick-
lung und äusserer Anregung ist Lücke richtiger ausgegan-
gen 4). Der von Geburt an in Jesu vorhandene λόγος,
meint er, habe bei allem Triebe von innen doch auch der
Anregung und Belebung von aussen nöthig gehabt, um zur
vollen Wirksamkeit und Manifestation in der Welt zu ge-
langen; dasjenige aber, was die göttlichen Lebenskeime
in der Welt anregt und leitet, sei nach apostolischer Vor-
stellungsweise eben das πνεῦμα ἅγιον. Dieſs zugegeben, so
stehen doch innere Anlage und erforderliche Stärke der
äusseren Anregung in umgekehrtem Verhältniſs, so daſs,
je stärkere Anregung erfordert wird, desto geringer die
Anlage ist, bei absolut groſser Anlage aber, wie sie in
dem durch das πνεῦμα erzeugten oder vom λόγος beseelten
Jesus vorausgesezt werden muſs, die Anregung ein mini-
mum
sein darf, d. h. jeder gegebene Umstand, auch der
gewöhnlichste, zur Anregung für den mächtigen Trieb wird.
Sehen wir nun aber bei Jesu Taufe ein maximum äusse-
ren Anstoſses in dem sichtbaren Herabkommen des göttli-
chen Geistes gegeben: so kommt zwar das Einzige der mes-
sianischen Aufgabe allerdings in Betracht, zu deren Lö-
sung er befähigt werden sollte, doch aber kann nicht zu-
gleich jenes maximum der inneren Anlage zum υἱὸς ϑεοῦ
als ein schon von seiner Geburt an in ihm vorhandenes
vorausgesezt werden, — eine Consequenz, welcher auch
Lücke nur dadurch entgeht, daſs er die Scene bei Jesu
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4) Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 378 f.
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[393/0417] Zweites Kapitel. §. 48. lig entfaltet haben und nicht erst durch das von aussen kommende πνεῦμα mit Einem Male geweckt worden sein wird. Hiedurch ist jedoch nicht ausgeschlossen, daſs das in Jesu als übernatürlich Erzeugtem von seiner Geburt an gesezte Göttliche nicht doch zugleich, vermöge der mensch- lichen Form seiner Entwicklung, der Anregung von aussen bedurft hätte, und von diesem Gegensatz innerer Entwick- lung und äusserer Anregung ist Lücke richtiger ausgegan- gen 4). Der von Geburt an in Jesu vorhandene λόγος, meint er, habe bei allem Triebe von innen doch auch der Anregung und Belebung von aussen nöthig gehabt, um zur vollen Wirksamkeit und Manifestation in der Welt zu ge- langen; dasjenige aber, was die göttlichen Lebenskeime in der Welt anregt und leitet, sei nach apostolischer Vor- stellungsweise eben das πνεῦμα ἅγιον. Dieſs zugegeben, so stehen doch innere Anlage und erforderliche Stärke der äusseren Anregung in umgekehrtem Verhältniſs, so daſs, je stärkere Anregung erfordert wird, desto geringer die Anlage ist, bei absolut groſser Anlage aber, wie sie in dem durch das πνεῦμα erzeugten oder vom λόγος beseelten Jesus vorausgesezt werden muſs, die Anregung ein mini- mum sein darf, d. h. jeder gegebene Umstand, auch der gewöhnlichste, zur Anregung für den mächtigen Trieb wird. Sehen wir nun aber bei Jesu Taufe ein maximum äusse- ren Anstoſses in dem sichtbaren Herabkommen des göttli- chen Geistes gegeben: so kommt zwar das Einzige der mes- sianischen Aufgabe allerdings in Betracht, zu deren Lö- sung er befähigt werden sollte, doch aber kann nicht zu- gleich jenes maximum der inneren Anlage zum υἱὸς ϑεοῦ als ein schon von seiner Geburt an in ihm vorhandenes vorausgesezt werden, — eine Consequenz, welcher auch Lücke nur dadurch entgeht, daſs er die Scene bei Jesu Taufe hinterher doch wieder zur bloſsen Inauguration 4) Comm. zum Ev. Joh. 1, S. 378 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/417>, abgerufen am 22.11.2024.