Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Kapitel. §. 42.
sein, wenn es diese Ideen nicht sind? und diese sollte der
Täufer Johannes schon gehabt haben? welcher Christia-
nismus ante Christum
! Und dann, nach Olshausen's 23)
richtiger Bemerkung, wie schickt es sich für den Täufer,
der doch, auch nach dem vierten Evangelium, von Jesus
geschieden blieb, von dem Segen eines gläubigen Anschlies-
sens an Jesum zu reden (V. 33. und 36.)? -- Soviel dem-
nach ist gewiss und auch von der Mehrzahl neuerer Aus-
leger anerkannt: die Worte V. 31--36. kann der Täufer
nicht gesprochen haben. Folglich, schlossen nun aber die
Theologen, kann auch der Evangelist sie ihm nicht in den
Mund gelegt haben, sondern von dem bezeichneten Verse
an nimmt dieser selbst das Wort 24). Diess klingt an-
nehmlich, wenn man uns nur die Fuge nachweist, durch
welche der Evangelist seinen eignen Zusatz von der Rede
des Täufers gesondert hat. Allein eine solche sucht man
vergeblich. Zwar spricht der von V. 31. an Redende, wo
er den Täufer bezeichnen will, nicht mehr, wie noch
V. 30., in der ersten Person, sondern in der dritten; al-
lein der Täufer wird hier nicht mehr geradezu und indi-
viduell, sondern nur mit einer ganzen Klasse zusammen
bezeichnet, wo er also, auch wenn er selbst der Redende
war, die dritte Person wählen musste. Nirgends also findet
sich eine Grenzscheide, und ganz unmerklich gleitet die Rede
aus denjenigen Passagen, welche der Täufer etwa noch
gesprochen haben kann, in diejenigen hinüber, welche ihm
schlechthin unangemessen sind, namentlich wird auch
nach V. 30. von Jesu im Präsens zu reden fortgefahren,
wie der Evangelist nur den Täufer zu Jesu Lebzeiten spre-
chen lassen konnte, nicht aber selbst in eigner Person
nach Jesu Tode so schreiben; wie er denn, wo er eigne
Reflexionen über Jesum vorbringt, sich des Präteritums zu

23) Bibl. Comm. 2, S. 105. (zweite Ausg.)
24) Paulus, Olshausen, z. d. St.

Erstes Kapitel. §. 42.
sein, wenn es diese Ideen nicht sind? und diese sollte der
Täufer Johannes schon gehabt haben? welcher Christia-
nismus ante Christum
! Und dann, nach Olshausen's 23)
richtiger Bemerkung, wie schickt es sich für den Täufer,
der doch, auch nach dem vierten Evangelium, von Jesus
geschieden blieb, von dem Segen eines gläubigen Anschlies-
sens an Jesum zu reden (V. 33. und 36.)? — Soviel dem-
nach ist gewiſs und auch von der Mehrzahl neuerer Aus-
leger anerkannt: die Worte V. 31—36. kann der Täufer
nicht gesprochen haben. Folglich, schloſsen nun aber die
Theologen, kann auch der Evangelist sie ihm nicht in den
Mund gelegt haben, sondern von dem bezeichneten Verse
an nimmt dieser selbst das Wort 24). Dieſs klingt an-
nehmlich, wenn man uns nur die Fuge nachweist, durch
welche der Evangelist seinen eignen Zusatz von der Rede
des Täufers gesondert hat. Allein eine solche sucht man
vergeblich. Zwar spricht der von V. 31. an Redende, wo
er den Täufer bezeichnen will, nicht mehr, wie noch
V. 30., in der ersten Person, sondern in der dritten; al-
lein der Täufer wird hier nicht mehr geradezu und indi-
viduell, sondern nur mit einer ganzen Klasse zusammen
bezeichnet, wo er also, auch wenn er selbst der Redende
war, die dritte Person wählen muſste. Nirgends also findet
sich eine Grenzscheide, und ganz unmerklich gleitet die Rede
aus denjenigen Passagen, welche der Täufer etwa noch
gesprochen haben kann, in diejenigen hinüber, welche ihm
schlechthin unangemessen sind, namentlich wird auch
nach V. 30. von Jesu im Präsens zu reden fortgefahren,
wie der Evangelist nur den Täufer zu Jesu Lebzeiten spre-
chen lassen konnte, nicht aber selbst in eigner Person
nach Jesu Tode so schreiben; wie er denn, wo er eigne
Reflexionen über Jesum vorbringt, sich des Präteritums zu

23) Bibl. Comm. 2, S. 105. (zweite Ausg.)
24) Paulus, Olshausen, z. d. St.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0367" n="343"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 42.</fw><lb/>
sein, wenn es diese Ideen nicht sind? und diese sollte der<lb/>
Täufer Johannes schon gehabt haben? welcher <hi rendition="#i">Christia-<lb/>
nismus ante Christum</hi>! Und dann, nach <hi rendition="#k">Olshausen</hi>'s <note place="foot" n="23)">Bibl. Comm. 2, S. 105. (zweite Ausg.)</note><lb/>
richtiger Bemerkung, wie schickt es sich für den Täufer,<lb/>
der doch, auch nach dem vierten Evangelium, von Jesus<lb/>
geschieden blieb, von dem Segen eines gläubigen Anschlies-<lb/>
sens an Jesum zu reden (V. 33. und 36.)? &#x2014; Soviel dem-<lb/>
nach ist gewi&#x017F;s und auch von der Mehrzahl neuerer Aus-<lb/>
leger anerkannt: die Worte V. 31&#x2014;36. kann der Täufer<lb/>
nicht gesprochen haben. Folglich, schlo&#x017F;sen nun aber die<lb/>
Theologen, kann auch der Evangelist sie ihm nicht in den<lb/>
Mund gelegt haben, sondern von dem bezeichneten Verse<lb/>
an nimmt dieser selbst das Wort <note place="foot" n="24)"><hi rendition="#k">Paulus, Olshausen</hi>, z. d. St.</note>. Die&#x017F;s klingt an-<lb/>
nehmlich, wenn man uns nur die Fuge nachweist, durch<lb/>
welche der Evangelist seinen eignen Zusatz von der Rede<lb/>
des Täufers gesondert hat. Allein eine solche sucht man<lb/>
vergeblich. Zwar spricht der von V. 31. an Redende, wo<lb/>
er den Täufer bezeichnen will, nicht mehr, wie noch<lb/>
V. 30., in der ersten Person, sondern in der dritten; al-<lb/>
lein der Täufer wird hier nicht mehr geradezu und indi-<lb/>
viduell, sondern nur mit einer ganzen Klasse zusammen<lb/>
bezeichnet, wo er also, auch wenn er selbst der Redende<lb/>
war, die dritte Person wählen mu&#x017F;ste. Nirgends also findet<lb/>
sich eine Grenzscheide, und ganz unmerklich gleitet die Rede<lb/>
aus denjenigen Passagen, welche der Täufer etwa noch<lb/>
gesprochen haben kann, in diejenigen hinüber, welche ihm<lb/>
schlechthin unangemessen sind, namentlich wird auch<lb/>
nach V. 30. von Jesu im Präsens zu reden fortgefahren,<lb/>
wie der Evangelist nur den Täufer zu Jesu Lebzeiten spre-<lb/>
chen lassen konnte, nicht aber selbst in eigner Person<lb/>
nach Jesu Tode so schreiben; wie er denn, wo er eigne<lb/>
Reflexionen über Jesum vorbringt, sich des Präteritums zu<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0367] Erstes Kapitel. §. 42. sein, wenn es diese Ideen nicht sind? und diese sollte der Täufer Johannes schon gehabt haben? welcher Christia- nismus ante Christum! Und dann, nach Olshausen's 23) richtiger Bemerkung, wie schickt es sich für den Täufer, der doch, auch nach dem vierten Evangelium, von Jesus geschieden blieb, von dem Segen eines gläubigen Anschlies- sens an Jesum zu reden (V. 33. und 36.)? — Soviel dem- nach ist gewiſs und auch von der Mehrzahl neuerer Aus- leger anerkannt: die Worte V. 31—36. kann der Täufer nicht gesprochen haben. Folglich, schloſsen nun aber die Theologen, kann auch der Evangelist sie ihm nicht in den Mund gelegt haben, sondern von dem bezeichneten Verse an nimmt dieser selbst das Wort 24). Dieſs klingt an- nehmlich, wenn man uns nur die Fuge nachweist, durch welche der Evangelist seinen eignen Zusatz von der Rede des Täufers gesondert hat. Allein eine solche sucht man vergeblich. Zwar spricht der von V. 31. an Redende, wo er den Täufer bezeichnen will, nicht mehr, wie noch V. 30., in der ersten Person, sondern in der dritten; al- lein der Täufer wird hier nicht mehr geradezu und indi- viduell, sondern nur mit einer ganzen Klasse zusammen bezeichnet, wo er also, auch wenn er selbst der Redende war, die dritte Person wählen muſste. Nirgends also findet sich eine Grenzscheide, und ganz unmerklich gleitet die Rede aus denjenigen Passagen, welche der Täufer etwa noch gesprochen haben kann, in diejenigen hinüber, welche ihm schlechthin unangemessen sind, namentlich wird auch nach V. 30. von Jesu im Präsens zu reden fortgefahren, wie der Evangelist nur den Täufer zu Jesu Lebzeiten spre- chen lassen konnte, nicht aber selbst in eigner Person nach Jesu Tode so schreiben; wie er denn, wo er eigne Reflexionen über Jesum vorbringt, sich des Präteritums zu 23) Bibl. Comm. 2, S. 105. (zweite Ausg.) 24) Paulus, Olshausen, z. d. St.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/367
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/367>, abgerufen am 17.07.2024.