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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
bedienen pflegt 25). Grammatisch betrachtet also spricht
von V. 31. an der Täufer fort, und doch kann er, histo-
risch erwogen, das Folgende nicht gesprochen haben; ein
Widerspruch, welcher dadurch unauflöslich wird, dass
man hinzusezt: dogmatisch beurtheilt aber kann der Evan-
gelist dem Täufer nichts in den Mund gelegt haben, was
dieser nicht wirklich gesprochen hat. Wollen wir nun
nicht den klaren Regeln der Grammatik und den festste-
henden Daten der Historie um des eingebildeten Dogma's
von der Inspiration willen widersprechen: so werden wir
aus den gegebenen Prämissen vielmehr mit dem Verfasser
der Probabilien den Schluss ziehen, dass folglich der Evan-
gelist dem Täufer jene Reden mit Unrecht zuschreibe, und
ihm seine eigene Christologie in den Mund lege, von wel-
cher jener noch nichts wissen konnte. Nur nicht ebenso
unumwunden sagt dasselbe das Geständniss von Lücke 26),
dass sich hier mit der Rede des Täufers auf eine nicht mehr
genau zu unterscheidende Weise, aber überwiegend, die
Reflexion des Evangelisten mische. Denn näher verhält es
sich hiemit so, dass die Reflexion des Evangelisten zwar
leicht zu erkennen und mit Händen zu greifen ist; aber
von zum Grunde liegenden Gedanken des Täufers ist nichts
zu spüren, wenn man nicht mit besonders gutem Willen
sucht, welchen wir in diesem Stücke nicht haben mögen,
weil er die Befangenheit selbst ist. -- Haben wir nun aber
an der zulezt betrachteten Stelle einen Beweis, dass es
dem vierten Evangelisten nicht darauf ankam, dem Täufer
Johannes messianische und andere Begriffe zu leihen, wel-
che dieser nicht hatte: so werden wir auch im Rückblick
auf die früher betrachteten Stellen uns dafür entscheiden,

25) z. B. während hier, V. 32, gesagt wird: ten marturian au-
tou oudeis lambanei, heisst es im Prolog V. 11: kai oi idioi
auton ou parelabon. Vgl. Lücke, a. a. O. S. 501.
26) a. a. O.

Zweiter Abschnitt.
bedienen pflegt 25). Grammatisch betrachtet also spricht
von V. 31. an der Täufer fort, und doch kann er, histo-
risch erwogen, das Folgende nicht gesprochen haben; ein
Widerspruch, welcher dadurch unauflöslich wird, daſs
man hinzusezt: dogmatisch beurtheilt aber kann der Evan-
gelist dem Täufer nichts in den Mund gelegt haben, was
dieser nicht wirklich gesprochen hat. Wollen wir nun
nicht den klaren Regeln der Grammatik und den festste-
henden Daten der Historie um des eingebildeten Dogma's
von der Inspiration willen widersprechen: so werden wir
aus den gegebenen Prämissen vielmehr mit dem Verfasser
der Probabilien den Schluſs ziehen, daſs folglich der Evan-
gelist dem Täufer jene Reden mit Unrecht zuschreibe, und
ihm seine eigene Christologie in den Mund lege, von wel-
cher jener noch nichts wissen konnte. Nur nicht ebenso
unumwunden sagt dasselbe das Geständniſs von Lücke 26),
daſs sich hier mit der Rede des Täufers auf eine nicht mehr
genau zu unterscheidende Weise, aber überwiegend, die
Reflexion des Evangelisten mische. Denn näher verhält es
sich hiemit so, daſs die Reflexion des Evangelisten zwar
leicht zu erkennen und mit Händen zu greifen ist; aber
von zum Grunde liegenden Gedanken des Täufers ist nichts
zu spüren, wenn man nicht mit besonders gutem Willen
sucht, welchen wir in diesem Stücke nicht haben mögen,
weil er die Befangenheit selbst ist. — Haben wir nun aber
an der zulezt betrachteten Stelle einen Beweis, daſs es
dem vierten Evangelisten nicht darauf ankam, dem Täufer
Johannes messianische und andere Begriffe zu leihen, wel-
che dieser nicht hatte: so werden wir auch im Rückblick
auf die früher betrachteten Stellen uns dafür entscheiden,

25) z. B. während hier, V. 32, gesagt wird: τὴν μαρτυρίαν αὐ-
τοῦ οὐδεὶς λαμβάνει, heisst es im Prolog V. 11: καὶ οἱ ἴδιοι
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[344/0368] Zweiter Abschnitt. bedienen pflegt 25). Grammatisch betrachtet also spricht von V. 31. an der Täufer fort, und doch kann er, histo- risch erwogen, das Folgende nicht gesprochen haben; ein Widerspruch, welcher dadurch unauflöslich wird, daſs man hinzusezt: dogmatisch beurtheilt aber kann der Evan- gelist dem Täufer nichts in den Mund gelegt haben, was dieser nicht wirklich gesprochen hat. Wollen wir nun nicht den klaren Regeln der Grammatik und den festste- henden Daten der Historie um des eingebildeten Dogma's von der Inspiration willen widersprechen: so werden wir aus den gegebenen Prämissen vielmehr mit dem Verfasser der Probabilien den Schluſs ziehen, daſs folglich der Evan- gelist dem Täufer jene Reden mit Unrecht zuschreibe, und ihm seine eigene Christologie in den Mund lege, von wel- cher jener noch nichts wissen konnte. Nur nicht ebenso unumwunden sagt dasselbe das Geständniſs von Lücke 26), daſs sich hier mit der Rede des Täufers auf eine nicht mehr genau zu unterscheidende Weise, aber überwiegend, die Reflexion des Evangelisten mische. Denn näher verhält es sich hiemit so, daſs die Reflexion des Evangelisten zwar leicht zu erkennen und mit Händen zu greifen ist; aber von zum Grunde liegenden Gedanken des Täufers ist nichts zu spüren, wenn man nicht mit besonders gutem Willen sucht, welchen wir in diesem Stücke nicht haben mögen, weil er die Befangenheit selbst ist. — Haben wir nun aber an der zulezt betrachteten Stelle einen Beweis, daſs es dem vierten Evangelisten nicht darauf ankam, dem Täufer Johannes messianische und andere Begriffe zu leihen, wel- che dieser nicht hatte: so werden wir auch im Rückblick auf die früher betrachteten Stellen uns dafür entscheiden, 25) z. B. während hier, V. 32, gesagt wird: τὴν μαρτυρίαν αὐ- τοῦ οὐδεὶς λαμβάνει, heisst es im Prolog V. 11: καὶ οἱ ἴδιοι αὐτὸν οὐ παρέλαβον. Vgl. Lücke, a. a. O. S. 501. 26) a. a. O.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/368>, abgerufen am 18.05.2024.