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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 35.
in Bethlehem als historisch festhalten will. Denn wo der
Nachricht von einem Erfolge eine lange Erwartung dessel-
ben vorangeht, da muss schon ein starker Verdacht entste-
hen, ob nicht die Erzählung, dass das Erwartete erfolgt
sei, nur der Voraussetzung, dass es habe erfolgen müssen,
ihre Entstehung verdanken möge. Zumal wenn jene Er-
wartung ungegründet war, wie hier der Erfolg eine fal-
sche Auslegung eines prophetischen Orakels bestätigt haben
müsste. Also diese prophetische Grundlage der Geburt Je-
su in Bethlehem benimmt der historischen, welche in der
Erzählung von Matth. und Luc. 2. liegt, alle Kraft, indem
die letztere nur auf die erstere gebaut erscheint, und also
mit ihr hinfällt. Ausser diesen aber sucht man einen an-
derweitigen Beleg für jene Annahme vergeblich. Nirgends
sonst im N. T. wird Jesu bethlehemitischer Geburt erwähnt;
nirgends tritt er mit diesem seinem angeblichen Geburts-
ort in irgend eine Beziehung, oder erweist ihm die Ehre
eines Besuchs, die er doch dem unwürdigen Nazaret nicht
versagt 10); nirgends beruft er sich auf jenes Datum als
einen Mitbeweis seiner Messianität, unerachtet er dazu die
bestimmteste Veranlassung hatte, da sich Manche an seiner
galiläischen Abkunft stiessen und sich darauf beriefen, dass
der Messias aus der Davidsstadt Bethlehem kommen müs-
se (Joh. 7, 42.) 11). Zwar sagt hier Johannes nicht,
dass diese Bedenklichkeiten in Gegenwart Jesu geäussert
worden seien 12); aber wie er unmittelbar vorher (V. 39.) ei-
ne Rede Jesu mit der Bemerkung begleitet hat, es habe
damals noch kein pneuma agion gegeben: so würde auch
hier die Bemerkung an der Stelle gewesen sein, das Volk

10) Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 230.
11) s. K. Ch. L. Schmidt, in Schmidt's Bibliothek 3, 1, S. 123 f.
vgl. Kaiser a. a. O.
12) Worauf sich z. B. Heydenreich beruft, über die Unzulässig-
keit u. s. f. 1, S. 99.
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Viertes Kapitel. §. 35.
in Bethlehem als historisch festhalten will. Denn wo der
Nachricht von einem Erfolge eine lange Erwartung dessel-
ben vorangeht, da muſs schon ein starker Verdacht entste-
hen, ob nicht die Erzählung, daſs das Erwartete erfolgt
sei, nur der Voraussetzung, daſs es habe erfolgen müssen,
ihre Entstehung verdanken möge. Zumal wenn jene Er-
wartung ungegründet war, wie hier der Erfolg eine fal-
sche Auslegung eines prophetischen Orakels bestätigt haben
müſste. Also diese prophetische Grundlage der Geburt Je-
su in Bethlehem benimmt der historischen, welche in der
Erzählung von Matth. und Luc. 2. liegt, alle Kraft, indem
die letztere nur auf die erstere gebaut erscheint, und also
mit ihr hinfällt. Ausser diesen aber sucht man einen an-
derweitigen Beleg für jene Annahme vergeblich. Nirgends
sonst im N. T. wird Jesu bethlehemitischer Geburt erwähnt;
nirgends tritt er mit diesem seinem angeblichen Geburts-
ort in irgend eine Beziehung, oder erweist ihm die Ehre
eines Besuchs, die er doch dem unwürdigen Nazaret nicht
versagt 10); nirgends beruft er sich auf jenes Datum als
einen Mitbeweis seiner Messianität, unerachtet er dazu die
bestimmteste Veranlassung hatte, da sich Manche an seiner
galiläischen Abkunft stieſsen und sich darauf beriefen, daſs
der Messias aus der Davidsstadt Bethlehem kommen müs-
se (Joh. 7, 42.) 11). Zwar sagt hier Johannes nicht,
daſs diese Bedenklichkeiten in Gegenwart Jesu geäussert
worden seien 12); aber wie er unmittelbar vorher (V. 39.) ei-
ne Rede Jesu mit der Bemerkung begleitet hat, es habe
damals noch kein πνεῦμα ἅγιον gegeben: so würde auch
hier die Bemerkung an der Stelle gewesen sein, das Volk

10) Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 230.
11) s. K. Ch. L. Schmidt, in Schmidt's Bibliothek 3, 1, S. 123 f.
vgl. Kaiser a. a. O.
12) Worauf sich z. B. Heydenreich beruft, über die Unzulässig-
keit u. s. f. 1, S. 99.
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[275/0299] Viertes Kapitel. §. 35. in Bethlehem als historisch festhalten will. Denn wo der Nachricht von einem Erfolge eine lange Erwartung dessel- ben vorangeht, da muſs schon ein starker Verdacht entste- hen, ob nicht die Erzählung, daſs das Erwartete erfolgt sei, nur der Voraussetzung, daſs es habe erfolgen müssen, ihre Entstehung verdanken möge. Zumal wenn jene Er- wartung ungegründet war, wie hier der Erfolg eine fal- sche Auslegung eines prophetischen Orakels bestätigt haben müſste. Also diese prophetische Grundlage der Geburt Je- su in Bethlehem benimmt der historischen, welche in der Erzählung von Matth. und Luc. 2. liegt, alle Kraft, indem die letztere nur auf die erstere gebaut erscheint, und also mit ihr hinfällt. Ausser diesen aber sucht man einen an- derweitigen Beleg für jene Annahme vergeblich. Nirgends sonst im N. T. wird Jesu bethlehemitischer Geburt erwähnt; nirgends tritt er mit diesem seinem angeblichen Geburts- ort in irgend eine Beziehung, oder erweist ihm die Ehre eines Besuchs, die er doch dem unwürdigen Nazaret nicht versagt 10); nirgends beruft er sich auf jenes Datum als einen Mitbeweis seiner Messianität, unerachtet er dazu die bestimmteste Veranlassung hatte, da sich Manche an seiner galiläischen Abkunft stieſsen und sich darauf beriefen, daſs der Messias aus der Davidsstadt Bethlehem kommen müs- se (Joh. 7, 42.) 11). Zwar sagt hier Johannes nicht, daſs diese Bedenklichkeiten in Gegenwart Jesu geäussert worden seien 12); aber wie er unmittelbar vorher (V. 39.) ei- ne Rede Jesu mit der Bemerkung begleitet hat, es habe damals noch kein πνεῦμα ἅγιον gegeben: so würde auch hier die Bemerkung an der Stelle gewesen sein, das Volk 10) Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 230. 11) s. K. Ch. L. Schmidt, in Schmidt's Bibliothek 3, 1, S. 123 f. vgl. Kaiser a. a. O. 12) Worauf sich z. B. Heydenreich beruft, über die Unzulässig- keit u. s. f. 1, S. 99. 18*

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/299>, abgerufen am 22.11.2024.