ein frommer Seher ihm im Gefolge seiner hohen Bestim- mung zugleich die Kämpfe, welche er zu bestehen haben, und seiner Mutter den Schmerz, den ihr sein Schicksal machen würde 8), vorausgesagt hatte: dann war es gewiss kein Ungefähr, sondern ein göttlicher Plan, der ihn auf dem Wege zu seiner Erhöhung in diese Tiefe der Ernie- drigung führte.
Gegen eine solche, positiv aus der Sache selbst und negativ aus den Schwierigkeiten andrer Auffassungsweisen sich ergebende Ansicht von der vorliegenden Erzählung kön- nen Bemerkungen nichts ausrichten wie die: zu natürlich um gedichtet zu sein, sei das, wie Simeon, als ihm das erbetene Zeichen von der Messianität dieses Kindes zu Theil geworden war, zuerst noch für sich selbst und ohne von den Eltern Notiz zu nehmen, in eine begeisterte Rede aus- breche, und erst, als er ihre Verwunderung bemerkt, sich an sie wende 9). Denn wenn dieser Ausspruch nicht blosse Phrase sein soll, so käme er ja darauf hinaus, dass das Gedichtete immer ein minder Natürliches sein müsste, wo- gegen doch, namentlich in Bezug auf die Sagenpoesie, an- erkannt ist, dass sie natürlicher ist, nicht als die Wirk- lichkeit selbst, wohl aber als die prosaische Nacherzählung derselben, bei welcher, wenn nicht ein poetischer Trieb sich einmischt, im zweiten und dritten Munde solche in- dividuelle, natürliche Züge gerade verloren gehen. Mehr Gewicht hat die andere Bemerkung Schleiermacher's, wer diese Erzählung fingirt hätte, der würde schwerlich neben dem Simeon auch noch die Hanna erdichtet haben, die gar nicht einmal dichterisch benutzt werde, und noch dazu mit
8) Die von Simeon an Maria gerichteten Worte: kai sou de autes ten psukhen dieleusetai Romphaia (V. 35.) können an die Worte des messianischen Unglückspsalms 22, V. 21. erinnern: Rusai apo Romphaias ten psukhen mou.
9)Schleiermacher, über den Lukas, S. 37.
Erster Abschnitt.
ein frommer Seher ihm im Gefolge seiner hohen Bestim- mung zugleich die Kämpfe, welche er zu bestehen haben, und seiner Mutter den Schmerz, den ihr sein Schicksal machen würde 8), vorausgesagt hatte: dann war es gewiſs kein Ungefähr, sondern ein göttlicher Plan, der ihn auf dem Wege zu seiner Erhöhung in diese Tiefe der Ernie- drigung führte.
Gegen eine solche, positiv aus der Sache selbst und negativ aus den Schwierigkeiten andrer Auffassungsweisen sich ergebende Ansicht von der vorliegenden Erzählung kön- nen Bemerkungen nichts ausrichten wie die: zu natürlich um gedichtet zu sein, sei das, wie Simeon, als ihm das erbetene Zeichen von der Messianität dieses Kindes zu Theil geworden war, zuerst noch für sich selbst und ohne von den Eltern Notiz zu nehmen, in eine begeisterte Rede aus- breche, und erst, als er ihre Verwunderung bemerkt, sich an sie wende 9). Denn wenn dieser Ausspruch nicht bloſse Phrase sein soll, so käme er ja darauf hinaus, daſs das Gedichtete immer ein minder Natürliches sein müſste, wo- gegen doch, namentlich in Bezug auf die Sagenpoësie, an- erkannt ist, daſs sie natürlicher ist, nicht als die Wirk- lichkeit selbst, wohl aber als die prosaische Nacherzählung derselben, bei welcher, wenn nicht ein poëtischer Trieb sich einmischt, im zweiten und dritten Munde solche in- dividuelle, natürliche Züge gerade verloren gehen. Mehr Gewicht hat die andere Bemerkung Schleiermacher's, wer diese Erzählung fingirt hätte, der würde schwerlich neben dem Simeon auch noch die Hanna erdichtet haben, die gar nicht einmal dichterisch benutzt werde, und noch dazu mit
8) Die von Simeon an Maria gerichteten Worte: καὶ σοῦ δὲ αὐτῆς τὴν ψυχὴν διελεύσεται ῥομφαία (V. 35.) können an die Worte des messianischen Unglückspsalms 22, V. 21. erinnern: ῥῦσαι ἀπὸ ῥομφαίας τὴν ψυχήν μου.
9)Schleiermacher, über den Lukas, S. 37.
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Erster Abschnitt.
ein frommer Seher ihm im Gefolge seiner hohen Bestim-
mung zugleich die Kämpfe, welche er zu bestehen haben,
und seiner Mutter den Schmerz, den ihr sein Schicksal
machen würde 8), vorausgesagt hatte: dann war es gewiſs
kein Ungefähr, sondern ein göttlicher Plan, der ihn auf
dem Wege zu seiner Erhöhung in diese Tiefe der Ernie-
drigung führte.
Gegen eine solche, positiv aus der Sache selbst und
negativ aus den Schwierigkeiten andrer Auffassungsweisen
sich ergebende Ansicht von der vorliegenden Erzählung kön-
nen Bemerkungen nichts ausrichten wie die: zu natürlich
um gedichtet zu sein, sei das, wie Simeon, als ihm das
erbetene Zeichen von der Messianität dieses Kindes zu Theil
geworden war, zuerst noch für sich selbst und ohne von
den Eltern Notiz zu nehmen, in eine begeisterte Rede aus-
breche, und erst, als er ihre Verwunderung bemerkt, sich
an sie wende 9). Denn wenn dieser Ausspruch nicht bloſse
Phrase sein soll, so käme er ja darauf hinaus, daſs das
Gedichtete immer ein minder Natürliches sein müſste, wo-
gegen doch, namentlich in Bezug auf die Sagenpoësie, an-
erkannt ist, daſs sie natürlicher ist, nicht als die Wirk-
lichkeit selbst, wohl aber als die prosaische Nacherzählung
derselben, bei welcher, wenn nicht ein poëtischer Trieb
sich einmischt, im zweiten und dritten Munde solche in-
dividuelle, natürliche Züge gerade verloren gehen. Mehr
Gewicht hat die andere Bemerkung Schleiermacher's, wer
diese Erzählung fingirt hätte, der würde schwerlich neben
dem Simeon auch noch die Hanna erdichtet haben, die gar
nicht einmal dichterisch benutzt werde, und noch dazu mit
8) Die von Simeon an Maria gerichteten Worte: καὶ σοῦ δὲ
αὐτῆς τὴν ψυχὴν διελεύσεται ῥομφαία (V. 35.) können
an die Worte des messianischen Unglückspsalms 22, V. 21.
erinnern: ῥῦσαι ἀπὸ ῥομφαίας τὴν ψυχήν μου.
9) Schleiermacher, über den Lukas, S. 37.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/288>, abgerufen am 23.11.2024.
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